Griechenland sorgte zuletzt für Unruhe im Europäischen Parlament: „Wir alle wissen, dass die gegenseitigen Sanktionen Russlands und der EU die Situation nicht verbessert haben“, erklärte Theodoros Zagorakis, Abgeordneter der griechischen Partei Nea Demokratia, Ende April. „Die Diskussionen darüber, wer mehr darunter leidet, führen zu nichts“, stellte er fest.
Der Süden Europas schlug schon immer sanftere Töne gegenüber Russland an. Doch auch in Frankreich treten immer mehr Kritiker der Sanktionen in Erscheinung, ebenso in Italien und besonders in Ungarn. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán versprach, es werde keine automatische Sanktionsverlängerung mehr geben. Die einflussstarke Bundesrepublik übt sich indes noch in Zurückhaltung. Im Juni wird die Europäische Union erneut über eine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland beraten.
Der Außenhandelsumsatz Griechenlands und Russlands habe bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen Hunderte Millionen Euro betragen, betont er. Für das Land, das eine verheerende Wirtschaftskrise durchmache, sei Russland ein aussichtsreicher Absatzmarkt gewesen. Russland und Griechenland haben in jüngster Zeit ihre bilateralen Beziehungen modernisiert. Im vergangen Jahr hat der griechische Premier Alexis Tsipras Russland gleich zweimal besucht, noch in diesem Monat wird der russische Präsident Wladimir Putin in Griechenland erwartet. Es ist offensichtlich, dass die Sanktionen die Zusammenarbeit erschweren.
Auch in anderen Ländern beruft man sich gerne auf die wirtschaftlichen Verluste. Der Europa-Abgeordnete der Partei Alternative für Deutschland (AfD) Marcus Pretzell erklärte, Deutschland benötige „dringend“ die russischen Ressourcen. Mit einem demonstrativen Besuch auf der Halbinsel Krim, deren Angliederung an Russland von Brüssel bislang nicht anerkannt wird, unterstrich er diese Haltung.
Ende April stimmte bereits das französische Parlament für die Abschaffung der Sanktionen. Allerdings hatten sich weniger als 20 Prozent der Parlamentarier an der Abstimmung beteiligt. Das Abstimmungsergebnis kann daher nur als eine symbolische Geste gewertet werden – für die französische Staatsführung zieht es keinerlei Verpflichtungen nach sich.„Die Anti-Sanktions-Trommel rühren meist radikallinke, rechtspopulistische und oppositionelle Parteien. Sie sind es, die die Ansicht verbreiten, Europa werde von der US-Hegemonie mit ihren unprofitablen transatlantischen Abkommen bedroht“, erklärt Leonid Gusew, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Analysezentrum des Staatlichen Instituts für internationale Beziehungen. Sie nutzten die Anti-Sanktions-Rhetorik als Mittel, um mehr Einfluss zu gewinnen, fügt er hinzu.
Braucht Russland das? „Möglicherweise schon. Das ist nicht wirklich effektiv, aber so bleiben wir immerhin auf der Tagesordnung. Und das ist ebenfalls wichtig“, meint Andrei Susdalzew, Weltwirtschafts- und Politikexperte an der Moskauer Higher School of Economics.
Seit einigen Monaten wird jedoch ein Ende der Sanktionen unnachgiebig an die Erfüllung der Minsker Vereinbarungen gekoppelt – von der Krim ist darin keine Rede. Sollten die Minsker Abkommen, deren Garant Russland ist, in hinreichendem Maße erfüllt werden, könnten die Sanktionen im kommenden Juni abgeschafft, mindestens jedoch gelockert werden, erklärten europäische Diplomaten und auch Washington nun mehrfach.
Dennoch gibt es keinen Grund zu hoffen, die Krim sei endgültig ausgeklammert worden: „Es wird immer wieder ins Gespräch gebracht, dass die Minsker Abkommen die erste Etappe seien. Die zweite ist die Krim“, dämpft Susdalzew allzu hohe Erwartungen. Die Krim sei immer dann wieder ein Thema, wenn es gerade opportun sei. „Sie ist nicht vergessen worden. Das Spiel geht weiter“, resümiert der Experte.
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