Mord am russischen Botschafter: Türkei und Russland werden zusammenrücken

Menschen legen Blumen und Kerzen vor dem Gebäude des russischen Außenministeriums in Moskau nieder.

Menschen legen Blumen und Kerzen vor dem Gebäude des russischen Außenministeriums in Moskau nieder.

AP
Die Folgen des brutalen Mordanschlags auf Andrej Karlow, Russlands Botschafter in der Türkei, werden nicht zu übersehen sein, sagt Wladimir Michejew. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan werde die Tat innenpolitisch nutzen, Russland seinen Kampf gegen den Terrorismus noch verstärken. Die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau könne der Mord aber nicht beeinträchtigen. Ein Kommentar.

Der Terroranschlag offenbart die Verzweiflung islamistischer Gruppierungen, denen das Geld und die Waffen ausgehen, die sie von ihren Gönnern erhalten haben, und deren dschihadistischer Eifer zu schwinden scheint. Sie begreifen, dass sich die Entwicklung in dieser unruhigen Region gegen sie gewendet hat.

Keine negativen Folgen für die Beziehung zwischen Ankara und Moskau

Vor allem zeigt Moskau Entschlossenheit, die Verantwortlichen an dem Mord der Gerechtigkeit zuzuführen. Später an diesem schmerzlichen Tag rief Präsident Putin nicht nur seinen Außenminister Sergej Lawrow, sondern auch die Chefs der Sicherheits- und Geheimdienste zu einer Besprechung zusammen.

Abgesehen von den diplomatischen Folgen – Moskau gab bekannt, es werde Unterstützung bei den Vereinten Nationen suchen –, könnte die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsdiensten Russlands und der Türkei durch diesen Fall auf ein neues Level steigen. Es dürfte ein weiterer Durchbruch in der Verbesserung der Beziehungen werden.

Die Mitteilung, die Fatih Öke, Pressesprecher der türkischen Botschaft in Washington DC, über Twitter verschickte, verbreitete sich schnell: „Die Kugel war nicht nur gegen Botschafter Karlow gerichtet. Sie war auch gegen die türkisch-russischen Beziehungen gerichtet.“

Viel deutet darauf hin, dass die große Einigkeit in verschiedenen Bereichen der Zusammenarbeit zwischen Ankara und Moskau bei Dritten das Interesse weckt, beide Länder wieder zu entfremden. Aber nicht dieses Mal! Dieses Ereignis wird die bilateralen Beziehungen nicht belasten.

Der Mord konsolidiert Erdoğans Machtposition

Zudem wird sich das Attentat negativ auf die Innenpolitik der türkischen Machthaber ausüben. Die Aussage des Nachrichtenkanals „HaberTurk“, bei dem Mörder handele es sich um den angeblich mit der „Fethullahistischen Terrororganisation“ verbundenen 22-jährigen Mevlüt Mert Altintas, wurde inzwischen vom russischen Außenminister bestätigt.

Wenn dem Mörder wirklich eine Verbindung zu dem sich in den Vereinigten Staaten befinden früheren Gefährten und jetzigen Gegner Erdoğans Fetullah Gülen nachgewiesen werden kann, wird der türkische Präsident die nach dem verhinderten Staatsstreich vom letzten Sommer gestartete Hexenjagd noch verschärfen.

Außerdem würde es den angeblich „liberalen“ Prediger Gülen zum Komplizen eines kaltblütigen Mörders machen. Würde Moskau sich dann Ankaras Antrag auf Auslieferung des ehemaligen Imams an die Türkei anschließen?

Und könnte folglich das Weiße Haus nach dem Machtwechsel am 20. Januar vor dem Hintergrund des zu erwartenden Kurswechsels gegenüber der Türkei und Russland Gülen opfern? Eine interessante Frage, nicht wahr?

Sind die Syrien-Gespräche der Hintergrund?

Auch der Zeitpunkt des Anschlags spielt für die Untersuchung eine entscheidende Rolle. Er sieht nicht zufällig gewählt aus. Die Schüsse fielen nur wenige Tage vor dem geplanten Besuch des Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu in Moskau. Dort wollte sich der türkische Chefdiplomat mit seinen russischen und iranischen Amtskollegen Sergej Lawrow und Mohammad Javad Zarif zu Gesprächen treffen.

Die Agenda des Treffens wäre deutlich geprägt gewesen von der neuen Realität nach der Eroberung Aleppos durch syrische Regierungstruppen.

Moskau schien Hoffnungen auf diese Begegnung zu setzen, auch wenn ein Beamter des türkischen Außenministeriums die Aussichten auf einen Verhandlungserfolg herunterspielte: „Man darf keine Wunder erwarten, aber es wird allen Seiten die Chance gegeben werden, einander zuzuhören“.

Im Gegensatz dazu klang Sergej Lawrow schon optimistischer: „Ich hoffe, detailliert und konkret mit denjenigen zu sprechen, die eine Verbesserung der Situation von Grund auf herbeiführen können, während unsere westlichen Partner mit Rhetorik und Propaganda beschäftigt sind und keinen Einfluss auf diejenigen haben, die ihnen zuhören.“

Neues diplomatisches Dreieck

Moskaus Entschlossenheit, die regionalen Akteure zu einer Beilegung des Bürgerkriegs in Syrien zu bewegen und die Bedrohung durch den IS ein für alle Mal zu eliminieren, ist ungebrochen. Es steht zu viel auf dem Spiel.

Das Endergebnis dieser anhaltenden menschlichen Tragödie in Syrien, die der unvermeidliche und widerwärtige Begleiter eines jeden Bürgerkriegs ist, hat direkte Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit Russlands in der Region und die Effizienz seiner Diplomatie.

Die feige in den Rücken des russischen Diplomaten gefeuerten Kugeln werden unweigerlich einen Einfluss auf das in der Entstehung begriffene diplomatische Dreieck zwischen Russland, der Türkei und dem Iran haben.

Entgegen der vermutlichen Erwartung derjenigen, die den Mord zu verantworten haben, wird die Annäherung zwischen den drei Regionalmächten nicht entgleisen, sondern stattdessen noch weiter ausgebaut werden.

Droht neuer Streit zwischen Russland und der Türkei?

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