Rentner als Sportler und Tänzer – Der neue Werbefilm der Sberbank löst in Russland einen Skandal aus

Wirtschaft
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Die Sberbank strahlt derzeit im russischen Fernsehen einen Werbefilm über den glücklichen Lebensabend russischer Rentner aus. Social-Media-Nutzer kritisieren ihn jedoch als realitätsfremd.

An einem Herbstmorgen entstieg German Gref, Vorstandsvorsitzender der größten Privatbank Russlands, der Sberbank, dem neuesten Automodell der Marke Tesla und fand sich im Supermarkt „Pjatjorotschka“, einer russischen Discounter-Kette, im Südosten der Hauptstadt wieder. Vor den Regalen drängten sich einige Rentner zusammen. „Wladja, was sind das für Leute?“, fragte Gref, der Vorstandsvorsitzende der Sberbank, einen seiner PR-Mitarbeiter. „Das, Herr Gref, ist unsere Zielgruppe – die Rentner.“ Die Frotteeberets tragenden Rentner versuchten währenddessen die billigsten Kartoffeln und Zefir, russisches Schaumgebäck, zu ergattern. Gref entschied, dass man ihn auf die Schippe nehme, und ordnete an, man möge ihm „normale“ Rentner beschaffen.

Genauso ist wohl der neue Werbefilm der Sberbank über ihre Dienstleistungsangebote für Rentner entstanden, ironisiert der Besposchadnyi piarschik (zu Deutsch: „Der schonungslose PRler“), ein bekannter Chanel des russischen Messengers Telegram. In dem Werbefilm geht es um das glückliche Altern, und was es heißt, „Rentner zu sein“. Er wurde bei den russischen öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlt.

Die Schauspieler, die die älteren Menschen spielen, werfen darin einen Basketball, kleiden sich in teurer Garderobe, tanzen und umarmen ihre Enkel vor einem Sonnenuntergang.

Die Sberbank nennt diese Rentner „Sportionäre“, „Tanzionäre“, „Stilionäre“ und „Familionäre“. „Die Nominierung für den „Realitätsverlust“-Grand-Prix geht an die PR-Leute der Sberbank und an German Gref persönlich“, schrieben Sozial-Media-Nutzer über den Werbefilm und deuteten so an, dass viele russische Rentner in Armut leben und sich weder einen verdienten Urlaub noch den Kauf schöner Dinge leisten können.

Der Rentner und die Klimaanlage

„Während die Rentner eine Rente für das Jahr 2017 bekommen, hat die Sberbank bis 2117 ausgesorgt“, wird im Netz über die neue Werbekampagne der „Volksbank“ Sberbank gescherzt, die allein in Russland mehr 110 Millionen Kunden hat. Der Hauptkritikpunkt derer, die diese „kreative Aktion“ der Bank nicht gutheißen, ist, dass die Schauspieler nicht mal annähernd einem russischen Durchschnittsrentner ähnlich sähen: Es scheine, als entstammten die Glanzbilder in der Werbung einer Fotodatenbank.

Twitter-Nutzer gingen nach dem Anschauen der Werbung dazu über, zu vergleichen, wie Google die russischen Rentner wahrnimmt.

„Russische Rentner. Amerikanische Rentner“

Die meisten Seitenhiebe bekam die Sberbank jedoch für den Versuch, das russische Wort Rentner („pensioner“) zu modulieren. Nutzer der sozialen Netzwerke entwarfen Neologismen wie „Krankenhausionär“, „Armutsionär“ und „Korruptionär“. Und auch das Wort „Klimaanlagen“ tauchte auf, da es im Russischen dem Wort für Rentner („pensioner“) ähnelt („kondizioner“).

„Es gibt viele Supergroßmütter, und sie lösen Probleme“

Die Sberbank habe mithilfe der Werbung Stereotypen über russische Rentner aufweichen wollen, hieß es. Im Jahr 2017 wurde die Zahl der russischen Rentner auf 43,4 Millionen geschätzt. „Nun geht jene Generation in Rente, die in den 1960er-Jahren geboren wurde. Sie freuten sich über die Eroberung des Weltalls, träumten davon, Ingenieure zu werden und bahnbrechende Entdeckungen zu machen. Das gelang ihnen früher und es gelingt ihnen auch jetzt. Sie kennen sich im Worldwideweb aus und sind es gewohnt, Neues zu lernen“, schrieb der Marketingdirektor der Sberbank, Alexei Giasow, auf seiner Facebookseite.

Die Bank war in letzter Zeit so eifrig bemüht, mit diesen Stereotypen zu brechen, dass eine weitere Werbekampagne von Social-Media-Nutzern als „Witz des Jahres“ bezeichnet wurde. Das geschah nach dem Erscheinen eines Werbeplakats des privaten Rentenfonds des Geldhauses. Auf der Abbildung war ein Rentner zu sehen, der das neueste iPhone-Modell in der Hand hält, auf dem die Nachricht prangt: „Sie haben soeben ihre Rente von 50 000 Rubeln (725 Euro, Anm. d. Red.) erhalten“. Heutzutage beträgt die Durchschnittsrente in Russland 15 000 Rubel, rund 217 Euro. Dabei beträgt das Existenzminimum sogar nur 9 909 Rubel, umgerechnet 144 Euro.

„Natürlich gibt es verschiedene Rentner in Russland, auch die, die den Werbebildern ähnlich sehen. Manche von ihnen kochen Spaghetti Carbonara beim Stadtwettbewerb „Der Moskauer Super-Opa“ (auf Russisch „Moskowski superdeduschka“), einer Art Schönheitswettbewerb für ältere Menschen, gehen zum Zumba, machen Nordic Walking, lernen, mit Tablets umzugehen, und besuchen Kurse für Babysitter und Hobbygärtner“, erzählt Larisa Wedmed, Beauftragte zum Schutz der Bevölkerung beim Verwaltungsbezirk.

„Ehrlich gesagt sehe ich in dem, was die Sberbank gezeigt hat, keinen Widerspruch. Es gibt heutzutage viel mehr aktive Rentner als früher. Der Stadtwettbewerb „Der Moskauer Super-Opa“ wurde dieses Jahr zum ersten Mal durchgeführt, davor fand 25 Jahre lang der Stadtwettbewerb „Die Moskauer Super-Oma“ statt. Es gibt mittlerweile viele Super-Omas, die sich von Zeit zu Zeit treffen und Probleme lösen“, sagt sie.

„Aber neben denen, die „Probleme lösen“, gibt es auch viele gewöhnliche Rentner mit gewöhnlichen Renten“, sagt Larisa, „und unter ihnen gibt es viele „Sportionäre“ und „Stilionäre“, was auch immer die Kritiker sagen mögen. Zumal Soziologen schon lange festgestellt haben, dass die russischen Rentner den aktivsten Teil der Wählerschaft ausmachen.“