Krimtataren zerstreiten sich über Russland

Männer beten im Kebir-Jami-Moschee in Simferopol am Tag des Eid al-Fitr-Festes.

Männer beten im Kebir-Jami-Moschee in Simferopol am Tag des Eid al-Fitr-Festes.

Taras Litvinenko/RIA Novosti
Die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation führte zu einer Spaltung der dortigen indigenen Bevölkerung, der Krimtataren. Ihre Elite steht Russland mehrheitlich kritisch gegenüber. Das schwierige Verhältnis von Krimtataren und Russen hat historische Wurzeln.

Anfang August fand im türkischen Ankara der Weltkongress der Krimtataren statt. Aus zwölf Ländern kamen Vertreter der krimtatarischen Diaspora. Organisatoren der Zusammenkunft waren der bekannte Regimegegner Mustafa Dschemiljew, der heute bevollmächtigter Vertreter für die Rechte der Krimtataren im Präsidialamt der Ukraine ist, und Refat Tschubarow, der Vorsitzende des krimtatarischen Medschlis, dem Repräsentativorgan der Krimtataren.

Gespaltene Reaktionen

Die Teilnehmer des Kongresses verurteilten die „Annexion der Krim“ durch Russland im März 2014 und warfen der russischen Regierung vor, fundamentale Rechte des  krimtatarischen Volkes zu missachten. Sie wandten sich an die Vereinten Nationen mit der Forderung, die Handlungen Russlands als Genozid am krimtatarischen Volk einzustufen.

Diese Initiative wurde von der Bewegung „Krim“, die sich gegenüber Russland loyal zeigt, kritisiert. Ihre Vertreter warfen den Organisatoren des Kongresses vor, die krimtatarische Diaspora über die Verhältnisse auf der Krim zu belügen. Der Politologe Alexandr Formantschuk erklärte gegenüber RBTH, auf dem Kongress seien kaum Krimtataren, die auch tatsächlich auf der Halbinsel lebten, anwesend gewesen: „Auf dem Kongress waren, soweit ich weiß, nur 17 Personen, die derzeit auf der Krim wohnhaft sind und von diesen 17 lebt die Mehrheit in Gebieten, die an der Grenze zur Ukraine liegen. Die übrigen Delegierten waren Vertreter der Diaspora.“

Die schwere Last der Geschichte

Die Krimtataren und Russland, das ist in der Tat eine komplizierte Beziehung. Dieses Volk, das übrigens nicht zu verwechseln ist  mit den Tataren aus Tatarstan, bildete sich gleichzeitig mit der Entstehung des Krim-Kahanats im 15. Jahrhundert heraus. Das Kahanat überdauerte nur drei Jahrhunderte und wurde 1783 durch das Russische Kaiserreich im Zuge der russisch-türkischen Kriege annektiert.

Die Stalin-Ära ist die bedrückendste Zeit in den Beziehungen zwischen den Krimtataren und Russland. 1944 wurde der Erlass über die Deportation der Krimtataren von der Krim herausgegeben. Offiziell wurde dies damit begründet, dass ein Teil der Krimtataren zur Zeit der Besatzung durch Deutschland 1941 bis 1944 mit den Besatzern kooperierte. Die Krimtataren wurden innerhalb von nur zwei Tagen in entfernte Regionen der UdSSR, hauptsächlich nach Usbekistan, deportiert. Noch bis 1989 war es den Krimtataren verwehrt, in ihre angestammte Heimat zurückzukehren.

„Die Deportation ist das schwerste Verbrechen gegen das krimtatarische Volk gewesen. Etwa 40 Prozent des gesamten Volkes sind dabei umgekommen“, sagt der krimtatarische Journalist und Aktivist Ajder Muschdabajew im Gespräch mit RBTH. Das hat Spuren hinterlassen. Die Reaktion der Krimtataren auf die Russen sei vor diesem Hintergrund normal, meint er: „Deshalb haben sie eine negative Einstellung gegenüber dem Staatsgebilde der Russischen Föderation.“

Wegen dieser Abwehrhaltung gegenüber der russischen Regierung und der noch immer lebendigen Erinnerung an die Deportation nahm die Mehrheit der Krimtataren die Angliederung der Krim zu Russland äußerst negativ auf. „Die Krimtataren waren dagegen, ihre Meinung wurde aber ignoriert. Noch vor der Abstimmung (am 16. März 2014, nachdem die Eingliederung an Russland erfolgt war, Anm. d. Red.) gab es Massenprotestaktionen der Krimtataren. Die russischen Medien blendeten diese aber einfach aus“, erzählt Muschdabajew. Die Vertreter des Medschlis riefen die Krimtataren zum Boykott der Abstimmung auf und sein Vorsitzender Dschemilew kündigte an, dass im Falle einer „Annexion der Krim“ Russland mit einem Aufflammen ethnischer Gewalt rechnen könne.

Doch obwohl also die Mehrzahl der Krimtataren Vorbehalte gegen die russische Regierung hatte und hat, haben sich Dschemilews Prophezeiungen nicht erfüllt. Alexandr Formantschuk sagt: „Trotz der Skepsis gegenüber der russischen Regierung lebt ein Großteil dieses Volks weiterhin ein normales Leben. Die absolute Mehrheit der Krimtataren hat einen russischen Pass bekommen und erhält Renten und Sozialleistungen. Innerhalb der anderthalb Jahre unter russischer Regierung gab es keine ethnischen Zusammenstöße oder größere Proteste gegen die Regierung.“

 

Die Elite ist uneins

Die Vertreter der krimtatarischen Elite, die Dschemilew und Tschubarow unterstützen, wollen, dass die Krim wieder zur Ukraine gehört. Es gibt aber auch Einzelne in den Reihen dieser Elite, die die neue Regierung unterstützen: „Die Tataren sind daran interessiert, zum Aufbau einer neuen Krim beizutragen und niemand außer ihnen selbst kann der Regierung so gut sagen, wie ihre Probleme zu lösen sind“, wird Saur Smirnow, einer der gegenüber Russland loyalen Medschlis-Vertreter, von der russischen Zeitung „Kommersant“ zitiert. Smirnow ist der Vorsitzende der Staatlichen Behörde für nationale Angelegenheiten in der Republik Krim.

Der oppositionell eingestellte Ajder Muschdabajew hingegen kritisiert die moskautreuen Krimtataren: „Das sind Menschen, die einen Kompromiss mit der russischen Regierung eingegangen sind, um ihre Geschäfte und ihren Status in der Gesellschaft nicht zu verlieren. Sie können nicht als echte krimtatarische Elite bezeichnet werden, sie werden von den Menschen nicht respektiert“, behauptet er.

Alexandr Formantschuk hingegen findet, man sollte diese Meinungsverschiedenheiten nicht überbewerten: „Die Krimtataren sind heute gespalten und dasselbe trifft auf ihre nationale Elite zu. Ein Teil nimmt die prorussische Position ein, ein anderer Teil die oppositionelle. Das ist normal.“

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Amnesty-Bericht: Wie gefährlich ist die Krim?

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