Außenpolitik 2016: Ein Jahr der Entscheidungen

Reuters
Russland scheint in diesem Jahr seinen Status als wichtiger Globalplayer wiedererlangt zu haben, doch musste es dafür einen hohen Preis zahlen. Das wird sich auch im kommenden Jahr nicht ändern.

Mit dem Ausbruch der Ukraine-­Krise rückte die russische Außenpolitik in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit. Russlands undurchsichtige Strategie sorgt für zahlreiche Spekulationen. Einig sind sich die Beobachter darüber, dass der Kreml bei seinen Entscheidungen großzügig improvisiert. Doch bei aller Spontanei­tät weist Moskaus Außenpolitik eine Konstante auf: Konsequent bereitet sie dem Westen Überraschungen.

Erst das aktive Engagement im Ost-Ukraine-Konflikt und die Krim-Eingliederung in Jahr 2014. Dann im Jahr darauf die Intervention im Nahen Osten gegen die syrische Opposition und den Islamischen Staat. Musste Russland 2014 noch Rückschläge hinnehmen – Wirtschafts- und Finanzsanktionen, Ausgrenzung durch Europa und die USA – kam das Land 2015 auf die globale Arena zurück. Russland ist wieder eine feste Größe, an seiner Position führt kein Weg vorbei.

Das Streben des Kremls nach dem Wiedererlangen des Status eines entscheidenden geopolitischen Players blieb nicht ohne Rückwirkung. Und kam dem Land teuer zu stehen. Die Verlängerung der Sanktionen, nicht nachlassende Kritik aus dem Westen und nun die Terrorgefahr: Kurz nach Moskaus Startschuss für die Militär­operation in Syrien stürzte ein russischer Airbus infolge einer Bombenexplosion über Ägypten ab.

Jetzt der Bruch mit der Türkei, auf die Russland sich einst – bei seinem angespannten Verhältnis mit dem Westen – verlassen konnte. Dass die russisch-türkischen Spannungen für Russland auch im kommenden Jahr zu einer Bewährungsprobe werden, gilt angesichts der von Moskau unverzüglich verhängten Sanktionen gegen Ankara als wahrscheinlich.

„Russland begibt sich weiter auf sehr dünnes Eis, wenn es die Fäden zur Türkei abreißt. Seine macht- und statuspolitischen Überlegungen unterminieren die wirtschaftliche Beziehungsbasis mit der Außenwelt“, gibt Michail Troizkij, Experte für internationale Beziehungen, zu Bedenken. „Wegen des Importverbots auf türkische Waren droht dem russischen Einzelhandel erneut ein spürbarer Preisanstieg. Geht diese Maßnahme zu weit, könnten Russlands Wirtschaft und der Wohlstand seiner Bürger irreversible Schäden erleiden“, sagt er.

Negative Prognosen

Moskaus Verhältnis mit dem Westen ist weit abseits des Ideals. Wird es neue Partner finden können, wenn es mit der Türkei endgültig aus ist? Welche Allianzen könnte Russland auf den Beziehungstrümmern im kommenden Jahr schmieden?

Aurel Braun, Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Toronto, schätzt, dass Russland seine Kooperation mit dem Regime des syrischen Präsidenten Baschar Assad und dem Iran weiter ausbauen wird. Doch diese Strategie sei auf lange Sicht problematisch: „Das Assad-Regime ist nicht tragfähig und die langfristigen Interessen des Irans am Islamismus und dem Status einer Nuklearmacht sind mit den ureigenen Interessen Russlands inkompatibel.“ Ironischerweise treibe die Konfrontation die Nato und die EU enger an den türkischen Präsidenten – trotz der heftigen europäischen Kritik an seinem Regime wegen grober Menschenrechtsverletzungen, so Braun weiter. Zugleich würde sich als Konsequenz Russlands Beziehung zum Westen weiter verschlechtern.

„Natürlich hat Russlands Wut auf die Türkei – möge sie auch gerechtfertigt sein – einen vernichtenden Effekt auf die wirtschaftlichen Beziehungen mit Ankara. Langfristig wichtiger aber ist, dass in der gegenwärtigen Situation die Europäer und die Amerikaner geradezu in die Arme der Türkei getrieben werden“, sagt Braun. Ein positives Zeichen sei dies nicht, liege doch Russlands Interesse stärker in Europa und im Westen als bei den skrupellosen Machthabern Syriens, des Iran oder bei Recep Erdogan, erklärt der Experte.

