Murod Idibojew
Shaytanka.ruIm Alltag unterrichtet Murod Idibojew, ein 27-jähriger Mann aus Jekaterinburg, Englisch und arbeitet Teilzeit als Kellner. Aber in der letzten Dezemberwoche zieht er ein rotes Gewand und einen Hut mit weißem Besatz an, nimmt einen riesigen Sack mit Geschenken und geht zu Kindern und Erwachsenen, die ein weniger glückliches Leben haben als andere Menschen.
Wie Hunderte anderer Freiwilliger absolvierte Murod im Rahmen des Projekts „Wunschbaum“ einen Kurs an der Akademie von Väterchen Frost. Die Aktion wurde von der Wohltätigkeitsorganisation „Pfad der Freundlichkeit“ ins Leben gerufen, um Kindern mit Behinderungen und Kindern aus Waisenhäusern und Familien mit Problemen sowie Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges zu helfen.
Seit der Gründung hat sich die Zahl der Freiwilligen vervielfacht, so dass es sogar notwendig geworden ist, spezielle Kurse für die Ausbildung zum Väterchen Frost und Snegurotschka (Schneemädchen) anzubieten.
Für Murod ist es das vierte Mal sei 2016, dass er in die Rolle von Väterchen Frost schlüpft. Er war damals gerade aus Tadschikistan nach Jekaterinburg, die Hauptstadt des Urals, gezogen. „Ich habe immer schon gerne Menschen geholfen“, erklärt er. „Ich engagiere mich auch freiwillig bei Straßenreinigungsaktionen und gebe Senioren kostenlosen Englischunterricht. Dann erfuhr ich von dieser Gelegenheit, Kindern und Veteranen eine Freude zu bereiten.“
Murod sagt, dass er sich anfangs wegen seiner schlechten Kenntnisse der russischen Sprache unsicher war, aber es stellte sich heraus, dass dies den Kindern nicht viel ausmachte. „Als ich klein war, kam Väterchen Frost auch zu mir. Obwohl ich wusste, dass es mein Onkel war, freute ich mich jedes Jahr darauf, ihn zu sehen.“
An der Akademie lernte Murod die Feinheiten der Kommunikation mit Kindern. „Zum Beispiel kann man einem Kind nicht einfach sagen, dass es seinen Eltern gehorchen soll, weil das Kind möglicherweise keine Eltern mehr hat“, berichtet er.
Die „Weihnachtsmänner“ verteilen bis zum 30. Dezember Geschenke in der gesamten Region Swerdlowsk. Sie arbeiten zusammen mit Snegurotschka. Das Schneemädchen ist die Enkelin von Väterchen Frost.
Oksana Abroskina
Aus dem persönlichen ArchivOksana Abroskina, eine Bankangestellte aus Jekaterinburg, wird dieses Jahr zum ersten Mal eine Snegurotschka sein. „Ich wollte schon immer Kindern helfen und habe von einer Freundin von diesem Projekt erfahren, die sich dort bereits ehrenamtlich engagiert. Ich möchte, dass alle Kinder feiern können und finde es gut, wenn jeder noch an Märchen und Wunder glauben kann“, erklärt sie.
In diesem Jahr sollen mehr als 3.000 Kinder aus Waisenhäusern und Familien mit Problemen sowie Kinder mit Behinderungen Geschenke erhalten, sagt der Gründer und Organisator des Projekts „Wunschbaum“, Waleri Basai. „Wir bilden seit fast zehn Jahren im Rahmen des ‚Wunschbaum‘-Projekts Väterchen Frosts und Snegurotschkas aus“, erzählt er. „Zum einen unterrichten wir ein wenig Schauspiel und außerdem bereiten wir auf den Umgang mit Kindern und Erwachsenen in schwierigen Lebenssituationen vor. Wie verhält man sich zum Beispiel, wenn man auf alkoholkranke Eltern trifft? Wie kommuniziert man mit einem Kind mit Zerebralparese?“
Die „Weihnachtsmann-Akademie“ kann ab dem 18. Lebensjahr besucht werden. Eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht. Eines der Schneemädchen war 82 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Freiwilligen liegt zwischen 30 und 50 Jahren.
Damit ihre Wünsche erfüllt werden können, müssen Kinder einen Brief schreiben und an die Organisatoren senden. „Wunschbaum“ startet offiziell im September und endet am 20. Dezember, damit die Freiwilligen genügend Zeit haben, alle Geschenke rechtzeitig zu verteilen.
Das Geschenkesammeln ist eine gemeinsame Aktion: Einige werden von Organisationen gespendet, andere von gewöhnlichen Menschen gekauft. Neujahrsbäume, die mit Postkarten mit Kinderbotschaften geschmückt sind, werden in Lebensmittelgeschäften in Jekaterinburg und in der Region Swerdlowsk aufgestellt. Um den Neujahrswunsch eines Kindes zu erfüllen, muss man lediglich das gewünschte Geschenk kaufen und es unter Angabe der Nummer auf dem Wunschzettel im Geschäft abgeben. Viele Kinder wünschen sich gewöhnliche Sachen, die im Schnitt um die 45 Euro kosten. Manchmal gibt es aber auch merkwürdige Anfragen.
„Ein kleines Mädchen hat sich eine Spielzeugkatze gewünscht. Es stellte sich heraus, dass sie ein echtes Kätzchen haben wollte, doch ihre Mutter war dagegen“, erinnert sich Waleri. „Unser Freiwilliger, der die Geschenke verteilte, brachte sowohl ein echtes Kätzchen als auch eine Spielzeugkatze mit und sagte, er habe nicht verstanden, was gewünscht war. Er gab, als Väterchen Frost verkleidet, dem Kind erst das Spielzeugkätzchen. Dann fragte er sie, ob sie an Zauberei glaube und bat sie, einmal zu pusten. Sie tat es und das Spielzeugkätzchen verwandelte sich in ein echtes.“
Es gibt aber auch kostspieligere Geschenke, etwa, wenn ein Kind dringend einen Laptop für die Schule oder ein Gerät zur körperlichen Rehabilitation benötigt.
Neben Kindern werden die Freiwilligen auch Veteranen der Belagerung von Leningrad und Überlebenden von Konzentrationslagern besuchen. Die Mitarbeiter bereiten diese Geschenke selbst vor. „Unser ‚Wunschbaum‘-Projekt ist so erfolgreich, dass es von anderen russischen Städten übernommen wurde, etwa von Tscheljabinsk, Samara und Kaliningrad“, berichtet Waleri.
Wegen der Coronavirus-Pandemie werden die Kostüme durch Masken und Schutzvisiere ergänzt. Väterchen Frost besucht auch kranke Kinder und ältere Menschen. „Jeder kennt den magischen Stab von Väterchen Frost. Er ist anderthalb Meter lang, und in diesem Jahr wird Väterchen Frost ihn nutzen, um den notwendigen Abstand für eine sichere Begegnung einhalten zu können“, sagt Waleri.
In der Region Swerdlowsk wurden wie in vielen anderen Regionen des Landes (und der Welt) viele Neujahrsveranstaltungen abgesagt, auch in Kindergärten. Die Absolventen der „Weihnachtsmann-Akademie“ sorgen dafür, dass niemand beim Fest alleine bleibt.
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