Sadon: Wie eine bedrohliche Geisterstadt in den Bergen des Nordkaukasus aussieht (FOTO)

Reise
ANNA SOROKINA
Die einst blühende Bergbaustadt, die von europäischen Architekten erbaut wurde, gleicht heute der Kulisse eines postapokalyptischen Films. Und warum?

Die europäische Architektur mit ihren kleinen, eleganten Gebäuden und gepflegten Straßen ist völlig untypisch für eine überwucherte Bergschlucht mitten im Kaukasusgebirge, in der eher einfache, robuste Bauernhäuser üblich sind. Das Dorf Sadon in Nordossetien wurde im 19. Jahrhundert von Belgiern erbaut, ist aber heute völlig verlassen.  

Das Hauptvorkommen von Blei

Bereits in den 1760er Jahren wurden in der Alagir-Schlucht große Vorkommen an Blei, Zink und Silber gefunden. Unedle Metalle wurden sowohl für die Entwicklung der Militärindustrie als auch für die Medizin benötigt. Die Lagerstätte Sadonskoje war die erste im Russischen Reich und blieb bis in die 1980er Jahre die größte.

Die globale Erschließung des Bergwerks begann erst Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Militärstraße nach Ossetien und Zufahrtsstraßen zum Bergwerksgelände gebaut wurden. Die Mine Sadonskoje befand sich in den Bergen, und das Russische Reich lud die besten Spezialisten aus dem Ausland ein, um sie unter schwierigen Bedingungen zu bauen.

„Viele Minen wurden ursprünglich von Griechen gebaut, da sie gute Baumeister waren“, sagt der örtliche Reiseführer Ruslan Bimbassow. „Später pachtete die Belgische Gesellschaft für Bergbau und Chemie diese Grundstücke für 60 Jahre.“

Im Jahr 1886 begannen die Belgier mit der Errichtung der Infrastruktur und von Häusern für die Familien der Bergleute. Es entstanden unter anderem auch eine Schule, ein Krankenhaus und Straßen. Das belgische Unternehmen Alagir entwickelte neben dem Bergwerk Sadonskoje auch eine Anreicherungsanlage in der benachbarten Siedlung Misur, in der Bleischlacke verarbeitet wurde.  

Blei für die Front

Nach der Oktober-Revolution von 1917 wurde das Unternehmen verstaatlicht. Die Belgier zogen ab und die Blei- und Zinkhütte in Sadon begann sich in einem atemberaubenden Tempo zu entwickeln. Eine Arbeitsstelle hier zu bekommen, galt als sehr prestigeträchtig. Lebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur 300 Menschen in Sadon, so waren es 1939 bereits mehr als 4000.

Verschiedenen Quellen zufolge wurde während des Zweiten Weltkriegs jede dritte oder sogar jede zweite Kugel aus dem in Sadon abgebauten Blei gegossen, sagt Ruslan. Es ist natürlich schwierig, dies heute zu überprüfen, aber die Verarbeitung  von Erzen hatte ein enormes Ausmaß. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Produktion bei 25.000 Tonnen pro Jahr lag, wurden 1970, als das Werk seine höchste Produktionskapazität erreichte, 745.000 Tonnen pro Jahr gefördert.

Nach dem Krieg begannen die sowjetischen Geologen mit der Ausbeutung neuer Blei- und Zinklagerstätten des Landes. In der Mine Sadonskoje wurde veraltete Technik eingesetzt, was zu hohen Produktionsverlusten führte. Und die Mineralreserven waren hier sehr schnell erschöpft. Mitte der 1980er Jahre wurde der Bergbau praktisch eingestellt, und nach dem Zusammenbruch der UdSSR konnte sich das Werk kaum noch über Wasser halten. Schließlich kam es zu einer euen Katastrophe.

Das Geisterdorf

Im Jahr 2002 wurden die Blei-Zink-Hütte Sadonskoje und das Dorf selbst durch eine Schlammlawine zerstört, die durch ein Hochwasser des Bergflusses Sadonka ausgelöst wurde. Er sieht vielleicht unscheinbar aus, aber bei Hochwasser steigt der Pegel des Flusses bis zu sieben Meter. Nach der Flut waren die Erdgeschosse vieler Häuser mit Schlamm überzogen und unbewohnbar. Das Dorf konnte nicht wiederaufgebaut werden. Die 500 Menschen, die dort lebten, wurden in die Dörfer Alagir und Misur umgesiedelt, die einige Kilometer von Sadon entfernt liegen.

„Obwohl 87 Personen in Sadon registriert sind, lebt dort in Wirklichkeit niemand mehr“, sagt Ruslan. Ehemalige Einheimische kommen hierher, um nach den alten Häusern zu sehen. Das Werk Sadonskoje wurde 2009 wegen Erschöpfung offiziell stillgelegt. Das Dorf Sadon gibt es seit 2013 nicht mehr, da die Verwaltung nach Misur verlegt wurde.

Von der einstigen prächtigen Architektur ist keine Spur mehr übrig. Alles bröckelt und verrottet. In den Überresten des Dorfes streifen hungrige Katzen umher, die aus den Nachbardörfern kommen, um gefüttert zu werden, aber auch Touristen – Liebhaber von aufgegebenen Gebäuden.