Russland und Georgien: Wenn Geschichte die Gegenwart besiegt

Auch der Kaukasuskrieg konnte Russen und Georgier nicht endgültig entzweien.

Auch der Kaukasuskrieg konnte Russen und Georgier nicht endgültig entzweien.

Zurab Dzhavakhadze / TASS
Acht Jahre sind seit dem Kaukasuskrieg zwischen Russland und Georgien inzwischen vergangen. Obwohl es den politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern noch an Stabilität fehlt, sehen russische Bürger Georgien längst nicht mehr in der Rolle des Feindes.

Am 8. August 2008 eskalierte der Konflikt zwischen Russland und Georgien, der um die international nicht anerkannte Republik Südossetien entstanden war. Der Krieg dauerte zwar nur vier Tagen an, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern blieben jedoch bis heute angespannt. „2008 hatten es Georgier in Russland nicht leicht“, erinnert sich Georgij Arabuli, ein Moskauer mit georgischen Wurzeln. „Als ich damals nach Smolensk fuhr, wollte man mir in einem Hotel kein Zimmer geben. Dies wurde damit begründet, dass es eine Anweisung von „oben“ gegeben habe, mich nicht aufzunehmen. Im Endeffekt konnten wir uns dann einigen, aber die Stimmung blieb dennoch angespannt.“ Arabuli erging es allerdings besser als einigen seiner Verwandten und Bekannten. Diese waren zum Teil gezwungen, aus Russland auszureisen, da ihre Visa nicht verlängert wurden.

Im Jahr 2008 hatte die Stimmung zwischen Russland und Georgien ihren Tiefpunkt erreicht. Die Spannungen, die bereits Jahre zuvor mit dem Amtsantritt des georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili begonnen hatten und sich immer weiter verschärften, endeten schließlich im Kaukasuskrieg und einem Bruch sämtlicher diplomatischer Beziehungen.

Diskriminierung ist selten geworden

2010 lebten laut einer Volkszählung aus demselben Jahr rund 158 000 Georgier in Russland. Anderen Zählungen zufolge leben zwischen 300 000 und 500 000 Georgier im Land. Bereits zur Zarenzeit hatten die ersten von ihnen auf russisches Territorium übergesiedelt. Auch während der Sowjetzeit wurde ein starker Zuzug aus Georgien verzeichnet. Eine weitere Einwanderungswelle löste der Zerfall der Sowjetunion aus. Damals zog auch Georgij Arabuli mit seiner Familie nach Russland.

„Wir kamen 1996 nach Moskau“, erzählt der gebürtige Georgier. „Damals war das Leben in Tiflis alles andere als leicht: Es gab keine Heizung, kein Gas, kein warmes Wasser und Licht auch nur für drei bis vier Stunden am Abend. Als wir dann die Möglichkeit bekamen, nach Russland zu ziehen, haben wir diese ohne zu zögern ergriffen. Meine Mutter war Lehrerin und ihr war es äußerst wichtig, dass mein Bruder und ich eine gute Ausbildung erhielten. Und diese bekam man nur in Moskau.“

Arabuli studierte am Institut für Physik und Technologie in Moskau und arbeitet heute als Physiklehrer an einer Schule. Er fühlt sich in Moskau wohl und erzählt, dass er eigentlich nie wirklich Probleme mit Diskriminierung gehabt habe. Im Gegenteil sogar: Russen seien an Georgien sehr interessiert. „Natürlich gab es ein paar Auseinandersetzungen mit Skinheads. Aber für gewöhnliche Menschen spielt die Nationalität keine Rolle. Es ist schon oft vorgekommen, dass mir von Bekannten, die erfahren haben, dass ich aus Georgien stamme, sehr viele Fragen über meine Heimat gestellt wurden. Oft erzählen mir Menschen sogar, dass ihnen Georgien sehr gefällt und sie liebend gerne Chinkali, eines unserer Nationalgerichte, essen.“

