Mein Leben in Russland: Warum ein Deutscher aus Ruanda in Karelien lebt

Lifestyle
SWETLANA LOMAKINA
Die Stadt Sortawala ist eine der Perlen Kareliens, weshalb sich im Sommer viele Touristen hierher verirren. Und sie lernen oft die Schönheit dieser Orte kennen, dank Michael und Marina Negele. Nachdem der internationale Hotelbuchungsdienst „booking.com“ Russland verlassen hatte, gründete das Paar seine eigene Plattform für die Buchung von Unterkünften in Karelien. Und jetzt arbeiten die Negeles daran, ein vollwertiges touristisches Medienprojekt über ihre Heimat ins Leben zu rufen.

„...Ich komme aus Deutschland, auf Deutsch heiße ich Michael. Aber ich bin in Ruanda geboren, wo mein zweiter Vorname Rugamba lautet. Meine Mutter ist Ruanderin und mein Vater ist Deutscher“, erzählt Michael Negele. Als er zehn Jahre alt war, zog die Familie von Ruanda in die Heimatstadt von Michaels Vater, nach Tübingen.

Während ihres Studiums an einer deutschen Universität mussten die Studenten, darunter auch Michael, im Rahmen des Studentenaustauschprogramms in ein anderes Land reisen.

„Und irgendwie habe ich den richtigen Moment verpasst und kam erst zur Wahl, als es die beliebtesten Länder nicht mehr gab.“ Er entschied sich für Finnland und den Studiengang Internationale Wirtschaft und Geschäftskultur in Russland. Das war im Jahr 2008.

Auf die Frage, warum Michael sich für ein Studium in Russland entschieden hat, kann er seine Wahl nicht ganz erklären: „Ich wollte das wahre Russland kennen lernen. In den westlichen Medien wurde es als ,furchterregendesʻ Land dargestellt... In meinem sozialen Umfeld gab es kaum Informationen über das neue Russland.“

Michaels Frau Marina stammt aus Sortawala. Im Herbst 2009 reiste sie aus beruflichen Gründen nach Finnland, wo sie ihren zukünftigen Ehemann auf einer Party kennenlernte. Marinas Einladung, sie Anfang Januar 2010 zu besuchen, nahm er nur zögerlich an. „Er dachte, da er eine dunkle Hautfarbe hat, würde er sofort nach dem Grenzübertritt in Handschellen gelegt werden. Wobei nicht klar war, wer ihm die Handschellen anlegen würde und warum: das Militär oder die Zollbeamten und ob sie ihn verhören oder gleich ins Gefängnis stecken würden“, sagt Marina.

Solche Klischees, dass in Russland Gangster leben, sind in Michaels Kopf durch Hollywoodfilme entstanden. „Dort waren alle bösen Jungs aus Osteuropa.“

Umzug nach Russland

Von den 15 Jahren, die das Paar nun schon zusammen ist, haben sie einen großen Teil im Ausland gelebt, darunter auch in Deutschland (von 2009 bis 2021). Einer der Gründe, warum sie während der Pandemie nach Russland zogen, war der Lockdown, der der Familie das Gefühl gab, in einem Gefängnis zu sein. „In Russland gab es keine Bestrafungen wie in Europa. Man musste eine Maske tragen, da ja. Aber in Deutschland konnte man nicht einfach mit einer Person auf der Straße stehen, es sei denn, man wohnte in derselben Wohnung wie sie“, sagt Marina.

„Im Park [in Deutschland] kam ein Polizeiauto auf uns zu und [die Polizeibeamten] untersuchten uns: Sahen wir wie eine Familie aus, leben wir zusammen? Das war unangenehm und beängstigend“, erzählt Michael.

Ein weiterer Grund für den Umzug war Tochter Zoe-Louise. Michael und Marina wollten, dass sie in Russland studiert. Ihre Entscheidung haben sie nicht bereut. „Wenn ein Kind in Deutschland zur Schule geht, wird es sofort in ein starres System eingebunden. Man kann nicht einmal zwei Tage vor Beginn der Ferien mit ihm in den Urlaub fahren. Wenn Sie es trotzdem tun, bekommen Sie im besten Fall eine Geldstrafe, im schlimmsten Fall kommen die Mitarbeiter vom Jugendamt“, erklärt Marina.

Also zog die Familie Negele vor zweieinhalb Jahren nach Sortawala.

„Mein Karelien“

Wenn sie über ihre Geschichte sprechen, erwähnen Michael und Marina vor allem, dass die Anmeldung im Vergleich zu Deutschland sehr unkompliziert erfolgt. „Um ein Unternehmen anzumelden, muss man nicht monatelang hin und her fahren – alles wird an einem Ort erledigt. Als ich das erfuhr, war ich einfach nur glücklich!“

Marina sagt, dass es in Russland üblich sei, sich über die Bürokratie zu beschweren. Aber nachdem sie in Europa gelebt hat, sei ihr klar geworden, wie viel langsamer und komplizierter der bürokratische Apparat dort ist. „Die Kommunikation erfolgt nur über Briefpost. Für eine Frage ist ein einziger Beamter zuständig. Wenn er nicht antwortet, kann kein anderer helfen oder beraten. Das ist es, was Bürokratie bedeutet!…“

Das Paar begann sein Geschäft mit dem Kauf eines Gästehauses, renovierte es und begann, es an Touristen zu vermieten. Sie planten, das Geschäft zu erweitern, aber im März 2022 verließ der internationale Hotelbuchungsdienst booking.com Russland. „Also dachte ich, wir sollten unsere eigene Website erstellen: Ich arbeite in der IT-Branche. Schließlich schufen wir eine ziemlich große Plattform für die Vermietung von Unterkünften – Moja Karelija (dt.: Mein Karelien)“, erzählt Michael. Es dauerte nicht lange, bis sich ein positives Ergebnisse einstellte und das Geschäft wuchs von Tag zu Tag. Neben der Vermietung von Unterkünften an Touristen eröffnete das Paar einen Laden mit handgefertigten Souvenirs. „Wir ziehen lokale Handwerker an und stellen unser eigenes Keramikgeschirr her“, fügt Marina hinzu.

Angesichts des touristischen Potenzials Kareliens plant das Ehepaar, sein Geschäft auszubauen und eine Medienressource zu eröffnen. Diese Website wird Informationen über die Vorteile eines Urlaubs in Karelien bieten. Sie wird es ermöglichen, sich über die Sehenswürdigkeiten zu informieren und Routen für die Urlaubsplanung auszuwählen.

„Unser Deutscher“

Michael Negele liebt seine neue Heimat sehr und spricht warmherzig über Sortawala. „Das Magische an diesem Ort sind für mich die Seen. Am See Hyumpelänjärvi steht sowohl unser Haus als auch das Haus von Marinas Eltern. Und das ist mein Kraftquell: Ich gehe schwimme, solange das Wasser noch nicht mit Eis bedeckt ist.“

Nach seinem Umzug nach Russland fühlte sich Michael zunächst ein wenig unwohl. Die Familie lebt in der Grenzzone und so wurden jeden Tag die Dokumente kontrolliert. „Aber dann haben sie sich an mich gewöhnt. In Sortawala nennen mich die Leute unser Deutscher.“

Der Artikel wurde ursprünglich auf Russisch von Swetlana Lomakina für die Zeitschrift Nazija (dt.: Nation) veröffentlicht.

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