Russisches Implantat lässt Blinde wieder sehen

Artem Geodakyan/TASS
„ELVIS“ ermöglicht es Ärzten, Bilder der Umgebung via Kamera direkt an das menschliche Gehirn zu übertragen, ohne Beteiligung der Augen. Bis 2027 soll die Technologie marktreif sein.

Russische Spezialisten des „Sensor-Tech“-Labors und der Stiftung zur Unterstützung von Gehörlosen und Blinden, „So-edinenie“ haben das erste neuronale Gehirnimplantat Russlands entwickelt, das Menschen mit Sehbehinderung ihr Augenlicht zurückgeben soll. Das Gerät wurde Ende Juni 2021 im Moskauer Innovationszentrum Skolkowo vorgestellt.

Wie das Implantat funktioniert

Das Gerät heißt kurz „ELVIS“, von „electronic vision“. Es erinnert an ein Gerät aus dem Videospiel „Cyberpunk 2077“ oder aus dem Film „Star Wars“, das am Kopf getragen wurde und dem Träger besondere Fähigkeiten verleiht. 

Die Realität geht nun noch einen Schritt weiter: Ärzte implantieren das Gerät operativ in die Großhirnrinde und verbinden es über Elektroden mit den Sehnerven. Nach einiger Zeit erhält der Patient ein Stirnband mit einer Kamera, die das Bild unter Umgehung des Auges direkt ins Gehirn überträgt. Das Implantat hilft bei angeborenen wie erworbenen Sehbehinderungen. 

Das Implantat muss jedoch alle zehn Jahre durch ein neues ersetzt werden. Es ist für Menschen im Alter zwischen 24 und 65 Jahren geeignet. Für Kinder ist es nicht geeignet, da das Implantat nach Angaben der Entwickler ein voll ausgebildetes, erwachsenes Gehirn voraussetzt. 

Was werden die Blinden tatsächlich „sehen“? 

Zu hoch sollten die Erwartungen dennoch nicht sein. Es wird nicht möglich sein, das Sehen im klassischen Sinne, mit Details oder Farben etc., wiederherzustellen. Stattdessen wird die Kamera lediglich Lichtblitze an das Gehirn senden, die das Objekt im Sichtfeld der Kamera umreißen. Eine detailliertere Darstellung wird es demnach nicht geben.  

„ELVIS“ wird es dem Benutzer dennoch ermöglichen, Objekte um sich herum zu erkennen und sich frei bewegen zu können, etwa in der Stadt oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Weitere Hilfsmittel werden nicht benötigt.  

In welchem Stadium befindet sich das Projekt?

Derzeit wird „ELVIS“ an Nagetieren getestet. Danach kommen Affen und im Jahr 2023 werden die ersten Operationen an zehn Freiwilligen durchgeführt. 

Wie viel wird der Eingriff kosten?

Das Gerät wird voraussichtlich im Jahr 2027 in die Serienproduktion gehen. Die anfänglichen Kosten für die Operation und die Installation der Kamera wurden mit 10 Millionen Rubel (ca. 138.000 Dollar) beziffert. Nach der Aktivierung von „ELVIS“ und der Aufnahme in das Programm zur Unterstützung und Versicherung der Bevölkerung wird der Preis sich halbieren. 

Sowohl Russen als auch Ausländer werden sich bewerben können. 

Gibt es eine ausländische Konkurrenz?

„Die Amerikaner haben bereits die ersten sechs Freiwilligen mit Implantaten ausgestattet und ihnen das Augenlicht zurückgegeben. Die Operation kostet dort 145.000 Dollar", sagt „ELVIS“-Projektleiter Denis Kuleschow.

Weltweit gibt es zehn Teams, die auf dem Gebiet der neuronalen Implantate zur Wiederherstellung des Sehvermögens forschen. Die größten Fortschritte haben laut Kuleschow bisher Forscher aus Spanien (CORTIVIS), den Niederlanden (NESTOR) und Australien (Monash University) erzielt. Die meisten Tests werden derzeit an Tieren durchgeführt; spanische Wissenschaftler gaben einigen Freiwilligen für kurze Zeit Elektroden, obwohl sie ihr Sehvermögen voll nutzen konnten. 

Wie unterscheidet sich das russische Implantat?

„Mit dem ‚ELVIS‘-Projekt haben wir es geschafft, die Probleme vieler anderer Implantate zu lösen, nämlich die geringe Auflösung des bionischen Sehens. Wir verwenden eine Kombination aus Bionik und künstlicher Intelligenz, so dass der blinde Benutzer sein elektronisches Sehen voll nutzen kann", sagt der Projektleiter. 

Während viele ausländische Projekte eine Technologie verwenden, die die Blitze und Silhouetten einfach auf die Großhirnrinde projiziert, so Kuleschow weiter, arbeitet beim russischen Ansatz eine KI, die das System bei der Identifizierung des Objekts unterstützt. 

„Das wird unseren Patienten auch in der Rehabilitationsphase helfen, denn so können wir den Lernprozess, der mit dem Sehen nach der Operation verbunden ist, verbessern", fügt er hinzu.  

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