Obwohl es den professionellen Frauenfußball in Russland seit mehr als 30 Jahren gibt, liegt er immer noch weit hinter dem Status und Ansehen, den er in Deutschland, den USA und England genießt, zurück. Die russische Nationalmannschaft, die auf Platz 26 der Weltrangliste (eng) steht, hatte bisher nur zwei große Erfolge vorzuzeigen: Im Jahre 1999 und 2003 erreichte sie das Viertelfinale bei der Weltmeisterschaft.
Trotz der Tatsache, dass der russische Staat versucht, die derzeitige Situation zu ändern, gibt es immer noch ein paar wichtige Faktoren, die den Frauenfussball am Wachstum und seiner Weiterentwicklung hindern.
„Kein Sport für Frauen“
Das Hauptproblem ist die vorherrschende skeptische Einstellung gegenüber Frauen, die Fußball spielen. „Fußball ist nichts für Frauen“ ist beispielsweise ein Ausdruck, den die Fußballerinnen oft zu hören bekommen. Dennoch bedeutet das nicht, dass es niemand genießt, ein Frauenfußballspiel zu sehen.
„Manche Menschen überrascht es zu hören, dass Frauenfußball überhaupt existiert. Manche sind regelrecht erstaunt“, erklärt Anna Koschnikowa, die Abwehrspielerin der russischen Nationalmannschaft und des FC Lokomotive, Russia Beyond. „Zudem gibt es eine Menge Negativität. Die Leute können einem sogar sagen, dass man zurück in die Küche gehen soll, als ob das alles wäre, wofür man taugt“, fügt sie hinzu.
„Als ich jünger war, war jeder überrascht: ein Mädchen und Fußball! Viele finden das inkompatibel. Viele sagen, das sei kein Sport für Frauen“, sagt (eng) ZSKA-Spielerin Karina Blinskaja.
Die Skepsis gegenüber dem Frauenfußball gibt es nicht nur bei einfachen Leuten, sondern auch im Profisport. So äußerte (rus) sich zum Beispiel einer der führenden russischen Fußballkommentatoren, Wassilij Utkin, kürzlich in seinem Radioprogramm „Der Fußballclub“: „Frauen an sich sind viel spannender als Frauenfußball... Frauenfußball ist nur für diejenigen interessant, die keinen Zugang zum Männerfußball haben. Zum Beispiel für die Amerikaner. Die Mädchen dort spielen oft Football oder Fußball.“
„In Russland galt Fußball noch nie als eine geeignete Sportart für Frauen. Die Eltern denken nicht daran, dass ihre Tochter ein Fußballtalent sein könnte. Sie kann zeichnen, Volleyball oder sogar Handball spielen, aber bestimmt nicht Fußball“, sagt (rus) Alla Filina, die Mitbegründerin und Trainerin der privaten Fußballschule „#TagSport“.
Zu wenige Spielerinnen
Die skeptische Einstellung schadet den Investitionen in den Frauenfußball, die wiederum zu wenigen Informationen über den Sport und wenigen Trainings- sowie Spielmöglichkeiten für Mädchen führen.
„Als ich mich zum ersten Mal für Fußball interessierte, hatte ich keine Ahnung, dass es weibliche Teams und Turniere gibt. Ich habe als Kind mit dem Fußballspielen begonnen, obwohl es keine anderen Mädchen gab“, erinnert sich Anna Koschnikowa.
Aus heutiger Sicht gibt es zu wenige spezialisierte Fußballakademien für Frauen. „Die Entscheidung des FC Krasnodar, eine Fußballschule für siebenjährige Mädchen zu gründen, finde ich großartig. Ich hoffe, dass andere russische Profivereine diese Initiative unterstützen“, sagt Anna. „Wir brauchen einen seriösen und professionellen Ansatz, um gute Ergebnisse zu erzielen“, fügt sie hinzu.
Ungefähr 30 000 Frauen spielen in Russland Fußball. Über 11 000 von ihnen sind Amateure und nur 200 spielen professionell in acht Mannschaften der russischen Oberliga.
„In so einem riesigen Land gibt es nur acht Teams!“, sagt Anna Koschnikowa. „Bei der Meisterschaft haben wir 14 Spiele und zusätzlich noch einige Pokalspiele. Das ist nichts im Vergleich zu Europa.“In der deutschen und schwedischen Oberliga gibt es nämlich zwölf, in der schottischen 16 und in den zwei Bereichen der höchsten englischen Fußballliga für Frauenfußball-Mannschaften 20 Teams.
Der russische Staat versucht jedoch, die Situation zu ändern. Ein neues Entwicklungsprogramm zum Beispiel soll die Anzahl der Profifußballerinnen bis zum Jahr 2020 vervierfachen.
Zu wenige Fans
Die geringe Popularität des Sports führt zu geringer Besucherzahl bei den Spielen. Während in Europa und den USA Tausende Zuschauer anwesend sind, gibt es in Russland lediglich hunderte, wenn nicht gar dutzende Besucher.
Laut Anna Koschnikowa ist die Situation mit den Fans in jenen Frauenclubs besser, die auf der Grundlage der männlichen Teams, wie dem ZSKA, Jenisej und Lokomotive gegründet wurden. Dort bekommen die Frauen vonseiten der Männerteamfans weitere „Anhänger und eine ungewöhnlich nette Unterstützung“.
Auch was die Nationalmannschaft betrifft, muss die Situation noch besser werden. „Wir haben unsere Fans. Ich danke ihnen für ihre Unterstützung. Wir nehmen sie wahr, aber leider gibt es zu wenige von ihnen“, sagt Anna.
Wie macht man diese Sportart populär?
Alla Filina vermutet, dass nicht die fehlenden Investitionen, sondern die patriarchale Mentalität das Hauptproblem ist, das der Förderung des Frauenfußballs in Russland im Wege steht.
Sie glaubt, dass dieses Stereotyp nur gebrochen werden kann, wenn man das Gesamtsystem verändert, die rohe sowjetische Methode, die noch an Sportschulen praktiziert wird, nicht mehr anwendet, eine angenehmere Atmosphäre schafft und den Frauenfußball im Fernsehen beliebter macht. Das kann jedoch nicht durch die Übertragung der Spiele geschehen, da sie niemand anschaut, gibt Filina zu, sondern durch häufigere Auftritte der Spielerinnen in den verschiedenen Fernsehsendungen.
Die gleiche Meinung hat auch die russische Nationalspielerin Nelli Korowkina: „Es sollte mehr Werbung für Frauenfussball geben; man sollte die Spielerinnen in TV- und Radioshows einladen. Das wird dem Sport bei seiner Weiterentwicklung helfen.“
Auch große Siege steigern das Ansehen des Frauenfußballs in Russland. So gab es in der Zeit der Fußball-Europameisterschaft der Frauen 2017 nach dem „historischen Sieg“ über Italien ein deutliches Wiederaufleben des Interesses an dieser Sportart.