Die russisch-belarussischen Beziehungen werden oft durch emotionsgeladene Krisen belastet. Fast immer liegen zwei Faktoren zugrunde: die wirtschaftliche Situation in der Republik Belarus selbst und die Versuche des belarussischen Präsidenten, aus dieser Situation herauszufinden, indem er den Dialog eskalieren lässt oder sich selbst als Opfer stilisiert. Meist geht dieser Ansatz auf und führt zu etlichen Zugeständnissen seitens Moskau. Aber was passierte diesmal?
Auf den ersten Blick ist nichts Schreckliches vorgefallen. Russland führte die sogenannten „Grenzzonen“ ein, genauso wie Minsk es im Herbst 2014 getan hatte. Dies führe allerdings keinesfalls zu Grenzkontrollen, die es zuvor nicht gegeben habe, berichtet der russische Föderale Sicherheitsdienst. Es handele sich eher um eine verstärkte Reaktionsbereitschaft der Sicherheitsorgane in den Grenzregionen.
Laut der offiziellen Erklärung sollen die Grenzzonen dabei helfen, den Drogenhandel, Schmuggel und illegale Grenzüberschreitungen zu bekämpfen. In der Tat: Die Republik Belarus führte einen fünftägigen visafreien Aufenthalt im Land ein, und zwar nicht nur für die wohlhabenden Länder der EU und die USA, sondern auch für Staaten mit einem höheren Migrationspotenzial wie Vietnam, Haiti, Gambia, Indien oder China. Es gibt jedoch eine sehr wichtige Einschränkung: Die Einreisenden aus diesen Ländern müssen ein gültiges Schengen-Visum für mehrere Aufenthalte oder ein EU-Visum mit entsprechendem Einreisevermerk und Tickets für ihren Rückflug vorzeigen können. Eine gewisse Gefahr, dass illegale Migranten einreisen können, existiert aber dennoch.Viel mehr Sorgen bereitet den Geheimdiensten die Tatsache, dass diese Einreiseerleichterung von IS-Terrormilizen genutzt werden könnte, um nach Russland zu reisen, sagen Experten. Die Gefahr geht deshalb indirekt auch von den europäischen Ländern aus, in denen der IS aktiv neue Mitglieder rekrutiert. Diese Gefahr darf man nicht unterschätzen.
Natürlich kann die Maßnahme Russlands nicht an der Republik Belarus alleine liegen. Und hier ist nicht nur die Rede von eventuellen ukrainischen Spionen, von denen man bereits einige an der russisch-belarussischen Grenze verhaftet hat. Die neueste Zuspitzung der Lage im Donbass wurde alleine dadurch verursacht, dass ukrainische Politiker den Boden unter den Füßen und ihre Unterstützung aus Übersee verlieren. Die Eskalation ist ihr Versuch, ihren besonderen Status und die letzte Chance auf externe Hilfe zu bewahren. Dies kann zu einer weiteren Eskalation und neuen Flüchtlingsströmen führen, worauf man sich lieber vorbereiten sollte. Sehr wahrscheinlich ist dies der wahre Grund hinter den Maßnahmen Moskaus.
Ein zweiter Grund für die Reaktion des Kremls könnten die Beziehungen innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion sein. Es ist bislang nicht klar, ob die Entscheidung Lukaschenkos mit den Partnern aus der Union abgesprochen wurde.
Es ist nicht die erste Respektlosigkeit aus Minsk in Richtung Bündnispartner. Man kann natürlich auf den besonderen Status der Republik in der OVKD und dessen Weigerung verweisen, im Krisenfall Truppen bereitzustellen. Man kann die Augen davor verschließen, dass Lukaschenko demonstrativ die Stationierung eines Militärstützpunktes untersagt. Es ist nicht so, dass man diesen Militärstützpunkt unbedingt bräuchte, aber unter politischen Partnern muss man sich auf getroffene Vereinbarungen verlassen können – alles andere führt die Partner aufs Glatteis. Die Absage seines Besuches in Sankt Petersburg zur Unterzeichnung der Abkommen für die Eurasische Wirtschaftsunion war ein direkter Affront gegen das Bündnis, der bei den anderen Staatschefs für Erstaunen sorgte.
Auch der jetzige Konflikt wird für Minsk vermutlich wieder positiv enden. Lukaschenko sollte dennoch verstehen, dass sich die Welt verändert hat. Die politischen Pirouetten, die Anfang der 2000er-Jahre passend waren, sorgen heute für Empörung. Russland wird natürlich auch weiter ein Verbündeter für Belarus bleiben, aber dennoch sollte man mit Konsequenzen rechnen. Diese werden dann höchstwahrscheinlich nicht die Grenzzonen betreffen, sondern Auswirkungen auf den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit haben. Dies wäre für den belarussischen Präsidenten besonders schmerzhaft.
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