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Krim: Reisen mit der längsten Trolleybus-Linie der Welt


Warum man mit einem Oberleitungsbus drei Stunden lang 100 Kilometer von Simferopol nach Jalta schaukeln sollte, als einfach schnell ein Taxi zu nehmen? Peggy Lohse ist auf die Krim gefahren und hat es für RBTH herausgefunden.
RBTH-Redaktionsnotiz: Mehr als zwei Jahre sind seit dem Referendum auf der Krim vergangen, das mit der Unterzeichnung eines Angliederungsvertrags zwischen der Halbinsel und Russland endete. Der Vorgang löste große Kontroversen zwischen der Ukraine, Russland und dem Westen aus – viele ausländische Vertretungen warnen vor Reisen in die Region. Aufgrund der in der Folge erlassenen Sanktionen ist ein Besuch auf der Krim nur schwerlich realisierbar: Nahezu keine internationale Fluggesellschaft fliegt die Halbinsel an und Besucher müssen große Mengen Bargeld mit auf ihre Reise bringen. EC- und Kreditkarten werden meist nicht akzeptiert, aber ausländische Währungen können vor Ort umgetauscht werden.
Sobald wir mit dem Flugzeug aus Moskau in Simferopol ankommen und nur einen Schritt vor das Flughafengebäude setzen, stürmen sie schon auf uns zu: Horden von Taxi- und Minibus-Fahrern, die uns in jede beliebige Stadt der Halbinsel Krim bringen wollen – ob nach Aluschta, Sewastopol oder Bachtschissraj. Aber nein, wir haben schon im Vorhinein beschlossen, auf den Weg zu unserem Urlaubsort eine eher ungewöhnliche Attraktion auszuprobieren: die weltweit längste Trolleybus-Linie zwischen Simferopol und Jalta.

Alle zwanzig Minuten startet der O-Bus Nummer 52 von seiner Haltestelle unweit des Flughafens für günstige 129 Rubel (zwei Euro) an die Krim-Südküste. In drei Stunden legt er 96 Kilometer durchs Zentrum Simferopols, die Gebirgsrücken der Krim-Berge und entlang der Schwarzmeerküste zurück. Dieser Oberleitungsbus ist weltweit der einzige, der durch die Berge fährt.
Er ist nicht nur die billigste Variante, um von Simferopol in die Urlaubsorte an der Krim-Südküste zu gelangen, sondern auch die mit Abstand langsamste. Warum man sich das als Tourist „antun" sollte? Weil man nur hier wirklich entspannt alle Eindrücke von den Menschen und der sich ständig ändernden Natur in der Umgebung aufnehmen und bestaunen kann.

Die Tickets sind in dem kleinen Häuschen direkt an der Haltestelle schnell gekauft. Noch fünf Minuten bis zur Abfahrt, doch der wartende Bus ist noch immer fast leer, nur ein älteres Pärchen will mitfahren. Die Fahrerin putzt die Fenster – übrigens ist Trolleybusfahrer auf der Krim wie auch im übrigen Russland offenbar ein klarer Frauenberuf. Noch fix die Fahrkarten kontrolliert, schon kann die Reise losgehen. Gemächlich setzt sich der Bus in Bewegung.
Simferopol: Bunte Plakate, graue Fassaden
Die Jüngeren bieten den Betagteren Plätze an, die bedanken sich höflich. Darauf folgt Smalltalk übers Wetter, die Straßen und das bevorstehende Wochenende.
Vom Flughafen führt eine lange Straße immer geradeaus in die Simferopoler Innenstadt. Während wir uns an den ersten Hügelketten in der Ferne erfreuen, wird die Gegenfahrbahn eifrig verbreitert und asphaltiert. An den Haltestellen steigen Fahrgäste zu: Arbeiter, Schüler mit Ranzen und Mütterchen mit vielen Beuteln.

Langsam bewegen wir uns vom Fleck, gemütlich passieren wir die Brücke über die Eisenbahngleise. Um das Bahnhofsgebäude herum ist keine Menschenseele zu sehen, die Bahnsteige wie leergefegt. „Bei uns hier fährt nichts mehr", erklärt mir ein Fahrgast vom Vierersitz nebenan. „Morgens fahren zwei, drei S-Bahnen in die Vororte, das war's." Sämtliche Fernzüge waren nach dem Referendum 2014 eingestellt worden.

