Wjatskoje: Eine Reise in das schönste Dorf Russlands

Russische Banjas im Museumskomplex von Wjatskoje. Diese kann man nicht nur bestaunen, sondern auch zweckgemäß nutzen.

Russische Banjas im Museumskomplex von Wjatskoje. Diese kann man nicht nur bestaunen, sondern auch zweckgemäß nutzen.

Oleg Smyslov/RIA Novosti
Die Auszeichnung „Das schönste Dorf Russlands“ half dem Örtchen Wjatskoje, zu einem Magneten für Touristen aus ganz Russland zu werden. Diese neue Beliebtheit hat das Dorf dem Geschäftsmann Oleg Sharow zu verdanken, der seine verfallene Heimat wiederbelebte.

Auf dem Weg zum Dorf Wjatskoje, das 300 Kilometer von Moskau und 38 Kilometer von Jaroslawl entfernt ist, kann man aus dem Busfenster eine Pyramide aus Gurkenfässern sehen. Jemand auf einer hinteren Bank erklärt seinem Nachbarn, dass Wjatskoje „die Gurkenhauptstadt Russlands” und ein Symbol für den hiesigen fetten Boden sei. Aber nur was die Gurken angeht ist Wjatskoje mit anderen russischen Dörfern vergleichbar. Dem Ort liegt eine erstaunlich präzise Planung zugrunde, beinahe wie einer Stadt: Die Dorfmitte bilden robuste, eng aneinander stehende Steinhäuser mit feinem Barockstuck. Es ist schwer zu glauben, aber beinahe die Hälfe der Gebäude in Wjatskoje – 54 von 114 – steht unter Denkmalschutz. Es gibt zehn Museen, ein Hotel bestehend aus drei Gebäuden, ein Restaurant, eine Konzerthalle und eine Freilichtbühne. Nicht jedes Dorf in Russland verfügt über eine asphaltierte Straße, geschweige denn Museen oder Restaurants.   

Zerfall eines Kolchos

So sieht das Innere des alten Hauses von Händler und Bauer Gorochow im historisch-kulturellen Zentrum von Wjatskoje aus. Foto: Oleg Smyslov/RIA NovostiSo sieht das Innere des alten Hauses von Händler und Bauer Gorochow im historisch-kulturellen Zentrum von Wjatskoje aus. Foto: Oleg Smyslov/RIA Novosti

Es ist noch nicht lange her, dass es in Wjatskoje weniger schön war. In den 1990er-Jahren wurde der Kolchos liquidiert, der den Dorfbewohner Arbeit gab. So verfiel das Dorf nach und nach und die Bewohner begannen in andere, bessere Dörfer des Verwaltungsgebiets umzuziehen. Die Dorfbewohnerin Nina Malzewa erzählt RBTH, dass sie sich noch an die Sowjetzeiten erinnere: Damals brachte der Kolchos in Wjatskoje Millionenerträge, es gab eine Berufsschule und das Leben pulsierte. In den 1990er-Jahren sei dann alles bergab gegangen. Die landwirtschaftliche Produktion wurde nicht mehr unterstützt und die Berufsschule geschlossen.

2006 begann die Veränderung: Der Geschäftsmann Oleg Sharow und seine Frau Larisa Kowalenko zogen nach Wjatskoje. Sie waren auf der Suche nach einer Datscha und kauften und restaurierten das leerstehende Haus „mit Löwen“ – ein zweistöckiges Gebäude mit Löwenköpfen. Sie interessierten sich für die Geschichte des Dorfes und eröffneten 2008 das Museum des russischen Unternehmertums. Danach machten sie sich an die Restaurierung der historischen Altstadt. Das Paar kaufte Grundstücke und bebaute sie mit Häusern, die mit Kacheln aus Jaroslawl geschmückt wurden. 2012 wurde der Geschäftsmann vom Staat mit einer Geldprämie für das Wiederbeleben des Dorfes ausgezeichnet und spendete den Preis für die Restaurierung der Dorfkirche.    

