Trotz Sanktionen: Käse findet immer einen Weg

Ein russisches Paar aus Hamburg hat aus der Not eine Tugend gemacht und verkauft nun Sanktionskäse nach Russland.

Ein russisches Paar aus Hamburg hat aus der Not eine Tugend gemacht und verkauft nun Sanktionskäse nach Russland.

Shutterstock/Legion Media
Fast zwei Jahre schon müssen russische Gourmets auf viele ausländische Spezialitäten verzichten. Zwar müht sich die heimische Agrarwirtschaft um adäquaten Ersatz, doch wer auf den gewohnten Geschmack nicht verzichten will, nutzt kreativ die Schlupflöcher des Embargos.

Als die Staatssekretärin des Zwergstaates San Marino zum Moskauer Wirtschaftsforum reiste, keimte bei russischen Gourmets Hoffnung auf. In der Hauptstadtpresse kursierten Gerüchte, die selbstauferlegte Parmesan-Abstinenz Russlands könnte bald ein Ende haben. San Marino ist vom russischen Lebensmittelembargo betroffen. Doch in Moskau sollte ein entsprechendes Abkommen zur Aufhebung unterzeichnet werden, hieß es. Das Dementi kam schnell und so müssen die Liebhaber europäischer Delikatessen weiterhin kreativ sein, um ihre kulinarischen Vorlieben ausleben zu können.

Einer, der sich über eine Wiederaufnahme der Lieferungen von Parmesan und Prosciutto aus San Marino bestimmt gefreut hätte, ist Giulio Zompi. Der freundliche Italienier mit der glänzenden Glatze und den dichten Augenbrauen betreibt in Moskau eine Salumeria, ein italienisches Feinkostgeschäft. An Haken hängen luftgetrocknete Schinken, in den Regalen liegen edle Weine und in der Auslage lockt Käse. Nachdem Russland den Import vieler Lebensmittel aus Europa als Reaktion auf die antirussischen Sanktionen verboten hat, war der kleine Laden des Italieners einer der letzten Orte der Stadt, wo es noch italienischen Käse zu kaufen gab. Zompi hatte noch große Vorräte. Mittlerweile kommt ein Teil der Ware von einem italienischen Bauern. Der sitzt jedoch nicht in Italien, sondern betreibt seit 15 Jahren eine Farm nördlich von Moskau. Dort stellt er Parmesan nach italienscher Tradition her.

Spanische Salami aus Sankt Petersburg

Neben russischem Parmesan gibt es mittlerweise Prosciutto aus Wladiwostok in Russlands Supermärkten zu kaufen. Foto: Shutterstock / Legion-Media

Seit die Gegensanktionen in Kraft getreten sind, hat sich der Import von Lebensmitteln beinahe halbiert. Gleichzeitig wächst der Agrarsektor – als einziger Wirtschaftszweig in Russland. Restaurants greifen verstärkt auf heimische Delikatessen zurück, etwa Austern aus dem Weißen Meer, exotische Fischsorten aus Sibirien oder Wurst aus dem Nordkaukasus. Diese einheimischen Delikatessen, sagen Restaurantkenner, waren der große Trend im vergangenen Jahr. Manche Farmer versuchen zudem, ausländische Produkte nachzuahmen. Neben russischem Parmesan gibt es mittlerweise Camembert aus Krasnodar, spanische Salami aus Sankt Petersburg und Prosciutto aus Wladiwostok in Russlands Supermärkten zu kaufen.

Klicken Sie das Bild an, um es zu vergrößern.

Die Qualität hinkt den Vorbildern jedoch noch hinterher – ganz im Gegensatz zu den Preisen, die wegen fehlender Alternativen recht hoch sind. Viele Russen suchen daher nach Wegen, um doch an ausländische Originalprodukte zu kommen. Der importierte Käse, der zurzeit in russischen Supermärkten erhältlich ist, stammt meist aus der Schweiz oder gar aus Argentinien und Nordafrika. Doch auf den Wochenmärkten werden die Käufer fündig. An einem Stand etwa liegt im Kühlregal ein Käselaib mit weißer Schimmelrinde und französischer Fahne auf der Verpackung. Die Verkäuferin zuckt die Schultern: „Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau wie der hierherkommt. Wahrscheinlich kommt er aus Weißrussland.“

Grenzkontrollen zwischen Russland und Weißrussland sind selten, ebenso wie an der Grenze zu Kasachstan. So sind diese beiden Länder zum Einfallstor für verbotene Lebensmittel nach Russland geworden. Immer wieder hatte der russische Zoll mit einer zeitweisen Einführung von Kontrollen versucht, dem Schmuggel Einhalt zu gebieten. Dutzende Tonnen von beschlagnamten Lebensmitteln wurden direkt an der Grenze vernichtet. Und auch wenn die Aufsichtsbehörde Rosselkhoznadzor vergangenen Herbst meldete, der Strom von sanktionierten Lebensmitteln sei versiegt, so gibt es offenbar immer neue Schlupflöcher.

Lebensmittel per Post

In einem deutsch-russischen Online-Shop „Chillcheese“ werden rund zwei Dutzend hochpreisige Käsesorten verkauft. Foto: Alexander Kryazhev / RIA Novosti

Ein russisches Paar aus Hamburg hat aus der Not eine Tugend gemacht. Natalia Novikova und Suren Matevosjan leben seit acht Jahren in der Hansestadt und verkauften zunächst Tontechnik nach Russland. Nun haben sie die Produktpalette erweitert, und zwar um Käse. „Chillcheese“ heißt ihr Onlineshop, über den sie rund zwei Dutzend hochpreisige Käsesorten anbieten: extra alten Gouda, würzigen Cheddar, französischen Bergkäse und natürlich Parmegiano Reggiano. Bis zu 30 Kilogramm Lebensmittel dürfe eine Privatperson auf dem Postweg nach Russland einführen, daher sei das Geschäft legal, erklärt Gründerin Novikova. Sieben Tage braucht die Käsebox, die mit Heliumkissen kühl gehalten wird, bis nach Russland. Die Kunden sind vor allem wohlhabende Moskauer und Expats in der russischen Hauptstadt. Noch ist das Geschäft klein. Im März waren es vielleicht 60 Kilogramm Käse, die Novikova und Matevosjan nach Russland verschickten. Schon bald dürften es jedoch mehr werden.

Die Nachfrage ist jedenfalls groß. Das merken auch viele Russen, die als fliegende Händler entlang der Grenze zu Finnland arbeiten, dort wo Russland und die EU nur durch eine Schranke getrennt werden. Täglich fahren etwa von Sankt Petersburg bis zu 20 Busse Richtung Finnland, von denen nicht wenige direkt hinter der Grenze haltmachen. Dort gibt es entsprechende Märkte, die sich auf Besucher aus Russland spezialisiert haben. Bis zu 50 Kilogramm Lebensmittel dürfen auf diesem Weg nach Russland eingeführt werden.

Die meisten dieser Einkäufe landen auf der russischen Website für Kleinanzeigen Avito. Norwegischer Lachs, Käse und Wurst aus ganz Europa sind im Angebot. Die Frührentnerin Marina steht mit einem Handwagen vor der Haustür. Per Telefon hat sie Bestellungen aufgenommen, während sie auf dem Weg nach Finnland war. „Viele Hausfrauen und Rentner verdienen sich auf diesem Weg ein kleines Zubrot“, erklärt sie. „Viel Geld bringt es nicht, aber manchmal kann ich mir auch ein paar der Delikatessen für mich oder meine Kinder leisten. Vor zwei Jahren wusste ich noch nicht mal wie Parmesan eigentlich schmeckt.“

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!