Wie viel verdient der Durchschnittsrusse?

Alexander Kislov
Überraschenderweise ist Moskau nicht die lohnstärkste Region in Russland.

Was haben ein Reproduktionsmediziner, ein Markendirektor und der Chef eines Servicezentrums gemeinsam? Was wie der Beginn eines Witzes klingt hat einen ernsten Hintergrund: Der Headhunter-Website „Suberjob“ zufolge waren dies im Mai 2019 die bestbezahlten freien Jobs in Moskau.

Mit einem Lohn von 500.000 Rubel (6.820 Euro) pro Monat wurde der Mediziner am besten bezahlt. Der Markendirektor verdiente im Monat zwischen 420.000 und 600.000 Rubel (5.730 Euro bis 8.185 Euro) und der Servicecenterchef kann sich immer noch auf 300.000 bis 350.000 Rubel (4.090 Euro bis 4.775 Euro) pro Monat freuen. Ebenfalls in den Top Five der bestbezahlten Jobs Moskaus fanden sich ein Buchhalter mit 250.000 bis 400.000 Rubel (3.410 bis 5.460 Euro) und ein SAP-Berater mit einem Einstiegsgehalt von 205.000 Rubel (2.800 Euro).  

Solche Löhne sind in Russland jedoch längst nicht üblich. Der Durchschnittslohn im März 2019 betrug gerade einmal 46.324 Rubel (632 Euro.) Am besten verdiente man dabei in den Regionen Tschukotka (100.392 Rubel oder 1.370 Euro), Jamalo-Nenezkij (96.391 Rubel oder 1.315 Euro) und Moskau (95.179 Rubel oder 1.300 Euro). Dieses Muster ist nicht unüblich: Traditionell liegen die lohnstärksten Regionen Russlands im Norden und im Fernen Osten, gefolgt von Moskau und Sankt Petersburg.

Ein Grund hierfür ist die Tatsache, dass der Norden und der Ferne Osten die Zentren der Öl-, Gas- und Bergbauindustrie sind. Die hohen Gewinnspannen in diesen Wirtschaftszweigen erlauben es den Betrieben, hohe Löhne zu zahlen. So können sie trotz hoher Lebenshaltungskosten, Einsamkeit und schwierigen Klimabedingungen genug Personal anlocken.

In Moskau und Sankt Petersburg haben dagegen viele russische und internationale Unternehmen ihren Hauptsitz. In der Hauptstadt kommen dazu noch Regierungseinrichtungen, Banken und die IT-Branche. Dies führt dazu, dass fast alle russischen Topverdiener in Moskau oder Sankt Petersburg arbeiten.

Dennoch sind diese Zahlen bloß Durchschnittswerte. Experten der Nachrichtenagentur RIA Rating betonen, dass in Wahrheit die Hälfte der russischen Arbeitnehmer irgendetwas zwischen 17.000 (232 Euro) und 44.000 Rubel (600 Euro) im Monat verdient. Ein Viertel verdient mehr, ein weiteres Viertel verdient weniger.

Sind die Menschen zufrieden mit ihren Löhnen?

Ein weiterer Faktor, den man bedenken muss, wenn man über Löhne in Russland spricht, ist der rapide Wertverlust des Rubels seit 2014. Damals bekam man einen US-Dollar noch für etwa 35 Rubel. Heute liegt der Wechselkurs etwa bei 1 Dollar zu 70 Rubel. Auslandsreisen sind daher für die Russen fast doppelt so teuer wie vor fünf Jahren.  

Ende 2018 lag das Existenzminimum in Russland bei etwa 10.287 Rubel (140 Euro) pro Monat. Im Verhältnis dazu erscheint der Durchschnittslohn relativ hoch. Man sollte aber bedenken, dass das Existenzminimum nur absolute Notwendigkeiten einbezieht. Zudem verdienten 2018 ganze 18,9 Millionen Menschen (12,9 Prozent der Einwohner) weniger als das Existenzminimum.

Im Mai fragte das Umfrage-Institut Romir Research rund 1.500 Russen aus dem ganzen Land, wie viel Geld man ihrer Meinung nach jeden Monat brauche, um in ihrer Stadt ein gutes Leben zu führen. Etwas mehr als die Hälfte antwortete, man brauche zwischen 60.000 (820 Euro) und 120.000 Rubel (1.640 Euro). Weitere 25 Prozent glaubten, dass zwischen 45.000 (613 Euro) und 60.000 Rubel genügten und elf Prozent gaben an, dass man mehr als 120.000 Rubel brauche. Nur ein Prozent glaubte, dass man von 20.000 Rubel (272 Euro) gut leben könne. 

Die Experten errechneten aus diesen Daten, dass die Russen im Median 78.000 Rubel (1.063 Euro) im Monat für nötig erachteten, um ein gutes Leben führen zu können. Das sind 8.100 Rubel (110 Euro) weniger als das Durchschnittseinkommen einer Familie mit zwei Verdienern. Dieser positive Trend zeigt sich auch bei den Reallöhnen. In den letzten zwei Jahren lagen die prozentualen Lohnzuwächse in Russland erstmals seit 2009 wieder über der Inflationsrate. Der Lebensstandard nähere sich daher wieder dem Niveau von vor der Krise an, sagt Andrej Milechin, Präsident der Romir Research-Gruppe. Dennoch leben die Russen sparsamer als vorher.

„Die Russen haben gelernt, sparsamer zu leben. (…) Selbst die steigenden Löhne konnten die neue Sparmentalität nicht ändern“, erklärt er. „Es ist noch nicht abzusehen, ob diese nüchternere Budgetplanung gut oder schlecht ist. Aber eine Sache ist klar: Die Russen und ihre Konsumgewohnheiten haben sich verändert.“

Unabhängig von allen finanziellen Aspekten sind die Russen aber zufrieden mit ihrer Arbeitsstelle. Löhne scheinen dabei eine untergeordnete Rolle zu spielen. In einer WZIOM-Umfrage von Mai 2019 gaben 85 Prozent an, dass sie ihre Arbeit mögen. 56 Prozent sagten sogar, sie würden auch weiterarbeiten, wenn sie kein Geld mehr verdienen müssten. 

>>> Was ist anders am Verhältnis der Russen zum Geld?

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!