Frauenboxen: Diese Russin hat den richtigen Punch!

Anton Belitskij
Bevor sie endlich als Boxtrainerin akzeptiert und anerkannt wurde, musste Swetlana Andrejewa viele Hindernisse aus dem Weg räumen. Diskriminierung, männlicher Chauvinismus und die Angst vor einer Haftstrafe sind nur einige der Herausforderungen, die sie „wegboxen“ musste.

Wie Rocky Balboa

Als ich reinkomme, werde ich sofort an das Boxstudio erinnert, in dem einst Sylvester Stallone als Rocky trainierte. Es riecht nach Schweiß, ungewaschenen Socken und alten Turnschuhen. Man spürt förmlich die Energie dieses Ortes.

Die Trainerin kommt hinein und zieht direkt die Aufmerksamkeit der zahlreich erschienenen jungen Leute auf sich. Die Blondine hat eine Bulldogge auf ihr Handgelenk tätowiert, die amerikanischen Ureinwohner würden es wohl als ihr Totemtier bezeichnen. Swetlana Andrejewa, so ihr Name, ist eine der bekanntesten Boxerinnen Russlands. Auf Instagram bringt sie es auf mehr als 110 000 Follower. Sie schafft es, männlichen Pragmatismus mit einem femininen Touch zu verbinden. Die Lippen und Augenbrauen ließ sie sich tätowieren, das Haar unter ihrer Kappe ist gesträhnt und sie trägt Ohrringe mit blauen Edelsteinen.

Ich begann, um Geld zu kämpfen

Swetlana trifft uns in einem winzigen Raum, maximal vier Quadratmeter. Überall ist Fast Food: Pizza, Chinkali, Ossetischer Kuchen. Sie sagt, sie hätte weder Zeit noch Lust, zuhause zu kochen.

Die Wände des „Büros” sind geschmückt mit ihren Medaillen sowie mit Fotos der bekanntesten Boxer unserer Zeit. Um sie herum sitzen ihre Schüler: Streng aussehende Boxer, die ihrerseits ebenfalls Kinder in dem Boxstudio trainieren. Aufgrund ihrer Bekanntheit sind die Kurse immer so voll, dass sie zahlreiche Assistenten braucht, um alle Schüler betreuen zu können. Sie spielt an einem Zahnstocher rum und guckt uns angespannt an.

Ihre Karriere begann in den 90er-Jahren, als die Menschen in der damaligen Sowjetunion erstmals von Kampfkunstgrößen wie Bruce Lee, Jean-Claude van Damme oder Jackie Chan hörten. Swetlana war damals ein kleines Mädchen. Trotzdem schaffte sie es alleine nach oben.

Den ersten Kontakt mit der Welt des Kampfsportes machte sie nicht im Boxen sondern ausgerechnet im Taekwondo, also eher einer trittbetonten Kampfsportart.

„Damals wie heute gibt es kaum Frauen und Mädchen im Boxen. Ich musste mit den Männern trainieren und kämpfen. 2000 war ich schon nach Moskau gezogen und konnte mich nicht länger von meinen Eltern finanzieren lassen. Ich musste meine Finanzen selbst regeln und da es zu dieser Zeit in Russland weder Löhne noch Stipendien für Profisportler gab, begann ich um Geld zu kämpfen“, erinnert sie sich.

Im Alter von 20 Jahren hatte Swetlana ihren ersten „kommerziellen“ Kampf. Es war im Tropicana-Club in der Arbat-Straße mitten im Moskauer Zentrum.  

Nur um Haaresbreite dem Gefängnis entronnen

“Ich musste an Straßenkämpfen teilnehmen. Da gibt es keine schönen Geschichten. Wegen eines solchen Kampfes stand ich sogar mit einem Bein im Gefängnis. Es stellte sich heraus, dass Männer sich nicht immer wie Männer verhalten. Nachdem sie von einer jungen Frau geschlagen wurden, gingen einige direkt zur Polizei“, erzählt sie. „Einmal, während der freien Tage im Mai, veranstalteten wir ein Grillfest draußen auf dem Land und einige betrunkene Einheimische begannen, uns zu nerven. Sie belästigten meine Schwester und fragten sie, ob sie mit ihnen zusammen etwas trinken wollte. Sie lehnte ab, doch die Typen wollten es nicht verstehen. Also griff ich ein. Einer der Betrunkenen schubste und beleidigte mich. Ich warnte ihn, es nicht zu tun, doch er ging weiter auf mich los. Also schlug ich ihm ins Gesicht.“

Der Betrunkene und seine Freunde gingen in ein Krankenhaus, wo er sein Kinn operieren ließ. Anschließend zeigte er Swetlana wegen Körperverletzung an.

„Ich nahm die Situation nicht ernst. Ein Mann zeigt eine junge Frau an? Sagt, sie hätte sein Kinn gebrochen? Und das in Russland? Es schien unglaublich, bis ich auf der Zugfahrt zu einem anderen Turnier von Polizisten angesprochen wurde. Sie sagten mir, ich würde landesweit gesucht.”

Bis der Fall verjährt war, lebte Swetlana in permanenter Angst. „Ich hatte einfach Glück, dass ich seinerzeit durch das ganze Land von Wettbewerb zu Wettbewerb reiste. Ansonsten wäre ich ins Gefängnis gekommen, weil ich einen betrunkenen Belästiger geschlagen habe.“

Endlich akzeptiert  

Inzwischen trainiert Swetlana schon seit vielen Jahren Kämpfer in ihrem Boxstudio. Sie sagt, junge Männer kämen und hörten einer Frau zu.

„Am Anfang gibt es Misstrauen und verschiedene Missverständnisse, doch wenn jemand hierherkommt und vorher in anderen Clubs von selbsternannten Experten trainiert wurde, dann wird er merken, dass das hier, genau das ist, wonach er sucht“, sagt sie.

Heute ist ihre Boxschule so voll, dass man fast Angst hat, versehentlich selbst eine Faust ans Kinn zu kriegen.

Aber sind harte Herausforderungen und tägliches Training nicht am Ende des Tages der Stoff, aus dem Champions gestrickt sind?

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