Haben die Tiere des russischen Nordens eine Chance, den Klimawandel zu überleben?

Lysogeny (CC BY-SA 4.0)
Die Wildtiere in der russischen Arktis sind besonders stark durch den Klimawandel gefährdet.

Nach Angaben des Hydrometeorologischen Forschungszentrums von Russland erwärmt sich Russland zweieinhalb Mal schneller als andere Teile unseres Planeten. Dies führe, so das Forschungszentrum, zum Auftauen des Permafrosts sowie zu häufigeren Waldbränden, Überschwemmungen und Hitzewellen. Die Russen beginnen, die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden allmählich zu spüren. Aber die Tiere, die die weiten Gebiete Russlands durchstreifen, leiden schon seit geraumer Zeit, vor allem in der Arktis, wo wir noch wilde Natur vorfinden und die sich noch schneller erwärmt.

Der Wandel geht zu schnell 

Eisschollen vor der Wrangelinsel im Fernen Osten Russlands.

„Lebensräume verändern sich schneller als Tiere sich anpassen können“, sagt Pawel Kulemejew, ein Forscher im Wrangel Island National Park. Arten, die sich an das Überleben unter sehr spezifischen und begrenzten Bedingungen angepasst haben, können keine großen Änderungen in den Umweltbedingungen ertragen (sogenannte stenobiontische Arten).  

Außerdem sei es wichtig zu verstehen, dass der Klimawandel nicht einen einzelnen Organismus betrifft, sondern das gesamte Ökosystem. Das bedeutet, die Auswirkungen der Veränderungen können indirekt sein, indem z. B. die Nahrungsquelle der Tiere gestört wird.

 Das Eis geht zurück 

Eine Gruppe von Walrossen ruht sich auf einer Eisscholle auf der Wrangelinsel aus.

 „Aufgrund der Erwärmung der Erde ziehen sich viele Arten weiter nach Norden zurück. Dort gibt es dann für die Tiere der Tundra- und Polarregionen keine wirklichen Rückzugsmöglichkeiten mehr. Der erste, der dies zu spüren bekommt, ist der Eisbär, der auf dem Packeis Robben jagt. Die Packeisfläche schrumpft, die Zahl der Robben geht ebenfalls zurück, und die Bären leiden darunter - sie stehen an der Spitze der trophischen Kette. Im Allgemeinen gehören große Raubtiere zu den am meisten gefährdeten Tieren", sagt Boris Scheftel, leitender Forscher am Sewerzow-Institut für Ökologie und Evolution der Russischen Akademie der Wissenschaften. 

Außerdem fehlen Ruheplätze für die Bären und die Jagd kostet sie mehr Kraft. Trächtige Weibchen müssen längere Strecken zu ihren Höhlen zurücklegen. Wenn das Eis taut, kann es zu einem Temperaturanstieg in der Höhle kommen, was dazu führen kann, dass eine Bärenmutter mit ihren Jungen die Höhle vorzeitig verlässt und die Jungen an Unterkühlung sterben.

Bären und Menschen: Gefahr von Konflikten 

Eisbär auf einer Eisscholle in der Nähe der Wrangelinsel.

Wenn Bären an Land gestrandet sind, verlieren sie nicht nur ihre Hauptnahrungsquelle, sondern es besteht auch die sehr reale und ernste Gefahr eines Konflikts zwischen Mensch und Wildtier. Wenn die Bären nicht auf dem vereisten Meer jagen können, suchen sie an Land nach Nahrung. Und an Land leben die Menschen. Kokorin erinnert sich an einen Vorfall, der sich 2019 auf Nowaja Semlija (Inselgruppe im Arktischen Ozean) ereignete, als mehr als 50 Bären in einer Militärsiedlung auftauchten, weil sie einfach nirgendwo anders hinkonnten. 

In diesen Fällen „jagen“ die Eisbären hauptsächlich die von den Menschen weggeworfenen Lebensmittelabfälle, aber manchmal auch Hunde oder auch Menschen. Das birgt Gefahren für Mensch und Tier. Die Bären könnten erschossen werden, die Menschen gefressen. Solche Vorfälle gab es in den letzten 15 Jahren vermehrt (glücklicherweise gibt es in den meisten arktischen Gebieten Russlands speziell ausgebildete „Bärenpatrouillen“). Kulemejew warnt, dass diese Vorfälle angesichts der zunehmenden Erschließung der Arktis zunehmen werden, und dass es in der Regel die Menschen selbst sind, die die Tiere zum Angriff provozieren, indem sie Vorschriften nicht beachten.  

