Wie ich an einem Dreikönigstag bei -10 Grad ins kalte Wasser tauchte

Russia Beyond (Photo: Private archive; Gavriil Grigorov/TASS)
Ein Korrespondent von Russia Beyond ist am Dreikönigstag (der nach Russisch-orthodoxer Tradition in Russland am 19.01. begangen wird) in ein Eisloch getaucht und berichtet nun, was er erlebt hat. Nein, es war keine folkloristische Spritztour, sondern ein Wellness-Ritual, das den Russen seit der Christianisierung des Landes vertraut ist.

„Leute, wie ist das Wasser, ist es warm?“
„Ach was, es ist heiß! Es ist brühend heiß!“

Wir befanden uns in einem großen Zelt, in dem sich die Männer umzogen, bevor sie in das Eisloch stürzten. Zum ersten Mal in meinem Leben beschloss ich, der alten russischen Tradition zu folgen, am Dreikönigstag im eiskalten Wasser zu baden. Orthodoxe Russen glauben, dass in dieser Nacht das Wasser in allen Gewässern heilig ist – es kuriert Krankheiten und heilt die Seele. Was meine Freunde und ich vorhatten, sah für Außenstehende bedrohlich aus – aber wie wir bald feststellten, ist das Eintauchen in das eisige Wasser kein beängstigendes, sondern ein lustiges Abenteuer.

Das Golovinskij-See in Moskau

Die Temperatur fiel in dieser Nacht von -3 auf -10 Grad und als wir um Mitternacht am Ufer des Golovinskij-Sees in Moskau ankamen, zwickte uns der Frost bereits kräftig in die Nase. Der erste Gedanke, so könnte man glauben, wäre gewesen, etwas Wodka zum Aufwärmen zu trinken! Aber vor dem Eintauchen in ein Eisloch Alkohol zu trinken, ist eine dumme Idee. Die Blutgefäße erweitern sich und der Körper wird durch den Temperaturwechsel zu stark belastet, besonders das Herz hat es schwer. Im Gegensatz zu den Klischees gab es also keine Betrunkenen in der Nähe des Eislochs und auch niemand, der sichtbar zu tief in die Flasche geschaut hat. Nachdem ich mich umgesehen hatte, verstand ich, dass das Dreikönigsbaden alle Arten von Menschen zusammenbringt.

Das Loch, in das wir tauchten, war für die „Eingeborenen“, für die Bewohner der Gegend. Da war der kunstvoll tätowierte Raver mittleren Alters mit schütterem Haar. Da war ein grauhaariger, kultivierter Mann kam mit einem kleinen Sohn, dem schon die Augen zufielen, aber sein Vater bestand darauf: Rein ins Wasser, ohne Wenn und Aber! Ein sportlich aussehende Großvater wurde von seinem 15-jährigen Enkel begleitet, der ebenfalls athletisch aussah und sich aber nur widerwillig auszog, während der Großvater ihn mit seinem Handy filmte („Lass mich in Ruhe! Nimm die Kamera weg! Es ist verdammt kalt!“, beschwerte sich der Enkel). Ein gutsituiertes Paar, das offensichtlich schon seit vielen Jahren diese Tradition pflegt… Die Prozedur ist zwar kostenlos, aber man kann ihren Effekt auf das Immunsystem lässt sich nicht mit Geld bezahlen! Und da war das alte Paar, das zwar selbst nicht mehr tauchte, aber gerne kam, um den Junge beim Baden zuzuschauen.

Merkwürdigerweise waren da keine Instagram-Girls, die Selfies machten. Alle jungen Frauen, die gekommen waren, hatten das gleiche Ziel: ins eiskalte Wasser springen! Schließlich ist wirkt sich das sehr positiv auf den allgemeinen Tonus und Zustand der Haut aus. Es waren nur sportliche und attraktive junge Frauen im Wasser – ohne Instagram. Aber unser Interesse galt nicht ihnen, wir waren ja schließlich zum Eisbaden hergekommen.

Allerdings waren fast genauso viele Polizeibeamte wie Badegäste anwesend – und auch Mitarbeiter des Katastrophenschutzes und des Rettungsdienstes waren da. Wie mir die Polizei sagte, achten sie darauf, dass „keine Betrunkene ins Wasser gehen“:

„Wir sind, wie auch letztes Jahr, im Einsatz und achten darauf, dass niemand an einer ungeeigneten Stelle ins Wasser springt – sonst müssen wir selbst hinein und ihn wieder herausfischen!“

Die Mitarbeiter von Polizei und Rettungsdienst waren an diesem Abend jedoch eher gelangweilt und betrachteten die Eisbader mit unverhohlenem Neid. Am liebsten wären sie auch ins Wasser gesprungen, aber sie froren und hüpften von einem Fuß auf den anderen. Überraschenderweise froren sie mehr als und unbekleideten Eisbader.

Darin besteht das Hauptgeheimnis des Dreikönigsbadens, das wir am eigenen Körper erfahren haben: Kaum hatte ich meine Daunenjacke und die beiden Pullover auszog und ging in Hausschuhen und Bademantel auf dem Eis, schaltete mein Körper sofort in den Selbsterhaltungsmodus, das Kältegefühl verschwand und ich war aufgeregt – jetzt werde ich in das Eisloch springen! Der Anblick der Männer und Frauen, die gerade aus dem Wasser geklettert waren, mit erröteter Haut und einem glücklichen Lächeln, hat meine Begeisterung nur noch gesteigert.

Ich hatte nicht einmal Zeit zu bemerken, wie ich mich neben das sorgfältig angelegte Loch stellte, mit bekreuzigte – dreimal, wie verlangt – und eintauchte.

Erstaunlicherweise wollte ich nicht einmal gleich wieder herausklettern – obwohl ich die nächsten Badegästen bereits warteten. Von meinem Körper stieg Dampf auf  und mein Kopf wurde sofort wieder klar.

„Ist das nicht toll?!“, teilte ein schlanker, blonder Mann um die 50, der gleich nach mir und meinen Freunden aus dem Loch kam, seinen Eindruck mit allen Umherstehenden. „Ich war zum ersten Mal in meinem Leben Eisbaden!“

Das konnte ich von mir auch sagen – und jetzt verstand ich, warum die Männer über das „heiße Wasser“ scherzten: Während des Tauchgangs schien es brühend heiß zu sein. Jetzt war der Körper unglaublich warm und alle meine Glieder waren leicht und geschmeidig. Entgegen dem Klischee verspürte ich auch jetzt keinen Wunsch, Alkohol zu mir zu nehmen, obwohl jeder von uns ein Gläschen Wodka trank – so ist es Tradition am Dreikönigstag.

Ich zog mich an und mir war richtig heiß.  Auch hatte ich das Gefühl, dass ich einen enormen Energieschub für das nächste Jahr erhalten hatte. In dieser Nacht schlief ich sofort ein.

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