„Tag der Rasiercreme“: Warum wird allen russischen Männern am 23. Februar gratuliert?

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Wir verraten Ihnen, was die Russen an diesem Tag feiern, warum der Feiertag „Tag der Rasiercreme“ heißt und was das alles mit Stalin zu tun hat.

Um es kurz zu beschreiben, was der 23. Februar für die Russen bedeutet: Er ist das männliche Pendant zum Internationalen Frauentag. Im Gegensatz zum 8. März, der aus dem Westen importiert wurde, ist der 23. Februar jedoch eine rein russische Erfindung.

Im Laufe der Jahre hat sich die Bedeutung dieses Datums mehrfach geändert und der 23. Februar mutierte schließlich zu einem der beiden geschlechtsspezifischen Feiertage (der andere ist der Internationale Frauentag). So wie die Mehrheit der Russen den 8. März eher mit Blumen, Pralinen und Gutscheinen für ein Kosmetikgeschäft als mit dem Kampf für Gleichberechtigung verbindet, wir der 23. Februar im Bewusstsein der Massen mit Socken und Rasierschaum assoziiert... Aber wie kam es dazu?

Wie entstand dieser Feiertag? 

Der 23. Februar wurde zu Sowjetzeiten zu einem Feiertag. Erstmals begangen wurde er im Jahre 1919. Dafür gab es mehrere Gründe.

Die erste Militärparade auf dem Schlossplatz in Petrograd während der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Roten Arbeiter- und Bauernarmee. 23. Februar 1919.

Am 28. Januar 1918 erließen die Sowjets ein Dekret zur Schaffung einer eigenen Armee. Zwei Wochen später, am 11. Februar, folgte dann das Dekret über die Gründung der Marine. Beide Ereignisse waren wichtig für die neue Macht und der erste Jahrestag sollte gefeiert werden, aber wegen bürokratischer Hindernisse konnten die Bolschewiki den Feiertag nicht rechtzeitig ankündigen. Am 17. Februar 1919 planten sie eine Wohltätigkeitsaktion, bei der die Bevölkerung den Soldaten der Roten Armee Geschenke machen sollte. Die Aktion wurde „Tag des roten Geschenks“ genannt. Aber leider fiel dieser Tag auf einen Montag. Daher beschlossen die Bolschewiki, alle drei Ereignisse am selben Tag zu feiern, nämlich am folgenden Sonntag, dem 23. Februar.

Das fünfjährige Jubiläum wurde in großem Stil und im ganzen Land gefeiert. Aber nicht am 28. Januar oder 11. Februar, den eigentlichen Tagen der Unterzeichnung der Dekrete, sondern am 23. Februar, genau wie beim ersten Mal. Der Feiertag erhielt einen neuen offiziellen Namen: „Tag der Roten Armee und Marine“. Historikern zufolge wurde damals versucht, ein Ereignis zu kreieren, das den 23. Februar als Datum des Feiertags rechtfertigen sollte.

Konstruktion eines Mythos

Im selben Jahr veröffentlichte die Zeitschrift Wojénnaja mysl i rewoljúzija (dt.: Militärischer Gedanke und Revolution) einen Bericht, in dem es hieß, dass am 23. Februar 1918 die erste Einheit der Roten Armee, die an Schlachten an der Nordwest-Front teilnahm, gebildet wurde.

Im folgenden Jahr veröffentlicht die Zeitung Wojénnyj wéstnik (dt.: Militärischer Bote) eine Fotokopie jenes Lenin-Dekrets über die Organisation der Roten Armee, diesmal jedoch mit dem falschen Datum – dem 23. Februar.

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gewann eine andere Version an Unterstützung, laut der am 23. Februar 1918 in der Nähe von Pskow und Narva eine Entscheidungsschlacht zwischen der gerade erst gegründeten Roten Armee und den deutschen Truppen stattgefunden haben sollte, bei der die Roten zum ersten Mal siegten. 

Nach Stalins Tod fand man heraus, dass die deutsche Armee an diesem Tag 55 Kilometer von Pskow und 170 Kilometer von Narva entfernt gewesen war. Einige Historiker, wie Sergej Najda, sind der Meinung, dass es in Wirklichkeit an diesem Tag gar keine nennenswerten Schlachten gab und dass der Feiertag auf Kundgebungen in Petrograd (dem heutigen St. Petersburg) und den massenhaften Eintritt von Freiwilligen in die Rote Armee nach der Veröffentlichung von Lenins Aufruf „Das sozialistische Vaterland ist in Gefahr“ über die deutsche Offensive zurückgeht. Andere, wie der Historiker Wadim Erlichman, glauben, dass es sich um etwa 300 lettische Schützen gehandelt haben könnte, die versucht hatten, die Deutschen in Valka zurückzuschlagen. Den Archiven zufolge haben sie jedoch gar nicht gesiegt.

