Gorbatschow gestorben. Wie wird sich die Welt an den einzigen Präsidenten der UdSSR erinnern?

Lifestyle
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Michail Gorbatschow, der erste und einzige Präsident der UdSSR, der Vater von Perestroika und Glasnost, starb am Abend des 30. August 2022 in Moskau.

Wie sich Gorbatschow selbst erinnerte, begann bei ihm als Student „ein langwieriger, sich hinziehender Prozess des Umdenkens über die Geschichte des Landes“. Die Übernahme des Amtes des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion am 11. März 1985 kam für die sowjetische Nomenklatura nicht überraschend: Michail Gorbatschow war bei Leonid Breschnew hoch angesehen, hatte die Gunst des zweiten und dritten Mannes im Lande und war als Landwirtschaftsminister der UdSSR erfolgreich.

Viele erwarteten von dem ehrgeizigen Führer, der mit dem Westen und dem sowjetischen Volk sympathisierte, nachhaltige Veränderungen. „Als ich damals zustimmte, das höchste Amt des Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU anzunehmen, war mir klar: So kann es nicht weitergehen, und ich werde es mir nicht gestatten im Amt bleiben, wenn ich nicht bei der Umsetzung grundlegender Veränderungen unterstützt werde“, sagte er 1991, ein Jahr nachdem er den Friedensnobelpreis „in Anerkennung seiner führenden Rolle im Friedensprozess“ erhalten hatte.

Ein grundlegender Wandel sollte folgen, aber nicht alles wurde akzeptiert und verstanden. Die Anti-Alkohol-Kampagne, der so genannte „Kampf um die Nüchternheit“ in einem Land, das am Wodka zugrunde geht, war der erste schmerzhafte Schritt des Generalsekretärs Gorbatschow in Richtung Perestroika. Danach kam es zu einer massiven Säuberung und Verjüngung der Regierungspartei. Aber er setzte auch bald darauf dem langjährigen Einparteiensystem ein Ende. Die KPdSU verlor ihren verfassungsmäßigen Status als alleinige Regierungsmacht, das Land erlebte demokratische Wahlen und die Verfolgung Andersdenkender hörte auf. Gorbatschow brachte den im Exil lebenden Wissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow zurück und setzte die Rehabilitierung der Opfer der stalinistischen Repression fort, die unter Nikita Chruschtschow ins Stocken gekommen  war.

Seine wichtigste Errungenschaft sollte jedoch die Glasnost und die Abschaffung der Zensur sein: Unter ihm überschritt die Auflage der Zeitungen die Millionengrenze und die Partei und die Machthaber wurden zum ersten Mal zur öffentlichen Zielscheibe für Kritik. Glasnost und Demokratisierung sind noch keine Meinungsfreiheit oder Demokratie, aber ohne die Reformen Gorbatschows wäre der Weg dorthin sehr langwierig gewesen.

Am Ende sollte eben jene Glasnost Gorbatschow zum Vorwurf gemacht werden: Sie habe den Vulkan des Nationalbewusstseins, der zum Zusammenbruch der UdSSR führte, zum Ausbruch gebracht. Ohne Glasnost hätten das Land und die Welt wahrscheinlich nicht so schnell von der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl erfahren – einer der größten „Flecken“ in Gorbatschows politischer Biografie. Weitere „Flecken“ waren der Konflikt in Berg-Karabach, die Stationierung von Truppen in Aserbaidschan und die Auflösung einer Demonstration in Alma-Ata.

Aber die Welt wird sich sicherlich an „Gorby“ als den Mann erinnern, der das Wettrüsten beendete und das „Imperium des Bösen“ in einen Verbündeten bei der Verhinderung geopolitischer und ökologischer Katastrophen verwandelte. Er war es, der ein „neues außenpolitisches Denken“ verkündete, die Wiedervereinigung Deutschlands einleitete und die sowjetischen Truppen aus Afghanistan abzog. Er verkündete die utopische Idee, die Atomwaffen bis zum Jahr 2000 abzuschaffen und ein internationales Sicherheitssystem zu etablieren, und dann den START-I- und den INF-Vertrag mit den USA unterzeichnete. Seine Gegner werden ihm wohl auch in Zukunft das Treffen in Malta vorwerfen, bei dem der Kalte Krieg auf Augenhöhe beendet wurde, und ihn beschuldigen, vor dem Westen eingeknickt zu sein. Gorbatschow hat darauf immer nur geantwortet: „Wir wollen verstanden werden. <...> Das bedeutet nicht, genau wie die anderen zu werden“, sondern von den anderen verstanden zu werden.

Nach seinem Rücktritt verfolgte er weiterhin die Entwicklung des Landes, gründete die Gorbatschow-Stiftung und das Internationale Grüne Kreuz und versuchte, in die große Politik zurückzukehren, aber er erhielt bei den Präsidentschaftswahlen nur 0,51 % der Stimmen (Der Zusammenbruch der Sowjetunion wurde ihm nie verziehen). Der einzige Präsident der UdSSR ging wie erwartet in scharfe Opposition zum ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin und unterstützt später (wenn auch nur für kurze Zeit) dessen Nachfolger Wladimir Putin. Er übte sich in Selbstreflexion und gestand die von ihm begangenen von Fehler ein.

„Die Perestroika hat gesiegt! Aber ich als Politiker habe verloren“, resümiert er 2009. Aber vielleicht ist eine der wichtigsten Schlussfolgerungen, die er damals, im fernen Jahr '91, für sich selbst formulierte: „Das Leben ist viel reicher und komplizierter als die perfektesten Pläne, es zu verbessern. Aber am Ende rächt es sich dafür, dass man ihm einen Plan aufgezwungen hat, selbst wenn man die besten Absichten hatte.“

>>> Die vier größten außenpolitischen Erfolge von Michail Gorbatschow