Rund um die Weihnachtsvorstellungen des Bolschoi-Theaters herrscht jedes Jahr große Aufregung und ein regelrechtes Gedränge um die Karten. Aber Der Nussknacker ist das begehrteste Stück von allen. Manche Leute wollen die Inszenierung so gerne sehen, dass sie bereit sind, das Zehnfache der offiziellen Preise zu zahlen und zwei Tage lang in der Kälte in einer Schlange zu warten!
Die Premiere des Stücks fand 1892 im Mariinski-Theater (St. Petersburg) statt. In Moskau wurde die Aufführung erst 1919 gezeigt, und seither hat sie viele Veränderungen erfahren. Jetzt zeigt das Bolschoi-Theater eine Inszenierung des Choreographen Jurij Grigorowitsch aus dem Jahr 1966.
Schon die Handlung der Aufführung schafft die Atmosphäre eines Märchens: Am Weihnachtsabend versammeln sich die Gäste im Haus von Dr. Stahlbaum. Seine Kinder warten sehnsüchtig auf die Geschenke, und seine Tochter Marie erhält von einem der Gäste, ihrem Patenonkel, einen Nussknacker. Als die Nacht hereinbricht, verlassen die Gäste das Haus und Marie hat einen märchenhaften Traum. Darin kämpft der Nussknacker tapfer gegen den bösen Mäusekönig und gewinnt mit Maries Hilfe. Der Nussknacker verwandelt sich in einen schönen Prinzen und er und Marie heiraten. In der Inszenierung des Bolschoi-Theaters wird die Handlung von prächtigen Bühnenbildern, einer Starbesetzung und erstaunlich schönen Kostümen begleitet – Weihnachtsstimmung und Staunen sind garantiert.
Außerdem ist die historische Bühne des Bolschoi-Theaters an sich schon wunderschön – und deshalb wollen viele Menschen die Aufführung auf der Hauptbühne des Landes sehen.
Die historische Bühne des Bolschoi hat eine Kapazität von 2.500 Zuschauern. Da das Theater um den großen Andrang weiß, hat es einen besonderen Kartenverkaufsmodus eingeführt. Der Tag des Kaufs hängt vom Datum der Aufführung ab, und der Erstverkauf erfolgt an den Vorverkaufsstellen gegen Vorlage des Personalausweises. Offiziell erhält jeder am Tag des Vorverkaufs vor der Öffnung der Kasse ein Armband mit der Nummer in der Warteschlange, mit dem man später Karten kaufen kann. Übrigens können Sie nur zwei Karten kaufen – für sich selbst und für einen nahen Verwandten (Ehepartner, Kind, Elternteil, Bruder oder Schwester, Großmutter oder Großvater, Enkelkind). Sie müssen einen Nachweis über die Verwandtschaft und eine Kopie des Personalausweises der zweiten Person vorlegen!
Um eine Eintrittskarte an der Theaterkasse zu kaufen, muss man sich einen Tag vorher in die Warteschlange einreihen! So schrieb die Bloggerin @fedorova_i, die eine Videoanleitung zum Kauf von Eintrittskarten mit zwei Millionen Aufrufen veröffentlicht hat:
„Um am 4. November Tickets zu kaufen, muss man einen Tag früher mit der ,Jagdʻ beginnen. Am 3. November kommt man frühmorgens zum Bolschoi-Theater und trägt sich bei den Volontären, die an der Kasse stehen, in eine Liste ein. Ich kam um 7:30 Uhr. Machen Sie ein Foto von der Liste, aber verteilen Sie sie nicht, und nehmen Sie Kontakt mit den Volontären auf, um in Verbindung zu bleiben. Kommen Sie dann am Abend des 3. November, um sich für Ihr Armband anzustellen. Ich kam um 20 Uhr an und stand bis Mitternacht an. Diejenigen, die sich angemeldet haben, müssen eine Warteschlange bilden, denn wer nicht weiß, dass es die Warteliste gibt, versucht, ohne Anstehen an eine Karte zu kommen. Um Mitternacht erhält dann jeder ein Armband mit einer Nummer, mit der man dann am Morgen des 4. November die Karten kaufen kann. Ich hatte die Nummer 90 und habe gute Plätze für 13.500 Rubel [etwa 135 Euro] gekauft.“ Bei den so genannten Volontären handelt es sich keineswegs um Mitarbeiter des Bolschoi-Theaters. Und woher sie kommen, weiß niemand, auch nicht die Theaterleitung.