Die vor Kurzem restaurierte alte Feuerwache in Wjatskoje. Foto: Lori/Legion-MediaDie vor Kurzem restaurierte alte Feuerwache in Wjatskoje. Foto: Lori/Legion-Media

Die Dorfbewohnerin Swetlana, die im Museum des Händlers und Bauern Gorochow tätig ist, erzählt, dass Sharow im Dorf anfangs für einen Verrückten gehalten wurde. “Es wucherten Brennnesseln mitten im Dorf und niemand glaubte, dass das Dorf wiederzubeleben sei. Am Ende waren alle sehr dankbar. Klar, jetzt ist es hier sehr schön.”

Das heilende Taufbecken

Ein Mann badet im Taufbecken vor der Ikone der Gottesmutter im historisch-kulturellen Zentrum von Wjatskoje.  Foto: Oleg Smyslov/RIA NovostiEin Mann badet im Taufbecken vor der Ikone der Gottesmutter im historisch-kulturellen Zentrum von Wjatskoje. Foto: Oleg Smyslov/RIA Novosti

Die Rolle des Kolchos übernahm das historisch-kulturelle Zentrum Wjatskoje. Jährlich wird das Dorf mit seinen 1 000 Einwohnern von 100 000 Touristen besucht. Alleine zum Tag der Taufe Jesu kommen etwa 3 000 bis 5 000 Menschen hierher. An diesem Feiertag müssen Gläubige in Waken oder Taufbecken baden. Letztes Jahr musste man die Menschenmengen, die nach Wjatskoje gekommen waren, um im berühmten heilenden Taufbecken zu baden, gar mit Hilfe der Polizei organisieren.

Das Taufbecken befindet sich in einer alten Hammermühle aus rotem Backstein mit gemütlichen Gewölben, einem Kachelofen und Ikonendarstellungen. Larisa Kowalenko erzählt, dass das Dorf eine besondere Mentalität habe: In Wjatskoje habe es keine Leibeigenschaft gegeben und viele Bauern seien Händler oder Handwerker gewesen. „Etwa 30 Prozent aller Stuckkunstwerke in Sankt Petersburg wurde von Meistern aus Wjatskoje kreiert”, erklärt man mit Stolz im Dorfmuseum. Mit seinen berühmten Gurken belieferte das Dorf ganz Nord- und Westrussland. Diese Traditionen blieben auch zu Sowjetzeiten erhalten: Damals konnte sich eine Familie, die im Gurkenhandel tätig war, ein Auto leisten.

Ein digitaler Glöckner

Blick auf die Auferstehungskirche in Wjatskoje. Foto: Lori/Legion-MediaBlick auf die Auferstehungskirche in Wjatskoje. Foto: Lori/Legion-Media

Eine der schwierigsten Perioden in der Dorfgeschichte waren die frühen Jahre der Sowjetunion. Damals betrieb man eine strikte Entkulakisierung: Reiche Bauern wurden ausgeraubt und Kirchen in ganz Russland zerstört. Dank den Dorfbewohnern wurden die Auferstehungskirche aus dem 18. Jahrhundert und der altgläubige Tempel der Ikone der Muttergottes nicht zerstört. Die Auferstehungskirche wurde vor Kurzem restauriert und der Kirchturm mit den modernsten digitalen Geräten ausgestattet. Einen Glöckner braucht man seitdem nicht mehr – die Glocken werden mit einer App gesteuert. Es lohnt sich trotzdem, den Glockenturm zu besteigen: In der Dämmerung werden die historischen Gebäude des Dorfes beleuchtet. Die alte Feuerwache, das Hotel und das Restaurant zeigen ihren prächtigen Stuck im Licht der Lampen. Wjatskoje in der Dämmerung ist mehr als ein schönes Dorf. Die gesamte Schönheit Russlands scheint hier vereint zu sein.

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