Wie ein nicht einmal vierjähriges Mädchen 12 Tage in der Taiga verbrachte und überlebte

Hauptdirektion des Ministeriums für Notstandssituationen von Jakutien
Das Verschwinden von Karina Tschikitowa wurde erst am dritten Tag bemerkt. Die Geschichte ihrer Rettung schockierte die Retter: Niemand hätte gedacht, dass ein Kind so etwas überleben könnte.

Olom ist ein winziges jakutisches Dorf. Dort leben nur wenige Familien, die meisten von ihnen sind alte Leute. Der Ort ist von der Taiga und Sümpfen umgeben. Die nächstgelegene Stadt ist 70 Kilometer von Olom entfernt. Es gibt weder einen Telefonanschluss noch eine direkte Straßenanbindung.

Karina Tschikitowa und ihre Mutter kamen Ende Juli 2014 hierher, um bei Verwandten zu wohnen. Karina war 3 Jahre und 8 Monate alt. Am 29. Juli wachte das Mädchen auf, aß Pfannkuchen zum Frühstück und ging nach draußen, um mit einem Welpen zu spielen. Dann verschwand es.

Der erste Tag

An diesem Tag arbeitete die Mutter des Mädchens auf dem Heuboden und die Großmutter sollte auf das Kind aufpassen. Aber die alte Frau war nach dem Frühstück eingeschlafen, und als sie aufwachte, dachte sie, das Kind sei bei ihrer Mutter.

Am Abend kamen die Frauen zusammen, sahen Karina nicht und dachten, dass sie bei ihrem Vater war: Der Mann lebte schon lange bei einer anderen Familie und wollte an diesem Tag nach Olom kommen, um seine Tochter für ein paar Tage zu sich zu holen.

Doch drei Tage später tauchte Karinas Vater allein in Olom auf. „Ich habe meine Tochter nicht mitgenommen“, sagte er verblüfft und gab an, dass er am Tag des Verschwindens kurzfristig zur Arbeit gerufen worden war.

Zur gleichen Zeit wurde im Dorf festgestellt, dass neben dem Mädchen auch ihr Lieblingshündchen fehlte.

Selbst die warm angezogenen Männer froren

Die Suchaktion begann am dritten Tag nach dem Verschwinden des Mädchens. Die Polizei eröffnete sofort ein Strafverfahren wegen Mordes. Etwa hundert Retter und Freiwillige machten sich auf die Suche nach dem Kind. Hundeführer und Drohnen durchkämmten einen 30-Kilometer-Radius in der Wildnis.

„Jeden Tag schwand unsere Hoffnung, besonders als wir im Suchgebiet einen Bären sahen“, berichtete einer der Suchteilnehmer.

Die Wildtiere waren tatsächlich aktiver geworden und versuchten, sich so weit wie möglich von den damals in dieser Gegend wütenden Waldbränden zu entfernen. Die Brände führten auch zu einer schlechten Sicht im Wald. Es gab nicht viel Hoffnung, auch weil die Temperaturen in dem Gebiet selbst im Sommer nachts auf minus ein Grad sinken.

Unter diesen Bedingungen ein Kind lebend zu finden, galt als unmöglich. Vor allem, nachdem man die Stiefel und die Jacke des Mädchens im Sumpf versenkt gefunden hatte. Das bedeutete, dass Karina nur mit einer Strumpfhose und einem T-Shirt bekleidet war, während selbst die warm angezogenen Männer in ihren Schlafsäcken froren.

Der Wendepunkt kam am neunten Tag nach ihrem Verschwinden: Unerwartet kam Karinas Welpe ins Dorf gerannt. Hungrig, schmutzig, verängstigt. Er weigerte sich, den Hof zu verlassen und dorthin zu laufen, wo er hergekommen war. Aber die Suchhunde nahmen die Spur auf. Das half. Sie fanden Karina jedoch nicht sofort, sondern erst drei Tage später.

Sie rupfte Gras für ihre Schlafstätte und aß Beeren

„Sie saß in einem Schilfdickicht und schwieg. Ich habe sie nicht einmal gleich gesehen. Sie erblickte mich und streckte ihre Arme aus. Ich hob sie auf, sie war so klein, so leicht, wie eine Feder. Beine, Arme und Gesicht blutverschmiert. Zu Tode erschrocken, ohne Schuhe. Sofort bat sie um etwas zu trinken, sagte, sie habe Hunger. Und sie fing an zu weinen“, erzählte der Freiwillige Artjom Borissow, der das Mädchen gefunden hatte.

Am zwölften Tag wurde sie sechs Kilometer von Olom entfernt gefunden. Sie hatte sich beim Spielen mit ihrem Hund verirrt und war immer tiefer in den Wald geraten. „Es war physisch unmöglich, dass sie fast zwei Wochen lang unter solch extremen Bedingungen überlebt hat“, erklärten die Retter ratlos. Das Kind hatte in zwölf Tagen ein Drittel seines Gewichts verloren. In dieser Zeit hatte es sich nur von Beeren ernährt, Wasser aus dem Bach getrunken und sich nachts an seinem Hund gewärmt.

„Mir fiel auf, dass dieses kleine Mädchen wusste, wie man sich auf die Nacht vorbereitet: Sie suchte sich einen Platz, rupfte Gras für ihre Schlafstätte. Sie überlebte auch dank des Hundes. Es war wichtig, dass es in einer solchen Situation eine lebende Seele gab“, erinnert sich die Journalistin Viktoria Gabyschewa, die ein Buch darüber geschrieben hat.

Karina verbrachte mehr als 20 Tage im Krankenhaus. Sie konnte nur sehr zerkleinerte Nahrung zu sich nehmen und wollte das Bett nicht verlassen: Ihre Füße waren von Insekten zerstochen und aufgescheuert.

Nach diesem Vorfall wurde dem Mädchen viel Aufmerksamkeit zuteil. Ein Jahr später wurde Karina und dem Hund auf dem Flughafen von Jakutsk ein Denkmal gesetzt. Sie besucht inzwischen die Ballettschule in Jakutsk und träumt davon, später einmal in Schwanensee zu tanzen.

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