7 Traditionen sowjetischer Haushalte, die heute noch lebendig sind

Russia Beyond (Wladimir Smirnow / TASS; Legion Media)
Die Sowjetzeit schuf ihren eigenen Stil für das häusliche Leben, der von mehreren Generationen kultiviert wurde. Vieles davon passt nicht mehr zum heutigen Zeitgeist mit seinem Lebensrhythmus. Aber einiges existiert heute immer noch.
  1. Teppiche im Schnee reinigen

Die sowjetische Besessenheit von Teppichen (über die wir hier ausführlich berichtet haben) zwang die Menschen, ihren Zustand genau im Auge zu behalten. Die Teppiche, die nicht nur auf dem Boden lagen, sondern auch an der Wand hingen, waren echte Staubfänger und mussten recht oft gereinigt werden. Dazu wurden in den Höfen spezielle Konstruktionen gebaut, an denen die Teppiche aufgehängt wurden (diese Konstruktionen gibt es übrigens immer noch in einigen Höfen). Besonders effektiv war es, dies im Winter zu tun, wenn der Teppich mit Schnee gereinigt werden konnte.

Jahre später sind die gleichen Teppiche aus den sowjetischen Wohnungen immer noch in Gebrauch, und die Leute reinigen sie aus Gewohnheit weiterhin nach dieser Volksmethode: Sie nehmen den Teppich mit auf den Hof und schlagen ihn ordentlich aus.

  1. Die Wände nur zur Hälfte gestrichen. Grün oder blau.

Diese seltsame Ordnung war ursprünglich durch banale Sparsamkeit motiviert: Die Wände wurden in Kopfhöhe oder knapp darunter gestrichen, was ausreichte, um sich nicht mit dem Kalkanstricht zu beschmutzen und die Wand vor Dreck zu schützen.

Das galt eher für öffentliche Orte: Treppenhäuser, Krankenhäuser, Kulturzentren, Kantinen, Toiletten usw. Diese Farbe war immer im Angebot, denn sie wurde in großen Mengen für die Automobilindustrie, die Rüstungsindustrie und für die Lackierung von Eisenbahnwaggons hergestellt. Außerdem sind diese Farben angeblich der beste Weg, um Vandalismus, Baumängel und andere Unvollkommenheiten zu verbergen.

Heute gibt es in Russland keine Beschränkungen für Farben oder Anstriche, aber Eingänge und andere Bereiche sind oft immer noch so gestrichen. Die Bewohnerinnen und Bewohner können entscheiden, welche Farbe die Wände haben sollen, und dies der Verwaltungsgesellschaft mitteilen. Wenn sie jedoch nicht die Initiative ergreifen, wird in 90 Prozent der Fälle der Eingangsbereich grün oder blau gestrichen und nur die untere Hälfte der Wand – nach dieser alten sowjetischen Tradition.

  1. Schüsseln, aus denen niemand isst

Ein Kristall- oder Porzellanservice, das die allermeisten Tage des Jahres in der Schrankwand und nicht im Küchenschrank aufbewahrt wird, ist eine typische Geschichte für einen sowjetischen Haushalt. In der UdSSR war solches Geschirr ein Symbol für Reichtum und ein knappes Gut, deshalb wurde es hinter Glas aufbewahrt und nur an ganz besonderen Tagen für Gäste herausgeholt. Im Alltag benutzte die Familie das übliche billige Geschirr und man wagte es nicht, von den schönen Tellern zu essen.

Diese Gewohnheit ist auch heute noch lebendig, in einer Zeit, in der es kein Defizit mehr gibt und Status nicht durch Geschirr demonstriert wird. Festtagsgeschirr kann jahrelang verpackt in einer Kiste liegen und auf einen ganz besonderen Anlass warten, und bei Großmutters Kristall bringen es viele immer noch nicht übers Herz, sich davon zu verabschieden.

  1. Post-sowjetische Kunst in Blumenbeeten

Das Haus der vorbildlichen Alltagskultur war ein Wettbewerb in der UdSSR um den am besten aufgeräumten und saubersten Hof. Die Siegerhäuser erhielten Schilder mit der Aufschrift Haus der vorbildlichen Instandhaltung. Es gab keine Bestechungsgelder, um diesen Status zu erhalten – das war nur durch harte Arbeit und herausragende Kreativität zu erreichen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner versuchten unter anderem, ihre Höfe auf eine Weise zu dekorieren, die sie für „interessant“ hielten (und mithilfe dessen, was sie zur Hand hatten).

Von alten Kanistern und Reifen bis hin zu herumliegenden Brettern wurde alles verwendet. Auch die in Russland verhängte Geldstrafe für Kunstobjekte aus Altreifen (die als Gefahrenstoffe der Klasse 4 eingestuft sind) hat nicht viel daran geändert.

  1. Dekorieren der Eingänge

Das Gleiche gilt für den Eingangsbereich: Man versuchte traditionell, ihn gemütlicher werden zu lassen, indem man ihn buchstäblich einrichtete: Es wurden Blumen auf den Fensterbänken angepflanzt, Stühle und Sessel vor dem Eingang aufgestellt und manchmal sogar Teppiche ausgelegt.

Ein Blick auf die heutigen Eingänge in Jakutien zeigt, dass man es dort immer noch liebt, den öffentlichen Raum zu „domestizieren“.

  1. Den Balkon in einen Lagerraum verwandeln

Die sowjetischen Standardwohnungen waren nicht sehr geräumig, so dass um jeden verfügbaren Meter Wohnraum gekämpft wurde. Die Menschen brauchten aber immer noch einen Ort, an dem sie saisonale Gegenstände wie Skier, Kinderschlitten, Winterreifen und nicht häufig verwendete Dinge aufbewahren konnten. Infolgedessen wurde der Balkon in eine Abstellkammer verwandelt, die das ganze Jahr über zugemüllt war. Die Redewendung auf den Balkon stellen gilt auch heute noch in vielen Familien.

  1. Subbotniks durchführen

Unbezahlte Arbeit zum Nutzen aller wurde zu Beginn der Sowjetmacht als eines der Zeichen eines „wahrhaft sozialistischen Staates“ in die Praxis umgesetzt. Es gab sie sowohl auf betrieblicher Ebene (an Lenins Geburtstag im April arbeiteten alle Arbeiterinnen und Arbeiter  ohne Bezahlung) als auch im Wohngebiet: Zu einem Subbotnik zu gehen, um ein Territorium zu säubern, galt als gesellschaftlich vorbildliches Verhalten.

Und anfangs war der Subbotnik tatsächlich ein Ausdruck revolutionärer Begeisterung, aber mit der Zeit wurde er zur Pflicht.

Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, aber die Gewohnheit des kollektiven Aufräumens ist geblieben. Doch sie erlebt ihre letzten Tage: Sie hat nichts mehr mit der sozialistischen Ideologie zu tun, und immer mehr Menschen sind der Meinung, dass diese Arbeit von Verwaltungsgesellschaften oder städtischen Dienstleistern erbracht werden sollte.

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