Dunkel, kalt, nass: Überlebenstipps für den Sankt Petersburger Winter

Irina Baranova
Der Winter in Sankt Petersburg kann aufs Gemüt gehen. Aber es ist nicht hoffnungslos. Wer will, meinen zumindest die Stadtbewohner, findet genug Zerstreuung, um die kalte Jahreszeit ohne Depression zu überstehen.

Wenn ich zum Sankt Petersburger Winter befragt werde, denke ich nicht an die Kälte (obwohl es kalt ist) oder an die Nässe (obwohl es auch nass ist). Nein, das erste Wort, das mir in den Sinn kommt ist „dunkel“. 

Ein Kurztrip im Winter ist ein magisches Erlebnis. Innerhalb nur weniger Stunden erleben Sie Sonnenauf- und Sonnenuntergang über dieser schönen Stadt. Nachts verwandelt sich Sankt Petersburg in ein Winterwunderland mit seinen schmalen Gassen und den zugefrorenen Kanälen. Wenn du dort ständig lebst, verliert das Ganze jedoch bald seinen Charme und fühlt sich mehr wie ein Überlebenskampf an. 

Ich besuche regelmäßig eine Bar in der Mochowaja Straße. Einmal, im Winter, war die Straße gesperrt. Wir beobachteten, wie Männer Eiszapfen von den Regenrinnen schlugen. Ein parkendes Auto war durch eine Matratze auf dem Dach geschützt. 

Die Menschen bewegten sich sehr vorsichtig, immer mit einem wachsamen Blick auf das Eis über ihren Köpfen und unter ihren Füßen. Sie hielten Ausschau nach einem Taxi. Die Sankt Petersburger Taxifahrer kümmert der Winter nämlich nicht, Sie fahren größtenteils so, als sei Frühling. 

Ein betrunkener Mann stand neben mir und sah sich um. „Diese Stadt versucht, uns alle umzubringen“, sagte er. „Wenn Ihnen nicht von oben ein Eiszapfen den Schädel spaltet, brechen Sie sich den Hals, wenn Sie auf dem glatten Bürgersteig ausrutschen. Oder Sie erfrieren bei dieser Eiseskälte.“ Er blickte in den dunklen Himmel und fügte hinzu: „Aber nur, wenn Sie sich nicht schon vorher selbst umgebracht haben.“ 

Mein Freund Iwan, der ebenfalls neben mir stand sagte: „Die Russen können so melodramatisch sein.“ Das ist wohl wahr. Nur wenige Menschen sterben durch herabfallende Eiszapfen, obwohl die Gefahr durchaus besteht. Eine Taxifahrt fühlt sich zwar an wie eine Verfolgungsjagd in einem Action-Film, aber die Sankt Petersburger Fahrer sind sehr erfahren und vertraut mit diesen Wetterbedingungen. 

Die Kälte ist nur draußen und die Dunkelheit wird nur ein wenig auf der Seele lasten.

Ich habe andere Sankt Petersburger gefragt, was ihre Überlebenstipps für einen Winter in dieser Stadt sind. 

Mein Freund Alexander arbeitet als Designer und reist oft umher. „Ich habe schon an einem dunkleren, schneereicheren und eisigeren Ort gelebt - in der Region Murmansk, in der ich geboren wurde. Und wir haben dort natürlich keine Bars. Die Einwohner von Sankt Petersburg können mit der Dunkelheit und allen anderen Unannehmlichkeiten so umgehen, wie sie immer mit Unannehmlichkeiten umgehen: Sie können darauf trinken.” 

Ich habe ihn gefragt, was die Einwohner von Murmansk tun würden. „Sie sind dort entspannter und weniger traurig. Wahrscheinlich, weil der Himmel sich dort nicht immer grau zeigt. Zudem liegt immer viel Schnee und die Nordlichter entschädigen mit ihrem magischen Anblick. Daher ist es in Murmansk im Winter wohl weniger deprimierend als in St. Pete.” 

Der graue Himmel von Sank Petersburg beschäftigt die Menschen. Slawa aus Moskau sagte einmal zu mir, nachdem ich ihm erzählt hatte, wie gerne ich hier lebe: „Wie kannst Du diese Stadt lieben? Schau Dir doch bloß den Himmel an! Das ist pure Verzweiflung. Komm nach Moskau, dort ist es besser!“ Mein Freund Iwan stand auch damals neben mir und sagte: „Die Russen können so melodramatisch sein.“ Mit gesenkter Stimme fügte er hinzu: „Besonders die Moskowiter.“  

Alexander gab mir folgende Überlebenstipps für einen Winter in Sankt Petersburg: „Verlasse das Haus nicht vor März oder April.“

Meine Freundin hält das alles für übertrieben. Sie sagt: „Ich habe schon mein ganzes Leben hier verbracht und lebe immer noch, obwohl ich nicht weiß, wie ich das geschafft habe. Auf jeden Fall kann man das Haus auch problemlos im Winter verlassen, aber man sollte hüpfen.“ Ich verstand sie nicht. 

„Von einem Ort zum anderen gehen, immer mal wieder einen Stopp einlegen. Halt machen in einem Geschäft oder einem Café, was auch immer. Vieles hat auch im Winter geöffnet. Dann erscheint es gar nicht so schlimm“, erklärte sie. 

Mein Freund Pascha hatte leider keine Zeit, mir seine Meinung mitzuteilen. Pascha scheint, soweit ich das beurteilen kann, der geschäftigste Mann der Welt zu sein. Er fährt Ski, Snowboard, wandert, besucht Festivals, Museen und alle möglichen anderen Events. Er findet, so viel weiß ich, dass man den Petersburger Winter am besten überstehen kann, wenn man das kulturelle Angebot der Stadt voll ausnutzt. 

Es ist immer etwas los und für jeden Geschmack eine Veranstaltung dabei. Also: besuchen Sie eine Bar oder ein Restaurant im Golizyn Loft, im Berthold Center und im Sewkabel Port. Finden Sie heraus, was Neu Holland ist. Oder besuchen Sie eine der unzähligen Shows in einem der unglaublichen Theater dieser Stadt. 

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