Am 3. September 1830 fuhr Puschkin auf das elterliche Gut Bolschoje Boldino in der Region Nischnij Nowgorod. Er wollte den Besitz des Dorfes Kistenjewo antreten, das ihm sein Vater anlässlich seiner Hochzeit geschenkt hatte. Bereits im Mai 1830 hatten Alexander Puschkin und Natalja Gontscharowa ihre Verlobung bekannt gegeben, doch die Hochzeit wurde den ganzen Sommer über verschoben und nun gab es einen weiteren unangenehmen Umstand: Auf Anordnung des Innenministers, Graf Sakrewskij, wurde wegen einer Cholera-Epidemie in Russland eine Quarantäne verhängt.
Porträt von Alexander Puschkin ( Pjotr Kontschalowski, 1932)
Ignatovich/RIA NovostiGemäß der Anordnung von Sakrewskij über Maßnahmen zur Bekämpfung der Cholera-Epidemie war der Adlige Puschkin verpflichtet, auf Vorschlag des örtlichen Adelsführers eine öffentliche Position einzunehmen und im Kampf gegen die Cholera zu helfen. Der Dichter lehnte dies rundweg ab.
Puschkin wusste jedoch die Vorteile der Isolation zu nutzen. „Was für ein bezauberndes Dorf! Stellen Sie sich vor: Rundherum Steppe und keine Nachbarn. Man kann hier reiten, so viel man will, man kann zu Hause sitzen und schreiben, niemand wird stören“, schrieb er einem Freund. Der erzwungene Rückzug wirkte sich auch auf das Aussehen und den Tagesablauf des Dichters aus. Seiner Braut schrieb er: „Ich lasse meinen Bart wachsen – ist das nicht fulminant? Auf der Straße werde ich als Onkelchen angesprochen. Ich wache um sieben Uhr auf, trinke Kaffee und liege dann bis drei Uhr. Bis vor kurzem habe ich mir die Seele vom Leib geschrieben. Um drei Uhr setze ich mich aufs Pferd, um fünf Uhr bin ich in der Badewanne und esse danach Kartoffeln und Buchgrütze. Bis 9 Uhr lese ich.“
Boldino
Alexey Beloborodov (CC BY-SA 3.0Die Zeit in der Quarantäne war wahrscheinlich Puschkins fruchtbarste Schaffensperiode. Er schrieb Kapitel 8 und 9 von Eugen Onegin zu Ende; verfasste Die Geschichten des verstorbenen Iwan Petrowitsch Belkin, denen zum Großteil seine Beobachtungen des Lebens auf dem Dorf zugrunde liegen. Diese Periode wird als Herbst in Boldino bezeichnet.
Und Puschkin hielt von der Kanzel der Ortskirche vor den Bauern seines Gutes einen Vortrag über die Cholera. Nach den Worten seines Zeitgenossen Peter Boborykin sagte er ihnen: Und die Cholera kam über euch, Brüder, weil ihr den Leibzins nicht zahlt, sondern euch dem Trunk ergeben habt. Und wenn ihr so weitermacht, werdet ihr ausgepeitscht. Amen!“ Offenbar war dies das einzige, was er „für die Gesellschaft“ zu tun bereit war, nachdem er bereits eine persönliche Aufforderung von Minister Sakrewskij erhalten hatte. Puschkin kehrte erst am 5. Dezember, als die Cholera-Epidemie vorüber und die Quarantäne aufgehoben worden war, nach Moskau zurück.
Die sowjetischen Historiker mussten den Aufenthalt Lenins in Schuschenskoje als Zwangsexil beschreiben. Tatsächlich aber lebte er dort wie in einem Ferienort.
1895 war der 25-jährige Wladimir Uljanow bereits eine berühmte revolutionäre Figur. Er gründete und leitete den Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse, eine politische Organisation für revolutionäre Propaganda. Doch bereits einen Monat später wurden die wichtigsten Mitglieder, darunter Lenin, verhaftet. Lenin verbrachte mehr als ein Jahr in Untersuchungshaft und wurde 1897 für drei Jahre in das Dorf Schuschenskoje in Sibirien verbannt.
Dort wohnte er in einem 14-m²-Zimmer im Haus des wohlhabenden Bauern Syranow. Lenin hatte den Status eines Exilanten ohne das Recht auf Arbeit. Er erhielt eine Zuwendung von 8 Rubel und 17 Kopeken pro Monat. Nadeschda Krupskaja, die später zusammen mit Lenin im Exil lebte, schrieb, Lenin bekam für dieses Geld „ein sauberes Zimmer, Verpflegung, das Waschen und Flicken seiner Kleidung – und das galt als teuer bezahlt.“
Wladimir Lenin und Nadeschda Krupskaja in Schuschenskoje. (Timofej Koslow, 1961)
Omsk Regional Museum of Fine ArtsZweimal täglich kam der Wachtmeister, um Lenin zu inspizieren. Aber bald schon wurde vereinbart, dass der Hausherr Syranow sich um Lenin „kümmern“ werde. Auf diese Weise wurde die Aufsicht aufgehoben. Bald schon durfte Lenin zur Jagd gehen.
