Zäune, Leichenschmaus und andere Traditionen, die Sie an russischen Friedhöfen überraschen könnten

Evgeny Epanchintsev / Sputnik
Viele Traditionen auf russischen Friedhöfen sind von heidnischen oder orthodoxen Ritualen geprägt. Einige davon wirken auf Ausländer ungewöhnlich.

Zäune 

Zu den offensichtlichsten Merkmalen eines russischen Friedhofes gehören die Zäune, die fast jedes Grab umgeben. Diese tauchten erstmals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf, damals aus einem ganz einfachen Grund: Landmangel. Durch die stetig steigende Bevölkerung wurde Fläche für Friedhöfe immer teurer und die einzelnen Parzellen  wurden mit Zäunen voneinander abgegrenzt. Daraus wurde eine eigenständige Tradition. Heute sieht man die Zäune daher auch in kleinen, abgelegenen Dörfern, in denen Platzmangel absolut kein Thema ist. 

Bänke 

Oft finden sich auf russischen Friedhöfen Bänke direkt neben den Gräbern, so dass man „bei den Toten sitzen“ kann. Das hat auch einen praktischen Grund: Ältere Familienmitglieder können sich nach dem Spaziergang zum Grab ausruhen. Auch das Bearbeiten der Pflanzendekoration ist leichter, wenn man sitzen kann. Da die Grabesflächen meist recht klein sind, ist das gut möglich. Neben vielen Gräbern steht zudem auch ein kleiner Tisch für den Leichenschmaus. 

Leichenschmaus 

Der Leichenschmaus ist ursprünglich ein vorchristlicher, heidnischer Brauch. Das gemeinsame Essen direkt neben dem Grab ist ein Zeichen der Gemeinschaft mit dem Verstorbenen, der somit symbolisch ein Teil der Familie bleibt. Da die alten Slawen die Vorfahren als mächtige Vermittler sahen, war diese Gemeinschaft sehr wichtig. 

Als das Christentum in Russland aufkam, wurde die Tradition zunächst verboten. Die Russen machten dennoch weiter. Bis heute ist es sogar üblich, mit den Toten zu trinken und sein Glas zum Anstoßen an den Grabstein zu halten. 

Nach dem Leichenschmaus wird ein Teil der Mahlzeit auf der Bank oder auf dem Grabstein zurückgelassen. Dazu gehören in der Regel Kekse, Süßigkeiten, Würstchen, Brot und etwas Wodka. 

Bäume und Sträucher 

Wenn ein Friedhof nicht im Wald gelegen ist, fällt Besuchern oft die üppige Vegetation auf. Im alten Russland war es strikt verboten, Bäume oder Sträucher auf Friedhöfen zu beschneiden. Vermutlich glaubten die alten Slawen, dass die Bäume ein Eigenleben hätten oder sogar die Seelen der Toten beheimaten würden. Beim Beschneiden würde man dieses Eigenleben natürlich zerstören. Außerdem sieht es aus Sicht der meisten Russen einfach nicht gut aus, wenn die Gräber im Nichts stehen. 

Bis heute sind russische Friedhöfe daher oft üppig bewachsen. In jüngerer Zeit angelegte Friedhöfe stehen jedoch auch auf offenem Feld. 

Stille 

Viele Friedhöfe in Westeuropa haben breite Wege, auf denen Besucher spazieren gehen, joggen oder Fahrrad fahren. In Russland ist das unüblich, Friedhöfe gelten nicht als geeigneter Ort für Freizeitbeschäftigungen. Daher folgt selbst der Besuch eines Grabes, traditionell zum Beispiel an den fünf Totensamstagen der orthodoxen Kirche, in der Regel strengen Formalien. 

Lautes Reden, Lachen oder gar Singen auf einem Friedhof würde dagegen jede Babuschka und jeden Friedhofsmitarbeiter ärgern. Im immer noch stark von heidnischen Traditionen geprägten Russland stört man die Toten nicht. 

>>> Tabuthema: Warum Russen nicht über den Tod sprechen

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