Eiserne Frauen: Warum stellen russische Portiers so viele Fragen?

Varvara Grankova
Die meist älteren und weiblichen Portiers halten mit ihren wachsamen Augen die Hauseingänge russischer Städte frei und ruhig – zumindest tun sie alles, um dieses Ziel zu erreichen. Viele lieben und respektieren sie, andere fürchten und hassen sie. Auf jeden Fall aber muss man verstehen, dass die russischen Portiers (auf Russisch „concierge“) ein ganz besonderer Schlag Mensch sind.

Wenn Sie eine von ihnen kennen, kennen Sie sie alle, sagt man. Sie versuchen, wahrscheinlich zum ersten Mal, einen Freund zu besuchen, der in einem Apartmenthaus wohnt – die Tür steht weit offen. Doch Vorsicht, das ist eine Falle: Bevor Sie es in den Fahrstuhl schaffen, holt sie ein lauter Ruf ein. „Hey Sie, halt! Wo gehen Sie hin? In welche Wohnung?“ Und seien Sie sicher: Man wird Sie nicht weitergehen lassen, bis Sie die Nummer der Wohnung genannt haben.

Höchstwahrscheinlich reden Sie mit einer klassischen russischen Babuschka, einer Frau in ihren Sechzigern oder Siebzigern mit starken Nerven und einer ganz eigenen Meinung über alles, was in der Welt vorgeht, und warum man daran nichts ändern könne. Portiers in Apartmenthäusern sind für gewöhnlich Frauen genau dieser Art.

Dies kommt so häufig vor, dass es im Russischen sogar eine weit verbreitete weibliche Form des Wortes „concierge“ gibt – consierge-ka. Wer sind also diese besonderen Babuschkas und warum machen sie sich die Mühe, jeden zu fragen, wohin man so geht?

Keine Oligarchen

Für gewöhnlich sind jene Frauen, die als Portiers arbeiten, nicht reich. Sie versuchen, sich etwas zu ihrer Rente dazu zu verdienen. Schließlich beträgt die durchschnittliche russische Rente im Jahr 2017 nur rund 13 700 Rubel oder 200 Euro. Laut einem im Jahr 2016 von der russischen Zeitschrift „The Village“ durchgeführten Interview mit vier Portiers aus verschiedenen Apartmenthäusern sind auch deren Gehälter keine Goldgrube: Sie bewegen sich zwischen 9 000 und 12 000 Rubel, also zwischen 132 und 176 Euro.

Diese Gehälter setzen sich aus kleinen Monatsbeiträgen zusammen, die jede Wohnung zahlt. Manchmal kommen zusätzliche Zahlungen der Stadt hinzu, was aber nicht immer der Fall ist. Somit ist es für das ganze Haus überaus wichtig, gemeinsam und regelmäßig zu zahlen. Es kann jedoch schwierig sein, hierbei eine Einigung zu erzielen.

Fast immer gibt es ein paar Leute, die der Meinung sind, dass ein Portier nicht notwendig sei. Das führt manchmal zu ernsthaften Streitigkeiten zwischen den Bewohnern und zu verspäteten Lohnzahlungen an die Babuschkas. Von Zeit zu Zeit müssen sie sogar kündigen, um in einem großzügigeren Haus zu arbeiten.

Warum gibt es sie?

Das ist eine der Fragen, die für gewöhnlich jene Menschen stellen, die gegen die Idee sind, für einen Portier aufzukommen. Sie bezweifeln, dass solche Wächter das Haus sicherer machen, da diese Frauen in einem speziellen Raum in der Nähe des Hauseingangs sitzen und Diebe kaum davon abhalten können, die Apartments in den oberen Stockwerken auszunehmen.

Sie können auch nicht immer verhindern, dass Randalierer, wenn sie denn auftauchen, die Fahrstühle verwüsten. Darüber hinaus beschweren sich einige darüber, dass es die Portiers unschuldigen Gästen schwerer machen, in das Gebäude zu gelangen, indem sie diese durch ihre Fragen und ihr Misstrauen behindern.

Der andere Nachteil einiger Portiers betrifft nicht alle Bewohner, aber doch so manchen. Einige dieser Frauen sind überaus neugierig und dringen in die Privatsphäre anderer ein, indem sie Gerüchte verbreiten oder jeden, den sie nicht mögen, kritisieren. Das kann sehr störend sein.

Die heilige Mission

Natürlich gibt es auch Menschen, die Portiers mögen und sie in Schutz nehmen, in dem sie zeigen, dass ihr Job sinnvoll und nützlich für die Gesellschaft ist. „Wenn etwas passiert, können sie immer die Polizei rufen. Sie wischen auch jeden Tag die Fußböden und dekorieren den Eingang mit Blumen“, ist ein typischer Satz, den man in einem Internetforum der Portier-Befürworter und -Gegner finden kann.

Was die Babuschkas selbst angeht, sind viele von ihnen wirklich stolz auf den Job, den sie ausüben. „Was bedeutet es, einen Portier im eigenen Apartmenthaus zu haben? Es bedeutet, Sauberkeit, Schönheit und Sicherheit genießen zu können“, sagt die 69-jährige Swetlana der Zeitschrift „The Village“. „Wenn Sie einen freien Zugang zum Hauseingang haben, kann jeder hereinspazieren. Diese Leute können hier Alkohol trinken und pinkeln.“

Die Portiers tun mehr als nur den Hauseingang vor Eindringlingen zu schützen. Wie andere Portiers sagt auch die 76-jährige Nina, dass sie die Kommunikationsanlagen und die Elektrizität im Haus überprüfen und Bewohnern dabei helfen, Spezialisten zu rufen, wenn sie diese brauchen. Manche der Frauen können auch wirklich nett sein und freunden sich mit den Bewohnern des Hauses an. Letzten Endes sind all die Fragen, die sie den Unbekannten stellen, nicht schwer zu beantworten: Bleiben Sie einfach nett und höflich und schon sind Sie am gewünschten Ziel angelangt.

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