Dann erreichen wir den Busbahnhof direkt nebenan, und hier ist was los: Menschen laufen, essen, rufen und kaufen Fahrkarten, springen noch in der letzten Sekunde auf abfahrende Busse auf. Auch unser Trolleybus füllt sich. Uns gegenüber setzen sich zwei Schüler, daneben, über den Gang, zwei ältere Damen. Die Jüngeren bieten den Betagteren Plätze an, die bedanken sich höflich. Darauf folgt Smalltalk übers Wetter, die Straßen und das bevorstehende Wochenende.
Wir fahren auf der längsten Straße der Stadt, der Kiewer Straße, von Nord nach Süd. Simferopol ist eine unerwartet graue Stadt: bunte Werbung und Plakate überall, viele Menschen und Baustellen, aber vor allem graue Häuser. Durch die Luft fliegt sandiger Staub, verweht vom Wind des beginnenden Herbstes. Die Schüler gegenüber teilen sich eine Tafel weißer Schokolade. Unser Trolleybus verlässt langsam die Stadt und erreicht die ersten Dörfer.
Schon seit mehr als 50 Jahren fahren auf dieser Strecke O-Busse. Der erste Streckenabschnitt Simferopol-Aluschta wurde 1959 eröffnet, die Fortsetzung bis Jalta dann 1961. Die Fahrzeit hat sich seitdem kein bisschen verändert, allein die Busmodelle wechseln: Vor 40 Jahren verkehrten noch „Skoda"-Busse durch das Krim-Gebirge, heute sind es russische Fabrikate, beispielsweise der neue Niederflur-Bus „Avangard" aus den Werken in Wologda.

Ein Trolleybus-Denkmal in den Krim-Bergen.
Übern Berg
„Hier muss es so viele Pilze geben ... aber wie hoch muss man klettern, um die zu sammeln?", fragen wir uns.
Plötzlich wachsen die Berge vorm Fenster. Der Trolleybus schleicht gleichförmig die Serpentinenstraßen auf und ab. Links und rechts recken sich Gebirgsrücken und dunkler Wald gen Himmel.

Und da geht es plötzlich steil bergauf, der Bus beginnt zu schnaufen. Mitten im Krim-Gebirge taucht ein großes Kreuz auf. Wir haben den Kontrollpunkt und höchsten Punkt der Trasse Simferopol-Jalta erreicht: Perewalnoje, 752 Meter über dem Meeresspiegel. Hier steht auch ein Trolleybus-Denkmal, denn genau diesen Anstieg haben die ersten russischen Trolleybusse Ende der Fünfzigerjahre nicht geschafft.

In unserem Bus ist derweil selbst der letzte Stehplatz belegt. Und weiter rollen wir bergab in Richtung des Schwarzen Meeres.
Die Küsten-Achterbahn
Das Meer überrascht uns direkt hinter dem ersten Kurort auf der Strecke, Aluschta. Unsere Fahrerin wird von einer Kollegin abgelöst. Im Bus gibt es Gedränge: Unter die Einheimischen mischen sich immer mehr Touristen.

In Europa sind Menschenmassen wie in Russland im öffentlichen Nahverkehr eher selten. Darum sind Fahrten mit Mini-Bussen, Zügen oder eben O-Bussen, die den Russen selbst meist ordentlich nerven, für Europäer offenbar besonders interessant. So fahren jedes Jahr viele, auch deutsche Touristen im Platzkart-Abteil der Fernzüge, einem Großraum-Schlafwagen, von Moskau über eine Woche entlang der Transsibirischen Magistrale nach Wladiwostok. Sie treffen auf Menschen und können sich, je nach Russisch-Niveau, mit ihnen unterhalten. Einfach mit dem Taxi ins Hotel zu fahren, das reicht eben nicht, um das Land kennenzulernen.
„Wo muss ich denn zum Botanischen Garten aussteigen?", fragt eine etwas desorientierte Urlauberin ihre Nachbarn. „In Nikita, ich zeige Ihnen, wo", antwortet ihr ein Fahrgast. Und ein zweiter: „Ich steige da auch aus, ich gebe Ihnen Bescheid." Aber bis zum Botanischen Garten Nikita sind es noch einige Kilometer in Richtung Jalta, die aufgeregten Touristen fragen währenddessen noch ein paar Mal, ob es denn nun noch weit sei.
Von Aluschta bis Jalta sind es nun noch 33 Kilometer entlang der Schwarzmeerküste. An der Straße stehen immer wieder kleine Stände mit Souvenirs, Gemüse, Obst und Wein. In jedem Ort führt die Straße erst bergauf und fort von der Küste, dann wieder steil bergab ans Meer. Eine Reise mit dem Krim-Trolleybus ist wie eine Achterbahnfahrt, nur gemütlicher.

Während wir das Massandra-Schloss, das Jugendlager „Artek" und den Botanischen Garten passieren, steigen überall Touristen ein und aus, ausgestattet mit Kameras und Sonnenbrillen. Im linken Fenster sehen wir hübsche Urlaubsorte und weiter unten das weite, blinkende Meer. Rechts reiht sich Weinberg an Weinberg, jeweils mit einer hübschen Residenz der Besitzer.
An der berühmten Winzerei „Massandra" lassen wir den letzten Anstieg hinter uns und rollen hinunter zum Busbahnhof Jalta. Und als wären wir noch in Simferopol, stürmen auch hier die Taxifahrer gleich auf uns los.

Wir sind zwar noch Krim-Anfänger, aber eines haben wir auf der Trolleybus-Reise schon gelernt: Urlaub auf der Krim, das heißt nicht nur umwerfende Aussichten, sondern auch gutherzige und gemütliche Menschen.

Text von Peggy Lohse.
Lektorat von Carolin Sachse.
Design und Layout von Julia Schandurenko.
Bilder: Peggy Lohse, TASS/Alexander Ryumin, Lori/Legion-Media.

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