Wie ein Provinzkaufmann ein russisches Schauspielhaus gründete

Kultur
ALEXANDRA GUSEWA
Fjodor Wolkow war ein reicher Kaufmann und Erbe einer einträglichen Firma. Aber er gab alles auf, um sich der Schauspielkunst zu widmen - und das sehr erfolgreich.

Der Kaufmann aus der Provinz sah einmal eine Aufführung des Hoftheaters in St. Petersburg. Er war so begeistert von dieser Kunst, dass er all seine profitablen Geschäfte aufgab und sein eigenes Theater gründete, wo er als einer der ersten die gerade erschienenen russischen Stücke aufführte.

Nach zehn Jahren erließ Kaiserin Elisabeth Petrowna ein Dekret über die Gründung eines russischen Theaters für Komödien und Tragödien in St. Petersburg. Und der ehemalige Kaufmann wurde „der erste russische Schauspieler“ und später der Direktor des kaiserlichen Theaters.

Die ersten russischen Theater

Die Leidenschaft für Schauspiel, Tanz und Gesang geht auf die slawischen Heiden zurück. Seit dem 11. Jahrhundert gab es in Russland eigene fahrende Künstler, die Skomoróchi, die in lustigen Kostümen auftraten, sangen, tanzten, Musikinstrumente spielten und kleine Sketche aufführten.

An Feiertagen wurden auf den Plätzen der Städte fahrende Theater, die so genannten Balagány, eingerichtet. All diese bodenständigen, ja oft sogar vulgären Unterhaltungen richteten sich an die einfachsten Leute.

Das erste königliche Theater entstand unter Alexej Michailowitsch Romanow. Speziell für ihn wurde eine zehnstündige Aufführung des Stücks Die Handlung um Artaxerxes nach der biblischen Handlung inszeniert. Aber es kam nicht regelmäßigen Darbietungen.

Im 17. Jahrhundert gab es Leibeigenen-Theater, die in den Palästen und Anwesen der Bojaren und Adligen zur Unterhaltung eingerichtet wurden. Besonders berühmt wurde das Leibeigenen-Theater der Grafen Scheremetjew und seine Star-Schauspielerin, die Leibeigene Praskowja Schemtschugowa. Sie sang Lieder und Opernarien in verschiedenen Sprachen und spielte mehrere Instrumente. Und sie war so begabt, dass Graf Scheremetjew sogar den Zaren um Erlaubnis bat, sie zu heiraten - und dieser segnete die ungleiche Ehe.

Kaiserin Elisabeth Petrowna – Mäzenin der Künste

Unter Peter I. kam auch die europäische Kunst nach Russland. Der Zar eröffnete zum ersten Mal ein öffentliches Theater: Er baute einen Komödientempel auf dem Roten Platz in Moskau, in dem ausländische Theatertruppen auftraten.

Peter hatte jedoch viel dringendere Aufgaben. Aber seine Tochter, die Kaiserin Elisabeth Petrowna, schenkte den Künsten besondere Aufmerksamkeit. Unter ihr entstand die Akademie der Künste, in der professionelle Maler, Bildhauer und Architekten ausgebildet wurden. Unter ihr entwickelten französische Choreographen aktiv das Ballett, das bald das beste der Welt wurde.

Elisabeth initiierte auch die Gründung des ersten russischen Theaters. In ihm spielten zum ersten Mal professionelle Schauspieler, die eine spezielle Ausbildung absolviert hatten und für ihre Auftritte Honorar erhielten. Und zum ersten Mal wurden auf der Bühne dieses Theaters original russische Stücke aufgeführt – die literarische Dramaturgie war, dank Autoren wie Alexander Sumarokow, Wassilij Tredjakowskij und Denis Fonwisin, zu dieser Zeit gerade im Entstehen begriffen.

Den Anstoß für die Entwicklung des Schauspieltheaters gab jedoch zufällig ein einfacher Kaufmann aus der Provinzstadt Jaroslawl.

Fjodor Wolkow – ein Theaterlaie aus Jaroslawl

Im Jahr 1746 kam der junge Kaufmann Fjodor Wolkow aus Jaroslawl geschäftlich in die Hauptstadt St. Petersburg und besuchte eine Aufführung im Hoftheater. Die Handlung hinterließ einen nachhaltigen Eindruck bei ihm.

Trotz der Tatsache, dass er gerade ein riesiges Vermögen und Fabriken geerbt hatte, übergab Wolkow die Leitung aller Angelegenheiten an seinen Bruder und vertiefte sich in das Studium des Theaters und der Bühnengeschäfte.

In Jaroslawl versuchte sich Wolkow als Impresario und versammelte eine Truppe von reisenden Künstlern. Sie traten in einer Scheune auf und hatten großen Erfolg beim örtlichen Publikum. Bald darauf baute Wolkow ein Theater am Ufer der Wolga. Es war tatsächlich das erste öffentliche Spartentheater in Russland.

Komödien waren besonders beliebt, aber auch Tragödien fanden ihre Liebhaber. Auf der Bühne seines Theaters inszenierte Wolkow die erste russische Tragödie: Chorjew von Alexander Sumarokow.

Der Kaufmann, der der Vater des russischen Theaters wurde

Gerüchte über diese Inszenierungen drangen bis zur Kaiserin, und 1752 gab Wolkows Truppe auf ihre Einladung hin Vorstellungen in Zarskoje Selo. Elisabeth Petrowna gefielen die Stücke und sie ordnete an, die Schauspieler zu einer professionellen Ausbildung in Tanz, Musik, Sprachen und anderen Feinheiten der Schauspielerei zu schicken.

Und bereits am 30. August 1756 unterzeichnete die Kaiserin ein Dekret über die Gründung des Russischen Theaters für die Aufführung von Tragödien und Komödien. Dieses Datum gilt als der Geburtstag des russischen Theaters.

Wolkow leitete die Truppe und wurde auch der erste und führende Schauspieler. Der Dramatiker Sumarokow wird zum Direktor ernannt, trat aber bald zurück und 1761 wird Wolkow auch Direktor des Theaters. Die Kaiserin verlieh ihm einen Adelstitel und gewährte ihm ein Salär.

Fjodor Wolkow schrieb auch seine eigenen Stücke und war als Bühnenbildner tätig. Der Höhepunkt seiner Karriere war die dreitägige Maskerade Jubelnde Minerva, die er anlässlich der Krönung von Katharina II. inszenierte. Der Legende nach erkältete sich Wolkow während der Maskerade, erholte sich kaum und starb kurz darauf mit gerade einmal 34 Jahren an einer Blinddarmentzündung.

Das erste russische öffentliche Theater existiert noch immer in St. Petersburg – heute heißt es Alexandrinskij-Theater.