Wer in der Schlange auf der Straße zu weit hinten stand, hatte Pech und blieb ohne Karten – das Kontingent war nach 400 Personen erschöpft.
Theoretisch sind die Karten auch online erhältlich. Man geht auf die offizielle Website des Theaters und versucht, die begehrten Karten schneller als die anderen Interessenten zu ergattern. Doch in der Praxis ist auch dieser Weg dornig.
Unsere Gesprächspartnerin Natalia hat es trotzdem geschafft, eine Karte online zu kaufen. „Ich bin zur Zeit des Verkaufsbeginns um 20:00 Uhr auf die Website gegangen und habe gewartet, bis eine Reaktion erfolgte, wobei ich die Seite ständig aktualisiert habe. Die Sitzplätze waren als grau markiert, als ob es keine Karten mehr gäbe, wobei die Anzahl der Karten ständig abnahm. Erst nach längerer Zeit wurden freie Plätze angezeigt, für die ich dann auch Tickets kaufen konnte. Das Auffüllen der Daten und die Bezahlung funktionierten ohne Unterbrechungen“, berichtet Natalia.
Aber nicht jeder hatte so viel Glück. Bei vielen Leuten reagierte die Website nicht. Nach Angaben des Generaldirektors des Theaters gingen zu Beginn des Kartenverkaufs mehr als 75 000 Anfragen pro Minute auf der Website ein. Unzufriedene Menschen sagen, dass die Verwaltung des Bolschoi-Theaters die Website während des Verkaufs absichtlich so schlecht funktionieren lässt.
Das komplizierte System des Kartenkaufs wurde erfunden, um gegen Spekulanten vorzugehen. Diese kaufen Karten auf und verkaufen sie dann für ein Vielfaches des Preises. So kostet die teuerste offizielle Eintrittskarte in diesem Jahr 20.000 Rubel (ca. 200 Euro), aber bei den Spekulanten muss man 50.000-60.000 Rubel (ca. 500-600 Euro) berappen. Je näher der Aufführungstermin rückt, desto teurer werden die Karten, die dann für Hunderttausende von Rubeln verkauft werden. Doch das neue System hat das Problem nicht gelöst. Die Spekulanten verkaufen Eintrittskarten online per Vorbestellung, wobei sie bereits die persönlichen Angaben der Interessenten zur Hand haben. Andere haben sich einen lustigen Plan ausgedacht – sie verkaufen einen Platz in der Warteschlange. Und manchmal kostet dieser Platz mehr als die Eintrittskarte selbst!
Aber auch Spekulanten mit ihrem „eigenen Mann“ im Theater haben Probleme. Ein Gesprächspartner sagte uns, dass er trotz Absprachen mit dem Theaterpersonal mehrmals keine Karten erhalten habe, was seinem Ruf bei seinen Kunden geschadet habe. Seitdem handelt er nicht mehr mit Karten für den Nussknacker.
Viele Theaterliebhaber sind zu Recht abgeschreckt und machen sich sogar über das Kartenverkaufssystem lustig. In sozialen Netzwerken schreiben Nutzer, dass sie lieber in ein anderes Theater gehen würden, als zwölf Stunden lang zu frieren. Allerdings ist diese Vorstellung auch in anderen Theatern unglaublich beliebt.
„Ich wäre viel glücklicher, wenn ich die gleiche Zeit und das gleiche Geld für eine Karte im Sapsan [dem Schnellzug Moskau-St. Petersburg] und im Mariinski opfern könnte. Es bliebe auch noch etwas für einen Barbesuch übrig – sowohl Zeit als auch Geld“, schreibt der Nutzer Iwan Borosnjak. Ein anderer Kommentator antwortet: „Und es ist noch cooler, zur Primorskij-Bühne des Mariinski [nach Wladiwostok] zu fliegen!“
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