Das Experimentieren mit der Kreisform begann in Russland bereits vor der Oktoberrevolution. In den 1820er Jahren wurde das erste „Rund-Haus“ in St. Petersburg gebaut.
Das avantgardistische Privathaus des Architekten Melnikow, das in den späten 1920er Jahren in Form eines Zylinders gebaut wurde, ist in Moskau weithin bekannt.
Kreisförmige Formen wurden zu einer bevorzugten Methode in der Architektur des Konstruktivismus und wurden aktiv in verschiedenen Gebäuden verwendet – von Sanatorien bis zu Opernhäusern. In den späten 1920er Jahren wurde in Taganrog der Metallarbeiterclub gebaut, dessen Umriss dem Kopf eines Schraubenschlüssels ähnelte.
1932 entstand in der gleichen Stadt ein dreistöckiges Haus in Form des Buchstabens C bzw. eines gebrochenen Rings gebaut. Es gilt als das erste Ring-Wohnhaus in der UdSSR, und die ersten Mieter waren Arbeiter aus dem Werk „Krasnyj Kotelstschik“.
Wer der Architekt war, ist nicht bekannt. Zu Sowjetzeiten glaubte man, der Autor des Projekts sei Michail Kondratjew gewesen, der den Zickzack-Wohnkomplex „Nowyj Byt“ in Rostow am Don errichtete. Später begannen lokale Historiker jedoch zu glauben, dass Iwan Taranow-Beloserow, der mehrere Moskauer U-Bahn-Stationen entworfen hat, an dem Projekt beteiligt war.
Das Arbeiterwohnhaus im Werk „Krasnyj Kotelstschik“ (so lautet noch immer der offizielle Name des Gebäudes) hat 36 Wohnungen. Ursprünglich wurden die Bäder von mehreren Familien gemeinsam genutzt, aber jetzt hat jede Familie ihr eigenes Badezimmer. In dem prestigeträchtigen Haus gab es eine separate Toilette, jedoch wurde die Wasserver- und -entsorgung erst 30 Jahre später, in den 1960er Jahren, installiert.
Im Inneren des Hauses befindet sich ein geschlossener Innenhof, zu dem alle Wohnungen einen Zugang haben. Im zweiten und dritten Stock gibt es gemeinsame Balkone entlang der ringförmigen Fassade des Hauses. Das Gebäude wurde vor zehn Jahren renoviert.
Die runde Form symbolisierte Einheit und Gemeinschaftlichkeit – die ideale Wohnung für einen Sowjetmenschen, den von jeder Wohnung sind alle andren Wohnungen, die Balkone und der Innenhof einzublicken. Die verwendeten Materialien waren so einfach wie möglich, aber das Haus war solide gebaut (es ist jetzt 90 Jahre alt, aber in einem ausgezeichneten Zustand).
Anfang der 1930er Jahre entstand in der Stadt Iwanowo ein Hufeisenhaus im konstruktivistischen Stil. Das Haus wurde für die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes gebaut; es war ein weiteres Experiment. Man ging davon aus, dass die halbkreisförmige Form die Wohnräume kompakter machte, städtischen Raum sparte und es ermöglichte, mehr Menschen auf einer begrenzten Fläche unterzubringen.
Die Experimente gaben jedoch nie den Anstoß für den Massenbau solcher Rundbauten. Infolgedessen wurde das akute Wohnungsproblem in den 1950-60er Jahren durch einfachere Konstruktionen gelöst – die so genannten „Chrustschowkas“.
Später wurde jedoch weiter mit runden Formen experimentiert. Nach der Entscheidung, die Olympischen Spiele 1980 in Moskau zu veranstalten, beschlossen die Behörden, die Gäste mit der Infrastruktur zu überraschen und bauten wieder Rundhäuser. Um genau zu sein, handelte es sich um fünf Gebäude, die aus der Luft betrachtet das Bild der olympischen Ringe ergeben sollten. Die beiden Ringe, die von dem Architekten Jewgenij Stamo und dem Ingenieur Alexander Markelow entworfen wurden, entstanden in den 1970er Jahren an der Nischynska- und der Dowschenko-Straße. Es waren riesige Gebäude mit mehr als 900 Wohnungen.
Es stellte sich heraus, dass es extrem teuer und schwierig war, solche nicht standardisierten Gebäude zu bauen. Daher wurde der ehrgeizige Plan nach zwei Gebäuden aufgegeben.
Später stellte sich auch heraus, dass das Leben in einem solchen Haus viele Nachteile hatte – es war schwierig, den Hof zu betreten, da man nur durch die Durchgänge gehen konnte und es gab nicht genügend Parkplätze. Wohnungen mit Fenstern zum Innenhof sind oft einfach zu dunkel, und deshalb wird mehr Geld für Strom ausgegeben. Außerdem verursachte der Mangel an Licht Feuchtigkeit und Schimmel. Die Wohnungen hatten kaum Ecken, was das Tapezieren und das Verlegen der Böden erschwerte. Und die sowjetischen Standardmöbel wollten nicht so recht in die ungewöhnliche Gestaltung der Räume passen. Außerdem wirkte der Innenhof wie ein großer Betonbrunnen, der selbst bei normaler Gesprächslautstärke ein starkes Echo erzeugte.
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