Die Kola-Halbinsel: kalte, menschenleere Tundra. Mit einem Wort – der Rand der Welt. Nur der Arktische Ozean ist noch weiter entfernt. Hier liegt das Dorf Teriberka, heute einer der beliebtesten Touristenorte in Russland. Jeden Tag kommen Scharen von Touristen hierher: Die einen wollen verlassene Häuser sehen, in denen vor nicht allzu langer Zeit Menschen lebten, die anderen das Nordlicht, wieder andere den Triumph der wilden Natur.
Die meisten Menschen kommen im Sommer zum wichtigsten Ereignis des Jahres – dem Arktis-Festival Teriberka. Sie reisen Hunderte (und manche sogar Tausende) von Kilometern, um ein Wochenende an der Küste der Barentssee zu verbringen, ihren Lieblingsmusikern zuzuhören und die seltsamen Speisen der Polarregion zu kosten.
Teriberka ist der einzige Ort am Ufer der Barentssee in Russland, der mit dem Auto erreichbar ist. Von hier bis nach Murmansk sind es etwa 120 Kilometer. Die Straße wurde erst 1984 gebaut, und davor konnte man nur auf dem Wasserweg hierher gelangen.
Ende des 16. Jahrhunderts begannen die Pomoren, traditionelle Fischer, die die Zivilisation des russischen Nordens begründeten, sich hier anzusiedeln (mehr dazu hier). Im 19. Jahrhundert galt die Siedlung als die größte in der Region.
Zu Sowjetzeiten gab es hier zwei Fischereikolchosen und Fischfabriken, eine Geflügelfarm, einen Bauernhof, Schiffsbauwerkstätten, Häuser wurden aktiv gebaut. Teriberka war ein geschlossenes Dorf, für das man einen speziellen Passierschein benötigte.
In den 1960er Jahren tauchten hier Großraumschiffe auf, die die Fischverarbeitung auf den Ozean verlagerten, weg von den Ufern von Teriberka. Das Dorf begann zu verfallen. Die Einwohner verließen massenweise den Ort auf der Suche nach Arbeit. Lebten in den besten Jahren etwa 5.000 Menschen hier, so sind es heute weniger als 900 (und nach anderen Angaben nur etwa 500).
Es gab niemanden, der die Häuser instand hielt. Typische Landschaftsbilder des Dorfes sind halbzerstörte, vom Zahn der Zeit zerfressene Holzhäuser und eine einsame Schule am Fuße des Hügels mit Fenstern ohne Glas.
Als das Dorf 2009 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, begannen Liebhaber der Verwahrlosung hierher zu kommen, um die Häuser zu fotografieren, in denen das Leben noch pulsierte. Und im Winter haben die Jäger des Nordlichts Gefallen an diesen Orten gefunden. Der dramatische Film Leviathan (2014) von Andrej Swjaginzew, der an diesen Orten gedreht wurde, trug ebenfalls zur Popularität bei.
Jedes Jahr gibt es mehr und mehr Touristen. Ein Restaurant, Unterkünfte und Schaukeln mit Blick auf das Meer sind am Ufer entstanden.
Das Hauptereignis des Jahres ist jedoch das Arktis-Festival Teriberka, das seit 2014 stattfindet. Im Jahr 2023 erreichte es die Rekordzahl von 15.000 Gästen, was für das kleine Dorf eine enorme Zahl ist.
Mobile Stände mit arktischen Speisen und Getränken sind das Herzstück des Festes. Es gibt mehr als 30 Restaurants aus der Region Murmansk und sogar aus dem Fernen Osten, die sich auf den Geschmack des Nordens spezialisiert haben. Bei allen Gerichten werden ausschließlich lokale Produkte verwendet: Wildbret, wilde Beeren und Kräuter, Fisch und Kaviar. „Die Restaurants gehen auf die Straße – das ist unsere Idee“, sagt Jekaterina Schapowalowa von Gastronomitscheskaja karta Rossii (dt.: Gastronomische Landkarte Russlands), die alle Köche in Teriberka zusammengebracht hat. „An jedem Stand kann man die Gerichte probieren, die auf der Speisekarte stehen, nur eben im Streetfood-Format.“
Die Jagel-Chips sind zu einem Markenzeichen der arktischen Küche geworden. Sie werden aus Jagel hergestellt und in Beerensirup gekocht. Es gibt auch solche Gerichte wie Kalitki, Rybniki, Kulebjaka, Rasstegai....
Für die größte Begeisterung unter den Gästen sorgte jedoch das traditionelle Pomor-Gericht Sajeburicha – ein Eintopf aus frischem Fisch mit dicker Brühe.
Das Arktis-Festival Teriberka 2023 begann mit einem Massenlauf um den Windpark Kola, den größten Windpark am Polarkreis. Er befindet sich auf dem Weg zum Dorf. Die Teilnehmer konnten eine Strecke zwischen 3 und 50 Kilometern wählen. 500 Läuferinnen und Läufer aus 25 Regionen Russlands kamen zusammen, um an dem Polarlauf teilzunehmen.
Nikolai Sugroboj flog zusammen mit seinen Kollegen eigens aus Moskau zum Rennen. „Ich habe mich für 20 Kilometer entschieden, um noch Zeit zu haben, nach Teriberka zu kommen, Musik zu hören und einen Snack zu essen.“
Obwohl er bereits über viel Marathonerfahrung verfügt, ist es das erste Mal, dass er über dem Polarkreis läuft. „Das Wichtigste ist, dass ich zwei Arten von Mückenschutzmitteln mitgenommen habe, eines für meine Kleidung und eines für meine ungeschützte Haut.“
Am Abend sahen wir Nikolai am Ufer der Barentssee. Er hat das Ziel in etwas mehr als zwei Stunden erreicht und hatte noch Zeit für das Konzert!
Auf dem Festival können die Gäste nicht nur essen und ihren Lieblingskünstlern zuhören. Sie können ein Kajak oder ein SUP-Board mieten, im Kulturhaus das Brettspiel Fange das Nordlicht spielen und einen Polarforscherpass mit Stempeln für die Überquerung des Polarkreises erwerben. Viele übernachten in Zelten am Ufer, um Zeit für einen Spaziergang zum Steinstrand Jajza drakona (dt.: Dracheneier) und zum Wasserfall in der Schlucht zwischen den roten Bergen zu haben.
Menschen, die sich an Teriberka im Jahr 2014 erinnern, sagen, dass es nicht wiederzuerkennen ist. Es war ein zurückgezogener Ort für die einheimische Bevölkerung – nur wenige Menschen wussten davon. Und jetzt sind mehr Menschen in der verlassenen Schule als in der Tretjakow-Galerie, und um ein Foto auf der Schaukel oder am alten Schiff am Strand zu machen, muss man sich in eine Schlange anstellen. Teriberka selbst wird Jahr für Jahr in die Listen der besten Reiseziele aufgenommen.
Das Arktis-Festival Teriberka fand am 15. und 16. Juli im Rahmen des Plans des russischen Vorsitzes im Arktischen Rat für die Jahre 2021-2023 statt. Die Stiftung „Roskongress“ war der Veranstalter des Festivals.
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