Baltische Flotte

Für die Version, dass die Rotarmisten in den Anfängen ihres Bestehens nur von geringem Nutzen waren, sprechen auch die Worte Lenins selbst: Am 25. Februar 1918 schrieb er im Artikel „Eine harte, aber notwendige Lektion“ in der Zeitung Prawda „[Es gibt] unerträglich beschämende Berichte über Regimenter, die sich weigern, ihre Stellungen zu halten, die sich weigern, auch nur die Narva-Linie zu verteidigen, die den Befehl, alles auf ihrem Rückzug zu zerstören, nicht befolgen; ganz zu schweigen von Flucht, Chaos, Wehr- und Hilflosigkeit, Schlamperei... Die Sowjetrepublik hat keine Armee.“

Die offizielle Ideologie hielt jedoch weiterhin an der Version vom „"Sieg bei Pskow und Narva“ fest. Dies wurde von Josef Stalin in einem Erlass vom 23. Februar 1942 zum Ausdruck gebracht: „Die jungen Einheiten der Roten Armee, die als erste in den Krieg eingetreten waren, schlugen die deutschen Angreifer am 23. Februar 1918 bei Pskow und Narva. Aus diesem Grund wurde der 23. Februar 1918 zum Geburtstag der Roten Armee erklärt“, heißt es dort.

Matrosen und Offiziere während der Feierlichkeiten zum Tag der sowjetischen Armee und Marine im Jahr 1964.

Männertag

Die Version des „vernichtenden Siegs bei Narva und Pskow“ wurde viele Jahre lang von der staatlichen Propaganda der UdSSR aufrechterhalten. An diesem Tag wurde es zur Tradition, eine feierliche Parteiversammlung abzuhalten und in Militäreinheiten, Betrieben, Universitäten und Schulen zu feiern. Die Eröffnung von Museen, Ausstellungen und Militärsportwettbewerben für Schulkinder wurden auf diesen Feiertag abgestimmt.

Besonders populär wurde der 23. Februar nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Patriotismus zunahm. Im Jahr 1946 wurde der Feiertag erneut umbenannt: von „Tag der Roten Armee und Marine“ in „Tag der sowjetischen Armee und Marine“. Diese Bezeichnung hielt sich bis 1991.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erhielt der Feiertag seinen heutigen Namen – „Tag der Verteidiger des Vaterlandes“. Und wenn dieser Tag früher für alle Sowjetbürger (mit Ausnahme der Soldaten) ein Arbeitstag war, so ist er seit 2002 ein freier Tag für alle.

Demonstration auf dem Schlossplatz in Leningrad.

Gleichzeitig wird seine Bedeutung immer verschwommener. Der 23. Februar ist nun ein Tag, an dem ausnahmslos allen Männern gratuliert wird, unabhängig davon, ob sie jemals in der Armee gedient haben. Allerdings sind militärische Motive wie Tarnkleidung und Armeelieder an diesem Tag immer noch sehr populär. 

Das Rasierschaumfest

Wie am 8. März ist es in Russland auch am 23. Februar üblich, kleine Geschenke zu machen. Diese Tradition ist in Familien, Schulen, Betrieben und insbesondere in Büros weit verbreitet.

Am Vorabend jedes 23. Februars bespricht die weibliche Hälfte der Belegschaft heimlich einen Plan für die Feier und Geschenke für die Männer, und in der Regel erklingen als Glückwunsch Worte über das „starke Geschlecht“, Stärke, Mut und andere Attribute der Männlichkeit. Viele versuchen übrigens, für solche Glückwünsche ein unkonventionelles Format zu finden. 

„Morgens wurden wir bei der Arbeit von den festlich gekleideten Kolleginnen empfangen, die uns mit Cola und Hamburgern bewirteten und Fotos schossen. Und dann zogen sie sich um und liefen in engen Hosen und weißen Hemden, mit Krawatten und Pistolen herum, verteilten Aufgaben (ich wurde zur Belohnung von allen Kolleginnen geküsst) und es wurden „Urnen“ verteilt – Thermobecher mit dem Firmenlogo“, erinnert sich der Nutzer der Internetplattform pikabu.ru mit dem Namen SnakeAiz.

Die Waffenausstellung wurde den Schulkindern gezeigt.

„Und für unseren Urlaub schenkten uns die Mädels Badekappen, manche in Form eines Pilotenhelms, manche in Form einer Pilotenmütze. Dann wurde der Tisch gedeckt und von der Firma wurden sogar  4.500 Rubel [umgerechnet 50 Euro] beigesteuert“, schreibt der NutzerTechnar.

Aber meistens ist das Budget für die Glückwünsche sehr begrenzt (da jeder Mitarbeiter in der Regel die Geschenke aus der eigenen Tasche bezahlt) und deshalb gibt es häufig nur eine Kleinigkeit. Zu den beliebtesten Geschenken gehören Kugelschreiber, Tassen, Socken, Duschgels, Notizblöcke, Kalender und... ja, eben Rasierschaum. Letzterer ist fast zum Inbegriff des Standardgeschenks für den 23. Februar geworden.

Glückwunsch zum 23. Februar!

Nach dem 23. Februar...

Umfragen zufolge gehören Socken und Rasierzubehör jedes Jahr zu den am wenigsten erwünschten Geschenken, aber kurz vor dem 23. Februar sind Rasierschaum und Rasierapparate mancherorts in Russland immer noch ausverkauft und die Medien veröffentlichen ironischerweise eine Auswahl des besten Rasiercremes für jedes Budget.

>>> 365 Gründe, jeden Tag das Glas zu heben: Teil 2 - Februar

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