In der Sowjetzeit waren solche Trinkgläser allgegenwärtig: in Kantinen, Restaurants, Cafés, Krankenhäusern, Schulen und sogar in sowjetischen Getränkeautomaten.
Die Erfindung des Glases wird der sowjetischen Bildhauerin Wera Muchina zugeschrieben. Als Leiterin der „Leningrader Künstlerischen Glaswerkstatt“ entwarf sie im September 1943 diesen Glasbecher.
Das Trinken aus einem Glasbecher hat in Russland jedoch eine viel ältere Tradition. Trotz einiger auffälligen Ähnlichkeiten unterschieden sich die vor 1943 hergestellten Becher von der sowjetischen Version.
Ein solches Glas ist auf dem Gemälde „Morgenstilleben“ des Künstlers Kusma Petrow-Wodkin aus dem Jahr 1918 abgebildet. Das Glas auf der Leinwand verengt sich nicht nach unten, hat etwas breitere Facetten und keinen abgerundeten Rand. Ähnliche Gläser waren in Russland noch vor der Oktoberrevolution weit verbreitet.
„Morgenstilleben“ des Künstlers Kusma Petrow-Wodkin
Russian MuseumDem russischen Glasmacher Jefim Smolin, der im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert lebte, wird die Erfindung der vorrevolutionären Version des facettierten Glases zugeschrieben.
Eine Legende besagt, dass der Erfinder des ersten facettierten Glases es dem Zaren Peter dem Großen mit den Worten präsentierte, es könne nicht zerbrochen werden. Dem Zaren gefiel das Glas und er wollte es ausprobieren. Er soll Folgendes ausgerufen haben: „Lass das Glas sein!“ (zu Russisch: Stakanu bytj!). Mit diesen Worten warf er das Glas auf den Boden, um dessen Festigkeit zu testen. Das Glas zerbrach. Der Zar bestrafte den Glasmacher jedoch nicht, sondern ermöglichte stattdessen die Massenproduktion von facettierten Gläsern.
Laut der Legende haben die Anwesenden die Worte des Zaren falsch interpretiert. Sie glaubten, dass der Zar ausgerufen habe: „Zerbrecht die Gläser!“ (Russisch: Stakany bitj!). Durch diese Fehlinterpretation erschien angeblich die Tradition, nach besonders wichtigen Trinksprüchen die Gläser auf den Boden zu werfen.
Die Sowjetunion brachte die Popularität des facettierten Glases auf ein ganz neues Niveau. Eine Gruppe Glasmacher, Designer und Bildhauer bekamen von der sowjetischen Regierung einen ungewöhnlichen Auftrag: „Sie sollten Entwürfe für sowjetisches Geschirr entwickeln, das in Gastronomiebetrieben verwendet werden könnte. Damals gab es bereits Geschirrspüler und da Gläser zerbrechlich sind, brauchte man eine Menge davon. Fachleute erhielten die Aufgabe, ein Glas zu entwerfen, das haltbar, schön, einfach zu verwenden und leicht zu reinigen ist. In seinen Memoiren schreibt Uspenskij (ein Künstler und Mitglied der Arbeitsgruppe – Anm. d. Red.), dass viele Muster verschiedener Geschirre entwickelt wurden, darunter auch facettierte Gläser, die später in der Glasfabrik der Stadt Gus-Chrustalny hergestellt wurden“, sagte Alla Tschukunowa, Kuratorin der Glassammlung des Malzow-Museums.
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe übertrafen die Erwartungen der sowjetischen Regierung. Die facettierten Gläser erwiesen sich als sehr haltbar und ließen sich dank ihrer besonderen Form leicht in der Waschmaschine oder von Hand waschen.
Mit der Zeit verbreiteten sich solche Gläser in der gesamten Sowjetunion: von Kantinen bis zu Krankenhäusern, von Kurorten bis zu Getränkeautomaten.
Für die Verwendung während der Zugfahrt wurden die facettierten Gläser durch eine weitere besondere Erfindung ergänzt – Metall-Glashalter, die zu einem unverzichtbaren Merkmal russischer Bahnreisen wurden.
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