Nicht ohne Mitgift: Wie brachte man ein russisches Mädchen unter die Haube?

State Tretyakov Gallery; Nikolai Sazhn/russiainphoto.ru
Schon von frühester Kindheit an dachten russische Eltern an die Zukunft ihrer Töchter. Um sie gut zu verheiraten, sammelten sie für deren Mitgift. Für die Töchter der kaiserlichen Familie gab es sogar einen entsprechenden Haushaltsposten im Russischen Reich.

In modernen Gesellschaften heiraten Menschen normalerweise aus Liebe, während es in der Ehe früher eher um eine wirtschaftlich vorteilhafte Vereinigung beider Parteien ging (obwohl auch Gefühle eine Rolle spielten). Je aristokratischer und wohlhabender eine Familie war, desto gewissenhafter wurde der Partner der Nachkommen ausgesucht. 

Eines der wichtigsten Kriterien war die Mitgift einer Braut, durch die ihre Familie ihren Reichtum unter Beweis stellte, um einen ebenso begüterten Ehemann anzuziehen. Da der Mann die Frau nach der Hochzeit finanziell aushalten musste, galt die Mitgift als ihr Beitrag zu den Familienfinanzen und als Absicherung. Der Ehemann durfte die Mitgift seiner Frau nur mit ihrer Zustimmung veräußern und er hatte keine Rechte an ihrem vorehelichen Eigentum. Diese Regel galt für Paare jeden Standes, seien es Aristokraten oder Bauern.

Woraus bestand die Mitgift? 

Eine Mitgift konnte aus sehr unterschiedlichen Dingen bestehen. In ärmeren Familien gehörten dazu normalerweise Haushaltsgegenstände wie zum Beispiel Bettwäsche, Tischdecken, Spitze, handgefertigte Stoffe, Geschirr. Die Braut brauchte all das, um einen eigenen Haushalt zu führen. Diese Sachen wurden in einer großen Holztruhe aufbewahrt, die die junge Frau nach der Hochzeit ins Haus ihres Mannes brachte. 

Die Mitgift von Wassili Pukirew

Wohlhabende Eltern gaben noch Grundstücke, Schmuck, Pelze und Geld dazu.

In Bauernfamilien konnten eine Frau auch Kühe oder Schafe mitbringen. Und wenn sie zum Beispiel Waren aus der Wolle ihrer Schafe verkaufte, gehörte dieses Geld auch ihr (und natürlich ihren Kindern).

Schon in jungen Jahren wurde damit begonnen, die Mitgift zusammenzutragen. Zuerst von der Mutter und später auch von der zukünftigen Braut. Die Mädchen nähten ihre eigenen Kleider und Küchentextilien. Es war ein richtiger Konkurrenzkampf, wer die schöneren Sachen hatte. 

Eine Mitgift war nichts, was eine Familie geheim halten würde. Im Gegenteil, sie erzählten normalerweise potenziellen Bräutigamen vom Eigentum ihrer Tochter. Nachdem eine Ehe vereinbart worden war, wurde eine Bestandsaufnahme der Mitgift vorgenommen. Am Hochzeitstag forderten die Verwandten der Braut traditionell eine Ablösesumme.  

Eine Mitgift-Truhe

Bräute von nationaler Bedeutung 

Die Mitgift von Mädchen aus Adelsfamilien, die mit der kaiserlichen Familie verwandt waren, wurde durch die Gesetze des Russischen Reiches geregelt. Nach einem Gesetz von 1797 erhielt die  Braut, wenn eine Ehe auf Wunsch des Souveräns geschlossen wurde, eine Mitgift von der Staatskasse, je nachdem, wie eng sie mit dem Zaren verwandt war. Die Beträge reichten von  100.000 Rubel (für eine Ur-Ur-Enkelin) bis zu einer Million (für eine Tochter). 1886 wurde der Betrag für entfernte Verwandte auf 30.000 Rubel reduziert. Darüber hinaus erhielt das Mädchen nach der Hochzeit nur noch die Hälfte des Betrags ausbezahlt, während der Rest auf der Bank aufbewahrt wurde. Das Mädchen erhielt jährliche Zinsen. Von Lieferanten verschiedener Waren wurden Angebote für die Mitgift der Tochter oder Enkelin eines Zaren abgegeben: Porzellan-, Glas- und Möbelfabriken schätzten das mit diesen Aufträgen verbundene Prestige für ihre Unternehmen sehr.  

Beim Auswählen der Mitgift  von Wladimir Makowski, 1898

Wenn eine Großherzogin einen Ausländer heiratete, war ein Ehevertrag ein Muss. Darüber hinaus umfasste die Mitgift einer Braut, die in eine ausländische Familie heiratete, eine mobile Kirche mit allen notwendigen Kirchenartikeln, sollte der Ehemann eines anderen Glaubens seins. Russische Bräute im Ausland gaben ihr Geld normalerweise für ihren Haushalt, Reisen und ihre eigenen Bedürfnisse aus.

War es möglich, ohne Mitgift zu heiraten? 

Natürlich haben auch Frauen ohne Mitgift geheiratet. Doch dann konnten sie nicht auf eine gute Partie hoffen.  Der große russische Dramatiker des 19. Jahrhunderts, Alexander Ostrowski, hat ein Stück mit dem Titel „Ohne Mitgift“ verfasst. Darum geht es um eine junge Frau, die einen Mann heiraten muss, den sie abstoßend findet, weil der, den sie liebt, einer wohlhabenden Frau den Vorzug gegeben hat. Am Ende tötet ihr Verlobter sie aus Eifersucht.

Wird heute noch eine Mitgift erwartet? 

Die Hochzeitstraditionen änderten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegend, als Frauen die gleichen Rechte wie Männer erhielten. Eine Mitgift war nicht mehr von zentraler Bedeutung, obwohl Frauen auch zu Sowjetzeiten vor ihrer Hochzeit weiterhin Bettwäsche und Handtücher sammelten. In Dörfern kann man immer noch auf Mitgifttruhen der Großmütter und Urgroßmütter stoßen - richtige Antiquitäten!

Eine Frau aus dem Dorf Malaja Tawra

In den Nordkaukasusrepubliken gehört die Mitgift noch zur Eheschließung dazu. Heutzutage ist es leichter und bequemer, diese zusammenzustellen. Es gibt etwa in Tschetschenien und Dagestan „Mitgiftläden“, in denen die zukünftige Braut alles kaufen kann. Ihre Auswahl wird  sofort in eine hübsche Truhe gepackt. 

Hochzeitszeremonie in Grosny, Tschetschenien

Es ist üblich, dass eine moderne Mitgift Dinge enthält, die die Braut im ersten Jahr ihrer Ehe braucht. Auf der Liste stehen Bettwäsche, Kleidung, Schuhe, Schmuck, ein Pelzmantel, Handtaschen, Kosmetika sowie ein Geschenk für das Mädchen, das die Mitgifttruhe der Braut öffnet. 

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