Der Krieg und Saakaschwili machen Georgien zum Feind

Während der Amtszeit von Präsident Saakaschwili verschlechterte sich die Lage in Georgien zunehmend. Seine Politik wirkte sich unter anderem negativ auf die Wirtschaft und das Leben ärmerer Bevölkerungsschichten aus. Zudem führte sie auch dazu, dass Russland im Jahr 2006, nach einer weiteren Verschlechterung der bilateralen Beziehungen, die Einfuhr von georgischem Wein sowie dem in Russland beliebten Mineralwasser „Borzhomi“ verbat und georgische Migranten aus dem Land auswies. Menschenrechtler, unter anderem von Human Rights Watch und auch der russischen Organisation Memorial, stuften Russlands Vorgehen als „antigeorgische Hetzkampagne“ ein. Konstantin Satulin, Direktor des Instituts für GUS-Länder, sieht das hingegen ein wenig anders: „Unter Saakaschwili waren deutliche Provokationen von den georgischen Behörden zu spüren. Dies zog Konsequenzen nach sich, die nicht nur Politiker zu spüren bekamen.“

Der Kaukasuskrieg, der nach dem Einmarsch georgischer Truppen in Südossetien ausbrach, verschärfte die Lage zusätzlich, sodass im Jahr 2009 laut Informationen des Lewada-Zentrums 62 Prozent der russischen Bürger Georgien als feindlichen Staat ansahen.

Georgische Küche als Symbol der Annäherung

Wie sehr Georgien geschätzt wird, merkt man vor allem in Moskau. Dort eröffnen regelmäßig neue georgische Restaurants. Foto: PressebildWie sehr Georgien geschätzt wird, merkt man vor allem in Moskau. Dort eröffnen regelmäßig neue georgische Restaurants. Foto: Pressebild

Seit 2009 verbessert sich der Ruf Georgiens jedoch wieder und eine Entspannung der Gesamtsituation stellte sich ein; trotz der Tatsache, dass bis dato keine neuen diplomatischen Beziehungen geknüpft wurden, Georgien gemeinsam mit den USA Militärübungen durchführt und georgische Behörden um einen Nato-Beitritt bemüht sind. Laut Umfragen im Jahr 2016 sehen heute nur mehr zehn Prozent der Russen in Georgien eine Bedrohung. Dieser Prozentsatz ist dabei sogar niedriger, als er vor Ausbruch des Krieges war. Zudem reisen sehr viele Russen wieder nach Georgien und kaufen vermehrt georgische Weine.

Wie sehr Georgien und auch seine Traditionen geschätzt werden, merkt man vor allem in Moskau. Dort eröffnen regelmäßig neue georgische Restaurants und erfreuen sich großer Beliebtheit. „Auf Platz eins der beliebtesten Speisen stehen in Moskau nicht mehr Burger, sondern Chinkali, die in großer Vielfalt in den mittlerweile beinahe unzählbaren georgischen Restaurants serviert werden“, ist im Magazin TimeOut zu lesen.

Die gemeinsame Geschichte verbindet

„Es gibt Dinge, die uns bis heute vereinen. Und diese sind nicht politischer Natur, sondern in der Kultur und Geschichte zu finden“, beschreibt Konstantin Satulin die erneute Annäherung der beiden Länder. „Wir haben eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Erinnerung an die Vergangenheit – unter anderem an die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Auch der orthodoxe Glauben, den der Großteil der russischen und georgischen Bevölkerung gemeinsam hat, ist ein wichtiger Faktor.“

Laut Satulin sei das gegenseitige, negative Bild der Russen und Georgier seit dem Ende von Saakaschwilis Präsidentschaft 2013 und der „Einfrierung“ des Konflikts um Abchasien und Südossetien beinahe vollständig verblasst. „Solange es keine neuen Gründe zu einer Verschlechterung der Beziehungen gibt, werden die Menschen das Schlechte mehr und mehr vergessen. Es werden die positiven Dinge in Erinnerung bleiben, denn dies liegt in der Natur des Menschen.“

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