Tino Eisbrenner: „Mit Liedern kann ich was erreichen“

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Einst tourte er als Sänger der DDR-Band Jessica durch den Ostblock, seit einigen Jahren ist er als Solist unterwegs. Im Gespräch mit RBTH erzählt Tino Eisbrenner von Beatlemania-ähnlichen Zuständen, seinem Stasi-Song und wie der Fall der Mauer fast seine Karriere beendet hätte.

Der Rockpoet Tino Eisbrenner steht seit dreißig Jahren auf der Bühne. In der DDR war er Sänger der populären Band Jessica – Markenzeichen: rotes Käppi – und tourte durch den ganzen Ostblock. In letzter Zeit mischt er bei Projekten russischer Künstler mit, etwa bei „Rustalgia“ des Sängers und Autors Pavel Gayda. Am 25. Januar spielt Tino Eisbrenner im Russischen Haus in Berlin ein Geburtstagskonzert für die 1980 verstorbene Musiklegende Wladimir Wyssozki. RBTH traf den Vollblut-Musiker zum Interview.

RBTH: Wie war es, ein Star in der DDR zu sein?

Tino Eisbrenner: Auf jeden Fall anders als im Westen. Wir standen etwas mehr auf dem Boden der Tatsachen. Und sehr oft hatten wir eine solide musikalische Ausbildung! Die abgehobenen Verrücktheiten wollte man im Sozialismus nicht haben, wir sollten auf dem Teppich bleiben. Das Wort „Star“ war da nicht so wichtig. Man war einfach bekannt und konnte seine Musik machen.

Und die Fans?

Natürlich! Manchmal habe ich gedacht, wir sind die Beatles. Die Hotels wurden geradezu belagert und wir bekamen ständig säckeweise Fanpost. Wir hatten 15 Fanclubs und wir versuchten auch, uns um die Fans zu kümmern – so gut das eben ging.

Ihr wart ja sehr jung …

Heute würde man sagen, wir waren eine Boyband. Doch das wäre falsch, weil die Boybands heutzutage keine Instrumente spielen, sondern nur tanzen und singen. Wir waren, was Musik betrifft, sehr stark von The Police und U2 inspiriert. Und ja, jung waren wir, genau wie unser Publikum. Als die Mauer fiel, war ich 27.

Ich finde den Text von eurem ersten Hit „Ich beobachte Dich“ wirklich gut. Unheimlich tief für einen Popsong.

… und doppeldeutig. Man hat ihn als „Stasi-Song“ bezeichnet. Bewusst wurde uns das 1985, als wir bei einer großen Veranstaltung auf dem Marx-Engels-Platz in Berlin spielen sollten. Die zehn bekanntesten Bands der DDR waren eingeladen. Wir wollten natürlich „Ich beobachte Dich“ spielen, das war ja unser einziger Hit damals. Doch das hat man uns nicht gestattet. Als wir nach dem Grund fragten, kam die Antwort: „Da unten sind so viele von der Stasi, die kommen sich dann verarscht vor.“ Also haben wir einen zweiten Hit geschrieben: „Bring mir die Sonne“. Und dass „Ich beobachte Dich“ ein Stasi-Song ist, hat sich sofort rumgesprochen im Land. Schließlich haben wir diese Geschichte in jedem Interview erzählt.

Mögen Sie ihn noch?

Ich fange heute damit an! Er ist immer irgendwie dabei. Nur wenn ich meine literarischen Programme mache, Brecht oder Heyne, dann hat er dort nichts zu suchen.

Nach der Wende lebten Sie bei den Indianern. Wie kam es dazu?

Nach der Wende war es ja, als hätte jemand den Stecker gezogen. Und wir konnten nichts dafür. Wir haben nichts falsch gemacht. Manchmal gibt es einen Karriereknick, weil man Fehler gemacht hat – nicht in diesem Fall. Uns wollte keiner mehr hören, weil alle nach Westen horchten. Die DDR-Musik spielte keine Rolle mehr.

Was haben Sie getan?

Ich habe mich gefragt: Was wolltest du vorher werden, bevor die Band kam? Ich wollte Schauspieler werden. Und warum wollte ich Schauspieler werden? Weil ich als Kind immer ein Indianer werden wollte. Die Mauer ist offen, habe ich mir gesagt, du kannst jetzt zu den Indianern! Und da bin ich bei den Maya gelandet, auf Yucatán. Habe mit denen gelebt und angefangen, Projekte zu machen. Bis heute kommen Schamanen aus Mexiko zu mir auf den Hof und geben Seminare.

Die Musik blieb auf der Strecke?

Der Schamane sagt: „Du sollst immer mal die Spur wechseln“. Das habe ich intuitiv getan. Habe alles vergessen und bin zu den Indianern gegangen. Es hat sich dort so viel relativiert, ich konnte entspannt darüber nachdenken, was ich eigentlich machen will. Und da habe ich festgestellt: Ich will weiter Musik machen, weil ich das am besten kann. Und zwar in Deutschland und auf Deutsch.

Und wie kam Russland in Ihr Leben?

Russland war immer präsent. Weil wir russische Märchen gesehen haben, weil wir in der Sowjetunion auf Tournee waren, weil wir viele Russen kennengelernt haben. Wir sind ja die Generation, deren Eltern noch im Krieg geboren sind. Die bei ihren Eltern als Vier- bis Fünfjährige noch gehört haben: „Die Russen kommen!“ Diese Angst. Und dann haben wir selbst gesehen, wie Russland mit Deutschland nach dem Krieg umgegangen ist – wie viel Liebe und Mühe da drin steckte.

Deswegen bin ich überhaupt nicht einverstanden mit der Entwicklung, die gerade stattfindet. Mit dem, wie die Deutschen den Blick auf Russland serviert bekommen. Dass Russland als böser Dämon dargestellt wird. Wir sagen zwar noch nicht „Russland“, wir sagen „Putin“, aber Russland ist damit doch schon längst gemeint. Ich bin nicht in der Politik. Doch ich kann mit Liedern was erreichen. Als Erstes habe ich den James-Bond-Song „From Russia with Love“ ins Deutsche übersetzt. Es ist, schwer vorstellbar, ein unglaubliches Liebeslied an Russland. Und wenn im Publikum nur jeder Fünfte sagt: „Er hat eigentlich recht, Russland ist gar nicht so böse“, bin ich zufrieden.

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