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Charterflüge in die Türkei, ein gemeinsamer Investmentfonds, Sonderstatus für russische Investitionsprojekte in der Türkei: Noch vor wenigen Wochen schienen solche Meldungen kaum denkbar, schließlich hatten sich beide Länder nach dem Abschuss einer russischen Maschine über Syrien im vergangenen Herbst tief zerstritten. Heute wollen Moskau und Ankara die Monate der Konfrontation offenbar vergessen und zum Business as usual übergehen. Doch Russlands Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei und deren Folgen für Unternehmen in beiden Ländern lassen sich durch eine Entschuldigung Erdogans nicht so einfach beseitigen wie das diplomatische Zerwürfnis. Wie sieht die wirtschaftliche Bilanz der Streitmonate für die Länder aus?
Bevor Moskau das Lebensmittelembargo gegen Ankara verhängte, war die Türkei Russlands größter Lieferant von Zitrusfrüchten und Tomaten: 14,5 Prozent der gesamten Obstimporte und 19 Prozent der Gemüseeinfuhren stammten aus türkischem Anbau. Nach der Verhängung der Sanktionen fiel der Handelsumsatz dramatisch: Der Import aus der Türkei sackte auf 2,14Milliarden Euro ab – ein Minus von 37 Prozent. Russlands Export ging um 55 Prozent auf 10,6 Milliarden Euro zurück.
Der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew hat angekündigt, den Einfuhrstopp auf türkische Agrarprodukte bis Ende des Jahres aufzuheben. Bis das Handelsvolumen das alte Niveau erreiche, würden jedoch ein bis zwei Jahre vergehen: Die Qualität türkischer Waren und das Einhalten russischer Vorschriften müsse erst geprüft werden.
Für Sergej Koroljow, Vorsitzenden des Nationalen Verbands der Gemüseproduzenten, ist die Aufhebung des Lebensmittelembargos ein Grund zur Sorge: „Russische Landwirte investieren weiterhin in den Gemüseanbau, auch in neue Gewächshäuser. Diese Investitionen rentieren sich erst langfristig“, sagt der Verbandspräsident.
Jewgenij Ljulin, Vize-Gouverneur der Oblast Nischnij Nowgorod, einer der landwirtschaftlich stärksten Regionen Russlands, ist aber überzeugt, dass türkische
Exporte die Lebensmittel aus heimischer Produktion nicht verdrängen werden. Russische Agrarproduzenten könnten mit der Türkei ohnehin nur saisonal, etwa bei Zwiebeln und Tomaten, konkurrieren. Außerdem übersteige die Nachfrage das Angebot: Bei Gewächshauskulturen herrsche ein Defizit von 60 Prozent und Zitrusfrüchte würden in Russland gar nicht angebaut.
Die türkische Regierung versprach im Gegenzug, den eigenen Markt für russische Milch- und Geflügelfleischproduzenten zu öffnen.
Foto: Gaia Russo
Auch das Pauschalreise-Verbot sollte die türkische Wirtschaft hart treffen. Nach einem Treffen von Putin und Erdogan startete der erste russische Urlaubsflieger am 2. September in Richtung Türkei – voll ausgelastet. Dennoch ist die diesjährige Hochsaison für beide Seiten verloren: 184 000 Russen haben die Türkei im ersten Halbjahr besucht – 87 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Verluste der türkischen Reisebranche: 750 Millionen Euro.
Maja Lomidse, Präsidentin des Verbands russischer Reiseveranstalter, sagt, die Russen hätten infolge der Reisesanktionen ihre Heimat für sich entdeckt: Sotschi und die Schwarzmeer-Region Krasnodar seien in diesem Jahr ausgebucht gewesen. Lediglich die Krim habe noch ein wenig Spielraum gehabt. Doch im September und Oktober könne die Türkei die Touristen wieder anlocken, ist die Branchenexpertin sicher.
Die Wiederaufnahme von Charterflügen macht Türkei-Reisen um 15 bis 20 Prozent günstiger, rechnet der Reiseveranstalter Tez Tour vor: Im Schnitt sind 35 000 Rubel (465 Euro) pro Person fällig. „Wir haben gute Chancen, die Spätsommersaison noch bis Ende Oktober mitzunehmen. Die Reisen in die Türkei bleiben attraktiv, vorausgesetzt der Rubel ist stabil“, sagt ein Unternehmenssprecher.
Zudem will die Türkei den Bau des Atomkraftwerks Akkuyu durch den russischen Konzern Rosatom als strategische Investition einstufen. Damit erhält der Konzern für einen Zeitraum von 20 Jahren Gewinnsteuererleichterungen. Für die Dauer der Bauarbeiten wird dem Unternehmen die Mehrwertsteuer erstattet.
Auch türkische Unternehmer können nach dem Treffen der beiden Präsidenten in Sankt Petersburg wieder uneingeschränkt in Russland aktiv werden.
Unter den Leidtragenden waren vor allem Baufirmen: Sie konnten keine türkischen Bürger für russische Projekte anheuern, Kunden zogen Aufträge zurück. Zwar konnten einzelne Unternehmer bestimmte Quoten für die Einstellung türkischer Bürger nutzen, diese reichten für Subunternehmer jedoch nicht aus. Und der Mangel an zuverlässigen Subunternehmern „verlangsamt den Bau und senkt die Qualität“, bemängelt ein türkischer Geschäftsmann. Türkische Firmen wurden zudem von Großprojekten ausgeschlossen – etwa dem Bau eines neuen Flughafenterminals in Scheremetjewo bei Moskau.
Andere Unternehmen versuchten sich anzupassen, etwa der Schuhhersteller Derimod, der seine Produkte in Russland unter einem mazedonischen Label verkaufte. Die Analysten der Eurasian Bank beziffern die türkischen Direktinvestitionen in Russland auf fünf Milliarden Euro – damit bleibt die Türkei Russlands größter asiatischer Handelspartner. Laut der russischen Zentralbank betrugen die türkischen Investitionen in die russische Wirtschaft im vergangenen Jahr 268 Millionen Euro.
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