Wie sehen sie aus?
Die Bewohner des russischen Fernen Ostens bekommt man selten zu Gesicht. Deshalb macht es manchmal den Eindruck, als würden sie irgendwo am Ende der Welt festsitzen und leiden. Die Bewohner der zentralen und europäischen Teile Russlands, gehen, wenn sie es je tun, in der Regel nur in den Fernen Osten, um mehr Geld zu verdienen, da die Gehälter aufgrund der harten Wetterbedingungen um 50 bis 60 Prozent höher als in anderen Landesteilen sind. Die Leute in Wladiwostok, das 9 000 Kilometer nordöstlich von Moskau liegt, machen sogar darüber Witze: Die meisten, die mit dem Auto nach Wladiwostok kommen wollen, verzweifeln auf halber Strecke und kehren um.
Tatsächlich stört es einen typischen Bewohner des russischen Fernen Ostens nicht, dass das „Festland“, wie sie Zentralrussland nennen, weit entfernt liegt. Sie nehmen von ihrem „Inselsyndrom“ nur dann Abstand, wenn es um die Reisekosten geht. Ein typisches Zitat aus einem Onlineforum dazu lautet: „Weißt du, was der Haken ist? Wenn du dich entschließt, morgen in die Tschechische Republik oder sonst wohin zu reisen, tust du es einfach. Ich indessen schaue mir die Aeroflot-Preise an und meine Begeisterung schwindet.“ Doch abgesehen davon sind die Ereignisse auf dem „Festland“ für sie von geringer Bedeutung.
Wenn ein Bewohner des Fernen Ostens in Moskau oder Sankt Petersburg landet, sind sie enttäuscht: Alle Ortsansässigen verschmelzen zu einer grauen Masse und sind so verschieden von ihnen selbst. Das gilt insbesondere für die Frauen aus Wladiwostok. „Es war nicht wichtig, ob man in die Berge oder woanders hinging: In den 1980er Jahren trugen alle Frauen Absätze und Ledermäntel, die damals modisch waren. Natürlich haben sie es ab und zu auch übertrieben. Zum Beispiel mit dem Tragen von Diamanten in Fintnessstudios. Heute sind die Frauen in Wladiwostok jedoch gut und geschmackvoll gekleidet“, sagt Elena Belous, die aus dieser Stadt kommt.
Und noch etwas: Die Leute dort reden viel schneller als in anderen Teilen von Russland.
Wo gehen sie aus?
In ländlichen Siedlungen im Fernen Osten, besonders in den abgelegenen Gegenden, gibt es nicht sehr viele Unterhaltungsmöglichkeiten. Was die Bewohner aber definitiv tun können, ist, in den heimischen Bergen Snowboarden zu gehen und die Nordlichter in „Boxenstopps“ zu beobachten, wie die Cafés mit Durchfahrtsbedienung von den Ortsbewohnern genannt werden, die recht gute Abendessen zu bieten haben.
Im Sommer strömen die Bewohner des russischen Fernen Ostens in das lokale Ferienmekka – die Region Primorje am Japanischen Meer. Es macht zuweilen den Anschein einer Massenwallfahrt mit Zelten, die von Ende Juni bis Oktober dauert. Die lokale Bevölkerung ist natürlich von der Invasion der „Waräger“, die die besten Plätze unter der Sonne einnehmen, nicht so begeistert, doch sie verstehen, dass diese nirgendwo sonst hingehen können.
Welches Fahrzeug fahren sie?
Keine andere russische Region hat so viele Autos wie der Ferne Osten. Dennoch ist es dort genauso schwierig ein russisches Auto zu sehen, wie einen Tiger auf der Straße zu treffen.
In Kamtschatka beispielsweise gibt es 472 Fahrzeuge pro 1 000 Einwohner, der russische Durchschnitt beträgt hingegen 285 Fahrzeuge(rus). Darüber hinaus werden dort mindestens drei Viertel der Fahrzeuge aus dem nahen Japan, China und Korea gekauft und haben das Lenkrad auf der rechten Seite.
Diese Fahrzeuge sind, so scherzt man, eine Quelle der Inspiration für die Bewohner des russischen Fernen Ostens. Lieder, Romane und Gedichte mit Zeilen wie „das Lenkrad ist rechts, das Herz ist links“ sind ihnen gewidmet. Es gibt sogar eine lokale Biermarke namens „Praworulnoje“, die übersetzt so viel wie „Rechtsverkehr“ heißt.
Was machen sie?
Fast jeder von ihnen war mindestens ein Mal im Leben in Asien. Sie lieben Leute aus den asiatischen Nachbarländern und beschreiben sie oft als freundlich und liebenswert. Ihre Einkäufe machen die Bewohner des russischen Fernen Ostens auf Online-Plattformen wie AliExpress und verdienen damit oft Geld.
Des Weiteren haben sie eine besondere Beziehung zu Geld, denn fast jeder dort besitzt Ersparnisse. Das soll nicht heißen, dass alle Bewohner ausnahmslos umsichtig sind, sondern vielmehr, dass ein typischer Bewohner des russischen Fernen Ostens den Traum hegt, an einem anderen, wärmeren Ort zu leben.
Ziehen sie jedoch tatsächlich weg, vermissen sie ihren Heimatort schnell. „Als wir nach Moskau zogen, kam ich an einen See, deckte mein Gesicht mit meinen Händen zu, so, dass nur Wasser in Sicht war und stellte mir vor, es wäre das Meer“, sagt Anna Schitz-Bulawina.
Weitaus häufiger jedoch machen die Menschen schlicht und ergreifend einen langen Urlaub, da sie laut Gesetz Anspruch darauf haben. Danach sind die Dinge für eine Weile wieder im Lot. Die Bewohner wissen, dass der Ferne Osten ein Ort ist, von dem man sich ab und zu erholen muss.
Ähnlich verhält es sich mit dem roten Kaviar, der in der Tat häufig eimerweise in den Kühlschränken der Ortsbewohner zu finden ist.
Auch was Bären angeht, stimmen die Geschichten. Die Einwohner witzeln oft, dass man, um ein richtiger Bewohner der fernöstlichen Region zu werden, einen Bären aus 15 Meter Entfernung sehen und diese Begegnung überleben muss.