Wie wurde Russland zum größten Gasexporteur der Welt?

Alexander Ryumin/TASS
Russland verfügt über die größten Gasreserven der Welt und verkauft den Rohstoff aktiv ins Ausland. Die Abhängigkeit der Wirtschaft des Landes von diesen Exporten ist längst zu einem nationalen Meme geworden – das Diptychon des zeitgenössischen Künstlers Wassilij Loschkin stellt Mutter Erdöl und Vater Erdgas in menschlicher Gestalt dar. Aber wie kam es dazu? Wir beantworten diese und andere Fragen zum russischen Erdgas.

Wie viel Gas hat Russland?

Mehr als jedes andere Land. Laut des Rechnungshofes, der wichtigsten staatlichen Behörde zur Kontrolle der Regierung, liegt Russland weltweit an erster Stelle bei den Erdgasreserven, an sechster Stelle bei den Erdölreserven sowie an führender Position bei Nickel, Platin, Gold, Eisenerz und vielen anderen Mineralien.

Das Diptychon des zeitgenössischen Künstlers Wassilij Loschkin

Der Bruttowert der erkundeten und geschätzten Ressourcen an Bodenschätze in Russland wird in Weltmarktpreisen auf 28 Billionen US-Dollar taxiert. Drei Viertel dieses Betrags entfallen auf Erdöl, Erdgas und Kohle. Dabei reichen die nachgewiesenen Erdgasreserven des Landes für mehr als 50 Jahre.

„Russlands Lagerstätten enthalten das größte Volumen an nachgewiesenen Erdgasreserven, die etwa 20% der weltweiten Gesamtreserven ausmachen“, berichtet Oleg Tscherednitschenko, außerordentlicher Professor des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität.

Die gesamten Erdgasreserven in Russland werden auf 38 Billionen Kubikmeter geschätzt. Es folgen der Iran mit 32 Billionen Kubikmetern und Katar mit 24,7 Billionen Kubikmetern.

Wie viel Erdgas verkauft Russland?

Insgesamt wurden 2019 vom russischen Gasmonopolisten Gazprom 236,9 Milliarden Kubikmeter Gas exportiert. Dieser Wert ist einer der höchsten in der Geschichte des Unternehmens.

Einschließlich der Ausfuhren in Nicht-GUS-Länder, d.h. außerhalb der ehemaligen UdSSR, wurden 199,2 Milliarden Kubikmeter exportiert, was 98,7% des Rekordniveaus von 2018 entspricht und 2,5 % mehr als im Jahr 2017 ist. Die Liefermengen in eine Reihe von europäischen Ländern haben ihre historischen Höchstwerte erreicht. Hauptimporteure sind Frankreich, Österreich, Ungarn und die Niederlande.

Es wird erwartet, dass die Lieferungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie im Jahr 2020 zurückgehen werden. Nach eigenen Schätzungen von Gazprom wird sich das Volumen der Gasexporte in Nicht-GUS-Länder im Jahr 2020 voraussichtlich auf 165 – 170 Milliarden Kubikmeter belaufen.

Wie ist Russland zum Gasexporteur geworden?

Große Reserven und niedrigere Produktionskosten sind die beiden Hauptfaktoren, die Russland seit vielen Jahren zum größten Erdgasexporteur der Welt machen.

„Selbst wenn man den langen Transportweg in die EU-Länder berücksichtigt, sind die Gesamtkosten für das Gas an der Grenze niedriger als die der meisten Wettbewerber“, erklärt Dmitri Gordejew, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Marktforschung der Branchemärkte des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung bei der Akademie der Volkswirtschaft und des Öffentlichen Dienstes Russlands. Seiner Meinung nach erlaube die große Kapazität der Exportpipelines, die notwendige Menge an Erdgas zu liefern, ohne Kapazitätsengpässe befürchten zu müssen.

Wird Russland seine Position halten können?

Zumindest unternimmt das Land dafür alle Anstrengungen. Beispielsweise hat Russland in jüngster Zeit seinen Flüssiggasexport aktiv ausgebaut. Dies ermöglicht es, unabhängige Produzenten für den Export von Erdgas zu gewinnen, denen es gesetzlich verboten ist, Gas über Pipelines zu exportieren, und verringert auch die politischen Risiken durch die Diversifizierung der Exportrouten.

Das anschaulichste Beispiel ist der Gasexport nach China. Im Jahr 2014 wurde zwischen Gazprom und der China National Petroleum Corporation ein Brennstoffliefervertrag mit einer Laufzeit von 30 Jahren unterzeichnet. Laut diesem Vertrag wird Gazprom China ab 2020 mit folgenden Erdgasquoten beliefern:

  • 5 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2020,
  • 10 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2021,
  • 15 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2022.

Laut Oleg Tscherednitschenko ist es höchst wahrscheinlich, dass Russland trotz der Tatsache, dass die derzeitige globale Situation sich ungünstig auswirkt, seinen Status als  größter Gasexporteur bewahrt.

„Ob Russland seine führende Position unter den Erdgas exportierenden Länder beibehält, hängt weitgehend von politischen und nicht von wirtschaftlichen Aspekten ab“, erklärt Gordejew. Aus wirtschaftlicher Sicht, so Gordejew, würden die erkundeten Gasreserven in Russland und die Entwicklung von Transportrouten den Erdgasexport zu wettbewerbsfähigen Preisen noch viele Jahrzehnte lang gestatten. Gleichzeitig gibt es in der Welt den Trend, nicht nachhaltige Energieträger wie Kohle und Erdöl durch Erdgas zu ersetzen.

Was hindert Russland daran, noch mehr Gas zu verkaufen?

Russland liefert hauptsächlich Gas im Rahmen langfristiger Take-or-Pay-Verträge. Das bedeutet, dass der Käufer, selbst wenn er die für ihn bestimmte Quote nicht abruft, trotzdem für die Lieferung bezahlen muss. Das ist dadurch bedingt, dass die Infrastruktur für die Gasversorgung sehr teuer ist und ernsthafte technologische Lösungen erfordert.

Um beispielsweise Gas nach Deutschland zu verkaufen, verlegte die russische Gazprom die Pipeline Nord Stream auf dem Grund der Ostsee und baute die beiden Unterwasserpipelines Blue Stream und Turkish Stream im Mittelmeer, um den türkischen Markt zu versorgen. Die Projekte können nur durch den Abschluss langfristiger Verträge rentabel sein. Angesichts sinkender Kohlenwasserstoffpreise auf dem Weltmarkt verliert Pipelinegas jedoch gegenüber „flexiblerem“ Flüssiggas (LNG) an Bedeutung.

„Die vorbereitete Infrastruktur ist die Hauptquelle für die Erzielung eines optimalen Gleichgewichts zwischen Produktions- und Lieferkosten des ,blauen Brennstoffs‘ und folglich der Gewährleistung eines wettbewerbsfähigen Preises“, sagt Oleg Tscherednitschenko.

Deshalb hat Russland auch beschlossen, in Zukunft sich im Bereich LNG zu entwickeln. Russland könne einen Anteil am globalen LNG-Markt von 25 % des Gesamtvolumens erreichen, prognostizierte der Energieminister Alexander Novak, ohne konkrete Fristen zu nennen.

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