Als der amerikanische Tennisspieler Sam Querrey Mitte Oktober zusammen mit seiner Frau und seinem Kind zum ATP 500-Turnier nach St. Petersburg flog, konnte er nicht wissen, wie das enden würde. Bei seiner Ankunft wurde bei ihm routinemäßig ein Test auf Covid-19 durchgeführt. Er fiel negativ aus. Kurz vor dem Turnier wurde Querrey erneut getestet und dieses Mal war das Ergebnis positiv, ebenso wie das seiner Frau. Die Familie wurde in ihrem Fünf-Sterne-Hotel unter Quarantäne gestellt.
Kurz darauf erhielt der Tennisspieler jedoch einen Telefonanruf der russischen Gesundheitsbehörden. Der Besuch eines Arztes wurde angekündigt, um ihn und seine Familie zu untersuchen. Querrey ging nun davon aus, dass sie alle ins Krankenhaus eingeliefert würden, wenn Symptome festgestellt würden.
Der Athlet beschloss, nicht auf den Arzt zu warten. Aus Angst, in einer russischen Klinik zu landen, organisierte er einen Privatjet und verstieß gegen alle geltenden Vorschriften und Sicherheitsmaßnahmen. Er flog in ein „europäisches Land“, in dem zur Einreise kein negativer Test erforderlich war. Jetzt droht (eng) Querrey eine Geldstrafe von bis zu 100.000 US-Dollar und eine dreijährige Sperre für Turniere.
Sind russische Krankenhäuser wirklich so furchterregend?
Nicht für jeden gute Bedingungen
Im Gegensatz zu den meisten Russen hätte sich Sam Querrey die beste Privatklinik leisten können. Der Preis für die Behandlung von Coronavirus-Patienten variiert von Stadt zu Stadt. Zum Beispiel kostet (rus) ein Tag in der K+31-Klinik in Moskau 50.000 Rubel (etwa 650 Euro) für Patienten mit leichten Symptomen, 75.000 Rubel (etwa 900 Euro), wenn die Symptome mittelschwer sind, und 90.000 Rubel (etwa 1.000 Euro), wenn die Symptome schwerwiegend sind. Bei intensivmedizinscher Behandlung und dem Einsatz von Beatmungsgeräten steigt der Tagessatz auf 120.000 Rubel (etwa 1.500 Euro).
Die Mehrheit der Russen nimmt jedoch die kostenlose Behandlung im Rahmen der staatlichen Krankenversicherung in Anspruch. Bislang wurden alle Personen in Moskau, die sich mit dem Coronavirus infiziert hatten oder bei denen der Verdacht auf eine Infektion bestand, in eine von zwei Spezialkliniken für Infektionskrankheiten sowie in einen neuen Krankenhauskomplex in der Siedlung Kommunarka außerhalb der Stadt eingeliefert.
Im März berichtete (rus) Katerina Nasarowa, Patientin im Krankenhaus in Kommunarka, von der Behandlung dort: „Die Korridore sind breit und leer. Ich habe ein Zimmer für zwei Personen für mich allein. Das Zimmer verfügt über ein eigenes Bad mit Dusche und einen Plasma-TV. Einmal oder zweimal am Tag werden der Boden und alle Oberflächen desinfiziert.“
Es wurden sofort Abstriche genommen, erzählt Nasarowa: „Bereits in der Aufnahme machten sie einen Nasen-Rachen-Abstrich. Sie nahmen Blut- und Urinproben. Ich bekam ein EKG und ein CT der Lunge.“
Es gibt fünf Mahlzeiten pro Tag, alle Lebensmittel werden einzeln verpackt und die Verpackung anschließend entsorgt. Heißes Wasser für Tee wird direkt in die Tassen der Patienten gegossen. Es gibt Internetzugang und es besteht die Möglichkeit, von der Klinik aus zu arbeiten. Kontakt zu Familie und Freunden ist nur virtuell möglich. Die Klinik ist in eine „rote“ Zone und eine „grüne“ (reine) Zone unterteilt. Niemand außer dem medizinischen Personal darf die rote Zone betreten.
Solche Zonen wurden auch in anderen Krankenhäusern eingerichtet. „Während der Pandemie werden geplante Operationen zurückgestellt. Wir haben ein Wegesystem zur Fortbewegung im Gebäude geschaffen und reine und unreine Zonen eingerichtet. Diese gibt es im gesamten Gebäude und in der Aufnahme. Wir haben Desinfektionsräume geschaffen, unser Personal geschult und überall rote und grüne Aufkleber mit eindeutiger Beschriftung angebracht. Wir haben die Sessel aus dem Konferenzraum entfernt - es gibt dort jetzt Betten für Mitarbeiter, die sich ausruhen möchten, und einen Umkleideraum für sie. Die Röntgenabteilung ist jetzt ein Dekontaminationsbereich, die Physiotherapieräume sind ebenfalls zur Ruhezone geworden. Die Ärzte schlafen auf den Massageliegen“, berichtet (rus) (anonym) ein Intensivmediziner aus St. Petersburg.
Im Laufe der Zeit waren die Behörden gezwungen, aufgrund der steigenden Zahl von Infektionsfällen auch nicht spezialisierte Kliniken im ganzen Land in „Covid-Krankenhäuser“ umzuwandeln. Zusätzliche Betten wurden zudem zum Beispiel in Moskau in Ausstellungshallen und in einem Eisstadion geschaffen (rus), sollte der Platz in den Kliniken nicht mehr ausreichen.
In den Regionen ist die Situation jedoch eine andere und nicht vergleichbar mit der in den neuen Moskauer Kliniken.
