Lebensmittel-Embargo: Ungarische Gans vs. russischen Bulldozer

Kommersant
Die Vernichtung von Lebensmitteln durch russische Behörden hat weltweit Diskussionen hervorgerufen. Sie zeigt, dass das eigene Importembargo nur schwer umsetzbar ist.

Kein anderer Erlass von Russlands Präsident Wladimir Putin sorgte in den vergangenen Monaten für derart viel Aufregung. Kaum war die Unterschrift unter dem Beschluss getrocknet, rollten schon die Bulldozer über importierte Gänse und Käselaibe hinweg.

Während sich die Mitarbeiter von Veterinärbehörden mit Razzien auf der Suche nach sogenannten Sapreschjonka, unerlaubten Lebensmittelimporten, machten, ging ein Aufschrei durch das russische Internet, schließlich wurden da, was ihre Qualität betrifft, einwandfreie Lebensmittel entsorgt.

Doch der Staat kennt kein Erbarmen. Anfang August hatte Moskau auf die Verlängerung von Sanktionen der Europäischen Union mit einer Verschärfung des eigenen Embargos reagiert. Sanktionierte, an der Landesgrenze beschlagnahmte Lebensmittel vorrangig aus der EU sollen vernichtet werden. So will man illegale Lebensmittelimporte aus den vom Embargo 
betroffenen Ländern bekämpfen. Zugleich wurde die Liste jener Länder um Albanien, Montenegro, Island, Liechtenstein und die Ukraine erweitert. Davon unberührt bleiben nach wie vor Lebensmittel, die von Privatpersonen für den Eigenverbrauch vorgesehen sind.

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Für die Vernichtung ganzer LKW-Ladungen scheint jedes Mittel recht, solange die Umweltschutzbestimmungen eingehalten werden. Gesucht werden sanktionierte Lebensmittel von russischen Behörden nicht nur an der Grenze, sondern landesweit, auch in den Lagern und Regalen der Supermärkte und kleineren Geschäfte. Nach Angaben der russischen Zollbehörde wurden im ersten Halbjahr 2015 insgesamt 552 Tonnen verbotener Lebensmittel konfisziert. Der russische Vizepremier Arkadij Dworkowitsch betonte, innerhalb der letzten Monate seien von offizieller Seite 700 bis 800 Verletzungen des Lebensmittelembargos festgestellt worden. Er gab an, allein in den Läden seien 44,8 Tonnen sanktionierter Waren beschlagnahmt worden.

Mit der Vernichtung wurde unmittelbar nach Inkrafttreten des Erlasses am 6. August begonnen. Als Erstes traf es eine Warenlieferung an der russisch-ukrainischen Grenze, die zehn Tonnen Käse unbekannter Herkunft umfasste. Wenig später wurden an der westlichen Grenze Russlands in einem Kühlfahrzeug 1,5 Tonnen illegaler Tomaten entdeckt. Wie ein Sprecher der Landwirtschaftsaufsichtsbehörde erläutert, würden diese Lebensmittel in der Regel verbrannt. Einige Waren landeten auch auf Deponien für feste Abfälle und werden mittels schwerer Technik zerdrückt.

Das Embargo könne jedoch unmöglich vollständig umgesetzt werden, 
bemerkt der leitende Analyst der Investmentgesellschaft UFS, Timur Nigmatullin. „Das liegt an den Besonderheiten der supranationalen Gesetzgebung und der Zollbestimmungen im Rahmen der Eurasischen Union“, erklärt er. So verhängte Weißrussland keinerlei Sanktionen gegen die EU – Grenzkontrollen zwischen Weißrussland und Russland aber gibt es nicht.

Gesellschaftliche Resonanz

Die meisten im Land haben für die Vernichtung der Lebensmittel kein Verständnis. Laut Umfragen des Lewada-Zentrums sprechen sich 48 Prozent der Russen dagegen aus, nur 
40 Prozent befürworten die Entscheidung. 41 Prozent schlugen vor, die Lebensmittel an Waisenhäuser, Obdachlosenunterkünfte, Krankenhäuser oder an Bedürftige – Rentner, Menschen mit Behinderungen oder kinderreiche Familien – zu verteilen. 27 Prozent der Befragten würden illegale Lebensmittel an Wohltätigkeitsorganisationen weitergeben. Weitere 24 respektive zwölf Prozent sprachen sich dafür aus, die beschlagnahmten Lebensmittel in den Donbass oder an Hungernde in Afrika zu schicken.

Der Unmut der Bevölkerung war kaum zu ignorieren. 389 000 Menschen unterzeichneten eine Petition für die Aufhebung des Erlasses. In der sibirischen Hauptstadt Nowosibirsk fanden Proteste der Oppositionspartei Jabloko gegen die Maßnahmen statt. Und die gemeinnützige Gesellschaft zum Schutz der Verbraucherrechte reichte sogar Klage gegen den Regierungsbeschluss beim Obersten Gerichtshof Russlands ein. Verbotenes Essen an Bedürftige zu verteilen sei jedoch unzulässig, erwiderte der Chef der Landwirtschaftsaufsichtsbehörde, Sergej Dankwert, in einem Interview mit der Online-Zeitung Gazeta.ru beharrlich, weil die Korruption bekämpft werden müsse. Dem Vorwurf der Verschwendung setzte er entgegen: „Weltweit funktioniert das System so: Handelt es sich um Lebensmittel mit gefälschten Papieren und ist ihre Herkunft unbekannt, müssen sie vernichtet werden.“

Ein wenig Menschlichkeit zeigte die russische Führung denn doch noch. So begründete Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow die Maßnahme mit der Sorge um die Gesundheit der russischen Bürger: „Hier geht es um Schmuggelware ohne Zertifikate. Niemand kann garantieren, dass diese Lebensmittel – auch wenn sie vielleicht gut aussehen – für die Gesundheit wirklich unbedenklich sind.“

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