Die dreijährige Sonja wurde mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte geboren. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Noch vor kurzem dachten ihre Eltern, die Diagnose sei eine Strafe fürs Leben.
In Russland werden Operationen bei Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte erst ab dem 5. Lebensjahr empfohlen. Doch in Nowosibirsk gibt es einen Chirurgen, der bereits Babys ab fünf Monaten operiert. „Ab dem 5. Lebensmonat beginnt die Sprachentwicklung, daher sollte die OP so früh wie möglich durchgeführt werden. So wird verhindert, dass ein Kind das Sprechen später neu lernen muss“, sagt Michail Kolybelkin, der in einem pädiatrischen Unfallkrankenhaus als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg arbeitet. Seit über 30 Jahren hilft er Kindern, die die unterschiedlichsten Fehlbildungen im Gesicht haben, Kindern wie Sonja. Die Operation der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist für ihn Routine. 70 bis 80 Mal im Jahr führt er den Eingriff durch.
Doch auch im Urlaub engagiert sich der erfahrene Chirurg für das Wohlbefinden anderer. Gemeinsam mit Medizinern der internationalen Hilfsorganisation Operation Smile bereist er die russischen Regionen und das Ausland, um dort kostenlos Kinder und Jugendliche zu operieren.
„Wir werden verehrt wie Heilige“
Die Organisation Smile wurde 1982 in den USA gegründet und ist seit 1995 auch in Russland aktiv. Ziel ist es, Kindern mit Fehlbildungen im Gesicht kostenlos zu helfen. Michail Kolybelkin ist seit 2003 dabei. „Zuerst kamen Chirurgen aus Amerika zu uns nach Nowosibirsk, um die Qualifikation der Ärzte zu überprüfen. Sie haben mich bei komplexen Operationen beobachtet und mich dann eingeladen, dem Team beizutreten.“ Seitdem hat Kolybelkin tausenden von Kindern in Russland und im Ausland geholfen: in Kenia, Indien, Marokko, China und Jordanien. „Kinder in Russland haben zwar einen Anspruch auf kostenlose medizinische Behandlungen, doch es gibt nicht in jeder russischen Region Spezialisten für diese Gesichts-OP“, erklärt Kolybelkin.
Im letzten August reiste er in die Republik Altai. Er wurde von Ärzten aus Minsk und Irkutsk begleitet. „In einigen Staaten müssen diese Operationen aus eigener Tasche bezahlt werden“, weiß der Arzt. „Wir fahren in diese Länder, wo die Eltern sonst tausende Dollar zahlen müssten und operieren unentgeltlich. Dafür werden wir an vielen Orten fast wie Heilige verehrt.“ Organisationen wie Smile sind für Eltern, die sich eine solche OP nicht leisten können, oft die einzige Möglichkeit, für ihre Kinder Hilfe zu bekommen.
„In Guangzhou waren wir in einer Klinik für traditionelle chinesische Medizin“, erinnert sich Kolybelkin. „Das Krankenhaus hatte die Größe eines russischen Bezirkskrankenhauses, doch nur zwei chirurgische Abteilungen. Auf uns warteten etwa 360 Patienten. In fünf Tagen führten wir 240 Operationen an neun Operationstischen durch, nur vier oder fünf davon waren richtige Operationstische. Ich operierte die Kinder auf einem gewöhnlichen Tisch, saß auf einem Drehstuhl und über mir hing irgendeine Art von Lampe. Jeder Eingriff dauert etwa anderthalb Stunden. Wir standen jeden Tag zehn bis zwölf Stunden im OP. In China kostet eine solche Operation je nach Komplexität zwischen 1 000 und 3 000 Dollar“, berichtet der Mediziner.
„Es gibt tausende Ärzte wie mich“
Für Michail sind diese Hilfsmissionen im Ausland eine Gelegenheit, Land und Leute kennenzulernen, ihren Alltag und ihre Probleme. Auf die Frage, ob er es nicht leid sei, sein Leben im OP zu verbringen, antwortet er: „Ich bin viel erschöpfter, wenn ich nichts tue. Während einer Operation tauchen Sie in eine eigene Welt ein. Zeit und Raum spielen keine Rolle mehr. Das ist meine Berufung und mein Lebensinhalt.“
Aus dem ganzen Land kommen die Kinder, die ihm vorgestellt werden. Doch Kolybelkin bleibt bescheiden und betrachtet sich nicht als jemand besonderes. Im Krankenhaus gebe es viele gute Ärzte, sagt er. Doch er wurde 2018 in seiner Region zum Arzt des Jahres gekürt. „Warum sollte ich der Beste sein? Es gibt tausende solcher Ärzte wie mich“, sagt er. „Es gibt Ärzte, die führen komplexe Organtransplantationen durch. Doch ich freue mich natürlich sehr über diese Anerkennung durch meine Kollegen. Es ist ein Meilenstein in meiner 32-jährigen Berufstätigkeit.“
Michail Kolybelkins Sohn ist in die Fußstapfen des Vaters getreten und ebenfalls Kinderarzt geworden. „Er ist meine rechte Hand. Ich weiß, dass die Arbeit fortgesetzt wird, auch wenn ich nicht da bin. Es gibt würdige Nachfolger.“ Konstantin ist inzwischen selbst ein erfahrener Arzt und im Ausland anerkannt. Auch er arbeitet für die Hilfsorganisation Smile und reist um die Welt, um Kinder kostenlos zu operieren. Er war bereits zweimal auf den Philippinen und in Indien.