Gesichter der Revolution: Wassili Schulgin, der enttäuschte Monarchist

Der Dumaabgeordnete bewegte den Zaren zur Abdankung.

Der Dumaabgeordnete bewegte den Zaren zur Abdankung.

RIA Novosti
Wassili Schulgin war ein langes Leben beschert. Noch unter Alexander II. geboren, starb er im Alter von fast 100 Jahren, als sich die Breschnew-Ära ihrem Ende zuneigte. Schulgins facettenreiches Leben gleicht einem Abenteuerroman. Zu den markantesten Ereignissen aber zählt seine Mitwirkung an der Abdankung von Nikolaus II.

Wassili Schulgin gehörte zu den bekanntesten Politikern der konservativ-nationalistischen Strömung. Er war zehn Jahre lang, von 1907 bis zur Februarrevolution, Abgeordneter der Duma. Sein politisches Leben hatte in der Zeit der ersten russischen Revolution in den Jahren 1905 bis 1907 begonnen. Damals unterstützte er die Initiativen des Premierministers Pjotr Stolypin, der zwar kompromisslos gegen die revolutionäre Bewegung vorging, zugleich aber die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der russischen Bauern verändern wollte.

„Brodelnde Unzufriedenheit“

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete Wassili Schulgin sich als Freiwilliger für die Front. Er kehrte verletzt zurück und widmete sich mit großem Einsatz seiner Arbeit als Parlamentsabgeordneter. „Ich brachte wie viele andere die Bitterkeit der nicht enden wollenden Rückzugswege und die brodelnde Unzufriedenheit der Armee mit dem Hinterland mit (in die Duma)“, schrieb Schulgin später.

Zunehmend kritischer eingestellt gegenüber der Regierungspolitik von Nikolaus II. machte er sich in der Duma für einen Zusammenschluss der „konservativen und liberalen Kräfte der Gesellschaft“ stark. In seiner Rede auf der letzten Dumasitzung vor der Revolution am 28. (15.) Februar bezeichnete er den Zaren als „Gegner von allem, was das Land braucht wie die Luft zum Atmen“.

Bei aller Kritik an der Regierung, die er als Abgeordneter nachdrücklich vorbrachte, war Schulgin davon überzeugt, dass es besser sei, die Unzufriedenheit mit den Schwächen des letzten Zaren im Parlament zu diskutieren, als sie auf die Straßen zu verlagern und in eine weitere Revolution münden zu lassen. Im Verlauf des weiteren Geschehens aber musste sich der Abgeordnete immer wieder die Frage stellen, ob die Duma ihrer Aufgabe gerecht wurde oder im Gegenteil den Unmut des Volkes befeuerte.

Wie ist die Monarchie zu retten?

Am 13. März (28. Februar) wurde Wassili Schulgin in das provisorische Dumakomitee gewählt, das angesichts des Zusammenbruchs des Zarenregimes für zwei Tage die Regierungsgeschäfte übernahm. Die Abgeordneten mussten handeln, denn der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten drohte als mächtiger Konkurrent den Aufständischen zum Sieg zu verhelfen. Die Mitglieder des Dumakomitees kamen zu dem Schluss, dass der Zar dem Thron zugunsten seines minderjährigen Sohnes Alexei entsagen und seinem Bruder Michail die Regierungsbefugnisse übertragen müsse.

Nach den Erinnerungen Schulgins fiel die Entscheidung über die Abdankung des Zaren in der Nacht zum 2. März. Überzeugt von der Notwendigkeit des Thronverzichts erklärte der Dumaabgeordnete Alexander Gutschkow: „In diesem Chaos muss man bei allem, was getan wird, vor allem daran denken, die Monarchie zu retten … Ohne Monarchie kann Russland nicht leben … Aber es ist augenfällig, dass unser derzeitiger Herrscher nicht weiter regieren kann …“. Er schlug vor, beim Zaren vorzusprechen und ihn zur Abdankung zu bewegen. Auf seine Frage, wer ihn zu diesem Termin begleiten wolle, meldete sich Schulgin. „Die Abdankung gehört in die Hände von Monarchisten, nicht zuletzt, um die Monarchie zu retten“, so kommentierte er seine Bereitschaft, in dieser heiklen Mission zum Zaren zu fahren.

„Der Zar sprach ruhig und gerade heraus“

Am Abend des folgenden Tages erreichten die Parlamentarier Pskow und trafen Nikolaus II. in einem Wagen seines Zugs. Der Zar folgte den langen Ausführungen Gutschkows, in denen dieser die Situation in der Hauptstadt schilderte und seinem Zuhörer die Notwendigkeit der Abdankung nahebrachte, geduldig. Der Zar antwortete Gutschkow, seine Stimme klang dabei in den Erinnerungen Schulgins „ruhig, gerade heraus und klar“. „Ich habe beschlossen, dem Thron zu entsagen … Bis um drei Uhr des heutigen Tages dachte ich, ich könne zugunsten meines Sohnes Alexei abdanken … Jetzt habe ich anders entschieden und verzichte auf meine Ansprüche zugunsten meines Bruders Michail … Ich hoffe, Sie begreifen die Gefühle eines Vaters …“, soll der Herrscher gesagt haben. Sein Erbfolger litt an der Bluterkrankheit, und Nikolaus II. wollte sich von seinem Sohn nicht trennen.

Damit endete aber die Verflechtung der Schicksale der russischen Monarchie und des Monarchisten Schulgin nicht. Am nächsten Tag überredete Schulgin gemeinsam mit anderen Dumaabgeordneten den Großfürsten Michail Alexandrowitsch, auf die ihm von Nikolaus II. übertragene Regierungsverantwortung zu verzichten. Im provisorischen Ausschuss erkannte man, dass Michail nicht der Mann war, um Ordnung in das von Aufständen erschütterte Petrograd zu bringen. Der Großfürst willigte ein, seine Befugnisse nur auf Beschluss der Konstituierenden Versammlung wahrzunehmen. Dazu aber sollte es nicht mehr kommen.

Nach der Machtübernahme durch die Bolschewiki wechselte Wassili Schulgin in das Lager ihrer Gegner, zur Weißen Armee. Später emigrierte er nach Jugoslawien, wo er am Ende des Zweiten Weltkriegs vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und in die UdSSR überführt wurde. Dort verurteilte man ihn zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren. Doch schon 1956 wurde er entlassen.

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