Der See mit dem fast unaussprechlichen Namen Elgygytgyn liegt jenseits des Polarkreises, im Herzen von Tschukotka und ist einer der unzugänglichsten Orte der Region. Die nächstgelegene Stadt, Pewek, ist 200 km entfernt.
Die bequemste Art, nach Elgygytgyn zu gelangen, ist, eine Tour zu buchen und mit dem Hubschrauber von Anadyr aus dorthin zu fliegen, da es nicht einmal eine Straße zum See gibt. Andere Möglichkeiten sind die Fahrt mit dem Geländewagen von Pewek aus oder eine Rafting-Tour auf dem Fluss Enmyvaamu-Anadyr.
Dies ist der tiefste See Tschukotkas, mit einem Durchmesser von 12 km und einer Tiefe von 175 Metern. Vom Hubschrauber aus betrachtet, ist der See fast perfekt rund und sieht aus wie ein blauschwarzes Auge. Aber er sieht nicht immer so aus.
Elgygytgyn bedeutet auf Tschuktschisch weißer See oder See des geschmolzenen Eises. Die meiste Zeit des Jahres ist seine Oberfläche mit Eis bedeckt, und in manchen Jahren hat das Eis nicht einmal im Sommer genug Zeit zu schmelzen.
Die Ufer des Sees bestehen aus Permafrost und niedrigen Bergen. Der Winter in Tschukotka dauert 10 Monate im Jahr, in denen die Temperatur auf -15...-39 °C fällt. Im Sommer kann die Luft bis zu +34°C warm werden, aber auch dann kann sich ein Eisfilm auf der Oberfläche bilden. Die Wassertemperatur in Elgygytgyn liegt niemals über +3°C.
Der Geologe Oleg Kujajew bewundert diesen See inmitten der Wüstentundra: „Ich weiß nicht, womit ich ihn vergleichen soll. Vielleicht wäre es genau richtig, wenn man eine Flasche mit sehr dicker Tinte auf ein schillerndes Blatt Papier gießt“, schrieb er.
Aber er macht auch vielen Menschen Angst, die Einheimischen nennen ihn „einen seltsamen, gespenstischen Ort“, um den sich Legenden ranken. Einem von ihnen zufolge lebt in der Tiefe des Sees ein uraltes Ungeheuer, Kalilgu, das einem riesigen Reptil mit einem großen Maul ähnelt. So etwas wie die schottische Nessie vom See Loch Ness. Manchmal schwebt Kalilgu mit großem Getöse und Geplätscher aus der Tiefe an die Oberfläche, um dann sofort wieder abzutauchen.
Starke Wasserbewegungen kommen im Elgygytgyn vor. Wahrscheinlich werden sie von den Einheimischen mit Kalilgu verwechselt. Nach einer anderen Version ist dies ein möglicher Austritt von Methan aus der Erdkruste.
Auf jeden Fall hat dieser tiefe See allen Grund, ein Objekt der Mythenbildung zu sein: Er ist mehr als 3,5 Millionen Jahre alt. Was ihn einzigartig macht, ist zum Einen sein Ursprung.
Lange Zeit ging man davon aus, dass er höchstwahrscheinlich in einem Vulkankrater entstanden ist. Dies wurde durch Analysen des Gesteins bestätigt, die auf einen vulkanischen Ursprung schließen ließen. Doch 2009 bohrte ein internationales Team von Wissenschaftlern ein 225 Meter tiefes Loch in das Sediment von Elgygytgyn. Dort fanden sie Gestein, das nur in Kratern entsteht, die durch den Einschlag eines meteoritenähnlichen Objekts auf der Erde gebildet wurden. Dies beendete die Kontroverse über seinen Ursprung – der See entstand durch einen Meteoriteneinschlag.
Zum Anderen wird angenommen, dass der Elgygytgyn nie vollständig gefroren ist. Während Europa und Amerika vor Millionen von Jahren mit Eis bedeckt waren, gab es auf dem Gebiet der heutigen Tschukotka keine Gletscher. Daher hat der See ein einzigartiges Ökosystem bewahrt, und sein Grund ist eine Quelle von Daten über das Leben in Tschukotka während der letzten 3,5 Millionen Jahre. Der Elgygytgyn wurde in seiner Bedeutung für die Forschung mit dem Baikalsee und den Grönlandgletschern verglichen.
In den Gewässern des Sees wimmelt es buchstäblich von Fischen, so dass er Fans von anspruchsvollen Wanderrouten und einzigartigen Angelmöglichkeiten anzieht. Der See beherbergt auch Endemiten – Vertreter von Flora und Fauna, die nur hier und nirgendwo sonst zu finden sind.
Vor allem die erstaunlichen Fische, die sogenannten langflossigen Saiblinge (Salvethymus svetovidovi): Diese Fische haben sich an das Leben in sehr kaltem, dunklem Wasser angepasst und bewohnen den See seit der Zeit der Mammuts. Der Relikt-Seefisch lebt in Bodennähe, hat Spuren sehr alter physiologischer Anpassungen in seinem Blut und ist in der Lage, sehr lange Zeiten des Sauerstoffmangels zu überstehen. Wissenschaftler glauben, dass der Fisch diese Fähigkeit seit der Eiszeit besitzt: Die Art hat unter dem Eis zehntausende von Jahren praktisch ohne Sauerstoff überlebt.
Die Umgebung des Sees beherbergt Füchse, Wölfe und Bären. Reisende führen daher in der Regel Schusswaffen mit sich, für den Fall, dass sie plötzlich auf ein Raubtier treffen.
Man sagt, dass eine Reise zum Elgygytgyn nicht nur eine starken Geist voraussetzt (es wird nicht umsonst Ort der Stärke und das Auge der Erde genannt), sondern auch eine gute Gesundheit. Das Wetter in diesem Gebiet ist unbeständig: Im Sommer können sich die Temperatur und der Luftdruck im Laufe eines einzigen Tages mehrmals ändern.
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