Aufnahme nur mit Klappbett
Die Coronavirus-Pandemie hat zwei Hauptmängel der 2014/2015 durchgeführten Gesundheitsreform aufgedeckt, sagte (rus) Andrei Klepatsch, Chefökonom der staatlichen Entwicklungsgesellschaft VEB.RF, bereits am 28. März während der ersten Welle. Die Reform hat zu einem Rückgang bei der Zahl der Krankenhausbetten geführt. Zudem gibt es weniger Ärzte für Infektionskrankheiten und weniger medizinisches Personal. All dies hatte Auswirkungen in der Pandemie: Ende September gab das russische Gesundheitsministerium bekannt (rus), dass 89 Prozent der Betten mit Corona-Erkrankten belegt seien. In bestimmten Regionen - zum Beispiel im Gebiet Altai - waren zum 28. September bereits 97 Prozent (2.111 von 2.168) belegt (rus).
Die Zeitung „Kommersant“ berichtet (rus), dass die Diagnostikabteilungen den Zustrom von Patienten nicht bewältigen können, die manchmal sechs bis acht Stunden auf einen CT-Scan ihrer Lunge warten müssen. Patienten können nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden, ohne dass das Ergebnis eines CT-Scans vorliegt - diese Vorschrift wird von Ärzten bestätigt.
Der Ehemann der Moskauerin Anastasia musste mehrere Stunden auf die Untersuchung warten: „Er verbrachte die ganze Zeit mit 39 °C Fieber auf dem Flur. Zeitweise waren zwischen sechs und 15 andere Personen in der gleichen Lage dort. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass seine Lungen zu weniger als 25 Prozent beeinträchtigt waren. Er wurde mit einem Taxi nach Hause geschickt. Uns wurde eine Einweisung ins Krankenhaus verweigert. Der Arzt aus der Ambulanz wird keinen Hausbesuch machen“, sagt (rus) sie.
„Nicht jeder wird ins Krankenhaus eingeliefert. Wenn die Lunge zu weniger als 45 Prozent betroffen ist und die Sauerstoffsättigung ausreichend ist, werden die Betroffenen ambulant behandelt“, bestätigt (rus) Sergei M., ein Notfallsanitäter aus der Region Moskau.
In einigen Regionen sind einfach keine Betten für Betroffene frei, selbst, wenn ihre Lungenfunktion sehr stark beeinträchtigt ist. In einem Krankenhaus in Lipezk sind die Stationen so überfüllt, dass dort nur noch Patienten aufgenommen werden, die ein Klappbett mitbringen. „Die Ärzte sagen, dass sie sonst nur Stühle anzubieten hätten“, erzählt (rus) Denis Wlasow, der seine 70-jährige Schwiegermutter zur Behandlung brachte, mitsamt Klappbett.
Am 25. September veröffentlichte (rus) der Notfallsanitäter Artjom Boriskin auf seinem Instagram-Account ein Video von 20 Krankenfahrzeugen, die mit Patienten in einer Warteschlange stehen und auf einen CT-Scan oder die Aufnahme auf eine Krankenstation warten. „Denken Sie nur daran, wie viele Rettungswagenbesatzungen daran gehindert werden, zu arbeiten, während sie mit Patienten mit Verdacht auf Covid in der Warteschlange stehen“, schrieb er dazu. Die Rettungskräfte müssen dabei sein, wenn die Patienten in die Aufnahme kommen. Patienten dürfen jeweils nur einzeln in den Untersuchungsraum und aufgrund der komplizierten Bürokratie kann es eine Stunde dauern, bis die Formalitäten erledigt sind. Während dieser ganzen Zeit warten sie mit Patienten vor den Krankenhäusern. Das führt dazu, dass Menschen, die zu Hause einen Krankenwagen benötigen, oft sehr lange warten müssen.
Die Aufteilung in Zonen wird nicht in allen Krankenhäusern strikt eingehalten. „Die Unterscheidung zwischen roten und grünen Zonen wird kaum beachtet. Die grünen Zonen sind voll von Covid-Fällen. Man versucht, sie zu isolieren, doch alles was getan wird, nutzt nichts. Die Untersuchung von Infizierten und Nicht-Infizierten erfolgt in denselben Diagnostikräumen. Im CT-Raum kommt nach einem nicht-infizierten ein infizierter Patient“, so Sergei K. (rus), ein Intensivmediziner aus Moskau im Gespräch mit Nachrichtenseite „Mash“.
Selbst in Moskaus speziellen „Covid-Krankenhäusern“ gibt es jetzt Probleme. Eine Quelle aus der Kommunarka-Klinik berichtete, dass sich die Zahl der Patienten in der letzten Zeit verdoppelt habe und dass die Mehrzahl der Fälle ein ernsthafteres Krankheitsbild aufweise als im Frühjahr. Der Chefarzt des Krankenhauses, Denis Prozenko, sagte, die Zunahme der Fallzahlen sei die Erklärung für die in der Warteschlange stehenden Krankenwagen. „Die Geschwindigkeit, mit der sich die Situation verschlechtert, ist ein ernstes Problem“, fügte er hinzu (rus).
Viele Krankenhäuser versuchen, das Platzproblem zu lösen, indem sie Patienten vorzeitig entlassen. Es wurde nun offiziell erlaubt (rus), dies auch zu tun, wenn kein negatives Testergebnis vorliegt und der Patient noch nicht vollständig genesen ist. Patienten werden entlassen, wenn sie kein Fieber oder keine Atemprobleme mehr haben.