Russlands Top-Priorität 2016 müsse es sein, die Beziehung zum Westen zu normalisieren. „Doch dafür ist eine Umorientierung der russischen Politik nötig. Zudem müsste Russland seine Kompromissbereitschaft in einer Reihe von Fragen, von der Ukraine bis zum Mittleren Osten, demonstrieren“, so Braun. Hinsichtlich eines Konsens Russlands und des Westens ist Troizkij skeptisch. „Russlands Kooperation mit anderen Mächten wird sich auch 2016 als schwierig erweisen. Nahezu jede dieser Nationen hat Vorbedingungen für eine Kooperation gestellt“, erklärt er. „Die schmerzhaften Sanktionen gegen Russland bleiben bestehen, bis Kiew die volle Kontrolle über den Donbass wiedererlangt hat. Und eine ernstzunehmende Koalition im Kampf gegen den Islamischen Staat nimmt erst Gestalt an, wenn es eine Vereinbarung über die politische Nachkriegsordnung in Syrien gibt.“

Entscheidungsjahr 2016

Der Westen werde weiterhin auf das mangelnde Vertrauen zu Russland als das größte Kooperationshindernis verweisen. Russland seinerseits werde den Westen für das existierende Misstrauen verantwortlich machen. Zugleich werde die NATO im kommenden Jahr ihre Militärinfrastruktur in Osteuropa als Reaktion auf Russlands Vorgehen wie angekündigt verstärken. Andrej Zygankow, Politikwissenschaftler und Professor für Internatio­nale Beziehungen an der Universität San Francisco, prognostiziert Russland für 2016 eine voranschreitende innere Stagnation, gepaart mit zunehmenden Schwierigkeiten in der Ukraine und steigender Radikalisierung Zentralasiens nach der Destabilisierung des Mittleren Ostens.

„Die Chancen, dass die Ukraine sich dem Druck aus Europa beugt, sind eher gering. Kiew ist offensichtlich nicht in der Lage, seine Wirtschaft zu reformieren, und ist weiterhin auf den starken Anti-Russland-Nationalismus angewiesen, um das Überleben des eigenen Regimes zu sichern“, erklärt er. „Um den Stellvertreterkrieg der USA und Russlands in Syrien zu verhindern und einen Prozess hin zur massiven Koalition gegen den IS in Gang zu setzen, braucht es eine entschie­dene Intervention vonseiten des Weißen Hauses. Nicht nur um sich mit dem Kreml über Assad zu einigen, sondern auch, um die Türkei und Saudi-Arabien zu disziplinieren. Ansätze einer solchen Intervention sind aber nirgends zu sehen.“

Ob und wie die internationalen Regeln 2016 neu gestaltet werden würden, hänge sehr stark von der Entwicklung der Lage in Syrien ab, so Zygankows Ansicht. „2016 könnte für die Welt zum Entscheidungsjahr werden: entweder die Zukunft durch neue weltweit akzeptierte Regeln gestalten oder zu einer noch größeren Instabilität voranschreiten“, warnt er. Für Russland würden auch 2016 der Mittlere Osten, die Ukraine, Zentralasien, Afghanistan, der Ölpreis und die Wirtschaftslage die Agenda bestimmen.

Positive Aussichten?

Hinsichtlich der russischen Außenpolitik 2016 sind die meisten Beobachter pessimistisch. Ein günstiger Entwicklungskurs erfordert eine gehörige Portion politischen Willen bei den Globalplayern. Ihre divergierenden Interessen lassen diesen Ausgang aber nahezu unrealistisch erscheinen. Doch es gibt auch Licht am Ende des Tunnels. „Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen könnten sich ­angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus und einer eventuellen Entspannung des Ukraine-Konflikts verbessern“, meint Zygankow.

„Sollte es bei gemeinsamen Anti-Terror-Maßnahmen Russlands und des Westens in Syrien Fortschritte geben, kämen dann keine spürbaren Eskalationen in der Ukraine hinzu, würde ein moderates Wirtschaftswachstum einsetzen und blieben andere Faktoren, insbesondere in Ost-Asien, konstant, könnte Russlands Vision einer neuen Weltordnung ihre Anhänger finden“, versucht sich der Experte an einem positiven Szenario für 2016. „Eine Vision, die auf gegenseitiger ­Achtung von Souveränität und Interessen gründet und auf Multilateralismus aufbaut.“

MEINUNG Was Syrien Russland kostet

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