Futtermangel bei den Rentieren

Eisbären bei der Fütterung auf einer Mülldeponie im Archipel von Nowaja Zemlya.

Im Dezember 2020 folgten auf der Jamal-Halbinsel auf den Winterregen lange Perioden extrem kalten Wetters, die zum Tod tausender arktischer Rentiere führten. Das ungewöhnliche Wetter (das wahrscheinlich mit dem Klimawandel zusammenhängt) führte dazu, dass sich eine dicke - bis zu drei Zentimeter dicke - Eisschicht über den Flechten bildete. Dadurch wurde es für die Rentiere unmöglich, beim Abgrasen der Winterweiden an Futter zu gelangen. Die Hufe der toten Rentiere waren stark abgenutzt, weil sie verzweifelt versucht hatten, ihre Futterquelle freizulegen. 

Die Wanderungsmuster der großen Taimyr-Herde, die im nördlichsten Zipfel Russlands zu Hause ist, wurden durch steigende Temperaturen und menschliche Aktivitäten beeinträchtigt. Jetzt sind die Reisen der Rentiere noch gefährlicher, da sie gezwungen sind, durch Flüsse zu schwimmen, die vorzeitig geschmolzen sind. Vor allem viele der Kälber schaffen es nicht unter den erschwerten Bedingungen zu überleben.

Wie groß sind die Überlebenschancen? 

Ein Eisbär steht auf einer Eisscholle im Arktischen Ozean.

Eisbären: Ob Tiere wie der Eisbär in der Lage sein werden, sich an eine sich verändernde Umwelt anzupassen, ist eine Frage, über die sich die Wissenschaftler nicht einig sind. Für Kumelejew ist es sehr wahrscheinlich, dass sie nicht in der Lage sein werden, sich anzupassen, da sie bereits zu den gefährdeten Arten gehören.  

Was die Eisbären betrifft, so beruhigt dagegen Kokorin, dass selbst die pessimistischsten Prognosen besagen, dass diese majestätischen Tiere überleben werden, wenn die Menschen sie mit allen Mitteln davon abhalten, in die Siedlungen einzudringen (kein Futter im Müll liegen lassen und sie mit lauten Schüssen verscheuchen). Dies ist ihre wichtigste Anpassungsmethode an den Klimawandel.

Rentierherde in der Tundra, Jamal-Halbinsel.

Walrosse: Wir müssen alle neuen Brutplätze überwachen, verstehen, auf welche Probleme die Walrosse dort stoßen könnten und versuchen, die Walrosse davon abzuhalten, Brutplätze an Orten zu errichten, an denen sie Eisbärenangriffen ausgesetzt sind. Natürlich sollten wir nicht zu sehr in die Natur eingreifen. Nur in dem Fall, wenn die Walrossbestände kritisch werden.

Diese große Rentierherde des Volkes der Nenets.

Arktisches Rentier: Es wird höchstwahrscheinlich überleben, indem es sein Wanderverhalten ändert, sagt Kokorin. An einigen Orten werden sie ihre Wanderungen im Frühjahr und im Herbst ändern, während sich an anderen Orten, an denen sich das Klima schneller und radikaler ändert, ihre Wanderungen auch im Winter ändern werden. Wenn es zu unvorhergesehenem Tauwetter und Frost kommt, können die Menschen den Rentieren mit Werkzeugen helfen, das Eis zu durchbrechen. Der WWF Russland hat auch damit experimentiert, neugeborenen Kälbern bei der Überquerung von Flüssen zu helfen, und konnte dabei einige Erfolge verzeichnen. 

Walross bei Tschukotka.

Weiße Meeresrobben: Sie werden nicht überleben, wenn sich die klimatischen Bedingungen weiter ändern, so Kokorin. Sie haben dann nur die einzige Möglichkeit, in die Barentssee umzuziehen (was bedeutet, dass es sie im Weißen Meer nicht mehr geben wird), oder die Menschen müssen künstliche Eisinseln für sie schaffen.

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