Im Juli 1898 heiratete Lenin Nadeschda Krupskaja, die sich als Mitglied des Kampfbundes ebenfalls in der Verbannung befand. Nun durfte sie zusammen mit ihrem Mann in Schuschenskoje leben. So wurde die Strafe zu einer Hochzeitsreise. Krupskaja erhielt auch eine staatliche Zuwendung, so dass sie mehr als genug zu essen hatten, zumal Krupskajas Mutter ihnen auch noch Geld zukommen ließ. Das Ehepaar konnte es sich gut gehen lassen: Sie stellten eine 13-jährige Bäuerin als Dienstmädchen ein und ließen sich Bücher aus Moskau und St. Petersburg schicken. Krupskaja schrieb an Lenins Mutter und Schwestern: „Ich bin es nicht gewohnt, Wolodja in einem solch gesunden Zustand zu sehen, in St. Petersburg hat er immer gekränkelt.“
Lenin nutzte die Verbannung zur Arbeit. Hier schrieb er mehr als dreißig seiner Werke. Zu dem korrespondierte er mit anderen Revolutionären – offensichtlich wurden seine Briefe nicht kontrolliert, denn Lenin gelang es, ein ganzes Kontaktnetz aus Sozialdemokraten aufzubauen.
Das Haus in Schuschenskoje, in dem Wladimir Lenin lebte.
Vyacheslav Bukharov (CC BY-SA 4.0)Am Ende des Exils genoss Lenin bereits größere Freiheiten. So feierte er mit seiner Frau den Jahreswechsel 1898/99 in der nahe gelegenen Stadt Minusinsk zusammen mit 14 anderen Gästen in der Wohnung des Exilrevolutionärs Gleb Krschischanowski. „Wir haben uns ordentlich ausgetobt. Unsere gesunde, vom Landleben geprägte Gesichtsfarbe rief allseitige Bewunderung hervor“, schrieb Krupskaja. Lenin und Krupskaja lebten noch ein Jahr in Schuschenskoje und kehrten 1900 in die zentrale Provinz zurück. Dort setzten sie, ausgeruht und gestärkt, ihre revolutionäre Tätigkeit fort.
Am 13. März 1964 wurde Brodsky wegen seiner „parasitären Lebensweise“ für fünf Jahre „mit obligatorischer Heranziehung zur Arbeit“ in das Dorf Norinskaja im Gebiet Archangelsk verbannt.
Gegen Brodsky war ein Schauprozess veranstaltet worden – er galt als ideologisch gefährlich für die Behörden. Der Dichter hatte gelebt, geschrieben und kommuniziert, als ob die UdSSR gar nicht existierte. Deshalb wurde Brodsky durch die Leningrader Abteilung des KGB von seinem Freundeskreis „isoliert“.
Zuerst lebte Brodsky drei Monate lang in einem Zimmer, dann zog er in eine Hütte, die einem Dorfbewohner gehörte. Als Arbeiter der Sowchose, des staatlichen Landwirtschaftsbetriebs, gehörte es zu Brodskys Aufgaben, Dünger vorzubereiten, das Ackerland von Steinen und Baumstümpfen zu säubern, Getreide zu verladen und vieles mehr. Der 24-jährige Dichter hatte bereits früher in einer Fabrik gearbeitet und an einer geologischen Expedition teilgenommen, aber mit der Landarbeit kam er nur schlecht zurecht und konnte nicht mit den Dorfbewohnern mithalten. Selbst das Weiden von Kälbern war für ihn kaum zu bewältigen: Die Rinder rannten fort, als ob sie den Stadtbewohner riechen könnten.
Später gelang es ihm, in einem Haushaltsdienstleistungsbetrieb im Städtchen Konoscha eine Stelle als Außendienst-Fotograf zu bekommen – Brodsky hatte das Fotografieren bei seinem Vater, einem Kriegskorrespondenten, erlernt. Um aus dem Dorf in die Stadt zu gelangen, fuhr Brodsky mit einem Fahrrad, das ihm seine Freunde geschickt hatten. Die Pakete mit Lebensmitteln, Geld und Büchern, die ihm Freunde und die Familie schickten, waren dem Dichter eine wahre Hilfe und Ermutigung. Während seines Exils durfte er mehrmals zu Kurzreisen nach Leningrad fahren.
Für Brodsky waren die Lebensbedingungen im Exil paradoxerweise besser als zu Hause in Leningrad, wo er mit seinen Eltern in einer „Anderthalbzimmer“-Gemeinschaftswohnung lebte. Da er alleine war und viel Zeit hatte, war er literarisch sehr produktiv – er schrieb über 150 Gedichte, darunter solche, die seiner Liebsten Marina Basmanowa gewidmet waren. Kurz vor dem Prozess hatten sie ihre Beziehung beendet, aber Basmanowa besuchte ihn im Exil.
Joseph Brodsky in Norinskaja
Joseph Brodsky Museum in NorinskayaIn einem Interview im Jahr 1982 sprach der Dichter über die Verbannung: „Es war eine sehr fruchtbare Zeit. Ich habe viel geschrieben. Es gab Zeilen, die ich als eine Art poetischen Durchbruch in Erinnerung habe.“
Im September 1965 wurde seine Strafe auf die bereits abgeleistete Zeit reduziert, und Brodsky kehrte nach Leningrad zurück. Entgegen dem Image des „Exilhelden“ und Opfers der Sowjetmacht, das ihm Freunde und die Presse verpasst hatten, sagte Joseph: „Ich hatte Glück... Andere Menschen... ...hatte es viel schwerer als ich.“ Noch viele Jahre später, bereits im Westen, äußerte sich Brodsky über diese Zeit: „Es war alles nicht so interessant ... Ich weigere mich, es zu dramatisieren.“
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