„Die Türkei hatte eigene Pläne für Syrien. Der russische Militäreinsatz ist dabei ein Hindernis“, meint ein Experte.
ReutersAnfang des Monats meldete das russische Verteidigungsministerium, es habe „Gründe anzunehmen, dass die Türkei eine Militärintervention in Syrien vorbereitet“. Das Ministerium veröffentlichte Aufnahmen, die Aktivitäten der türkischen Streitkräfte an der syrischen Grenze zeigen sollen. Ein Ministeriumsvertreter vermutet, dass die Türkei die infrastrukturellen Voraussetzungen für diesen Einsatz schaffe. Es gehe dabei um Versorgungswege und die Sicherung des Nachschubs von Waffen und Munition ins Kriegsgebiet und die Möglichkeit, schnelle Truppenverschiebungen oder Evakuierungen zu ermöglichen.
Die Türkei reagierte mit einem Dementi und erhob den Vorwurf, Russland wolle von den eigenen „Verbrechen“ in Syrien ablenken. Das Land habe zudem „jedes Recht beliebige Maßnahmen zu ergreifen, um sich zu schützen“. Zusätzliches Konfliktpotenzial lieferte die Ankündigung Saudi-Arabiens, in den Syrien-Konflikt durch die Entsendung von Bodentruppen einzugreifen.
Was erwartet die Welt nun? Droht in Syrien ein militärischer Zusammenstoß von russischen und türkischen Truppen? Ist eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den beiden Staaten unvermeidbar?
Wladimir Awatkow, Direktor des russischen Zentrums für orientalische Forschungen, hat keinen Zweifel daran. Die Situation sei sehr problematisch, die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konflikts zwischen der Russischen Föderation und der Türkei hoch. „Die Türkei hatte eigene Pläne für Syrien. Der russische Militäreinsatz ist dabei ein Hindernis“, erklärt er. Ankara habe nun mehrere Optionen: „Erstens könnte die Türkei ihre Truppen im Rahmen einer Militärkoalition ins Land bringen. Zweitens könnte sie die radikale syrische Opposition intensiver unterstützen.“ Dass gar nichts geschieht und die Türkei sich einfach abwartend verhalten werde, hält der Experte dagegen für sehr unwahrscheinlich: „Ich denke, Ankara wird sehr aktiv Möglichkeiten für die Realisierung eines der ersten zwei Szenarien suchen“, unterstreicht Awatkow.
Kerim Has, ein türkischer Politologe vom analytischen Zentrum Usak, ist optimistischer. Er hält die Wahrscheinlichkeit eines Krieges für sehr gering. „Dafür gibt es zwei Gründe: regionale Risiken für beide Länder und die Nato-Mitgliedschaft der Türkei. Russland würde es nicht riskieren, wegen der Türkei die Konfrontation mit der Nato zu suchen“, ist Has überzeugt.
Sollte es dennoch zu einem militärischen Kräftemessen zwischen Russland und der Türkei kommen, dann würde sich das auf syrischem Boden abspielen, da sind sich die Experten einig.
Alexander Kostjuchin, Generalmajor a.D., kennt die Türkei und die militärischen Realitäten dort aus eigener Erfahrung. Auch er glaubt, dass Russland selbst im Falle von Provokationen durch Ankara das Territorium der Türkei respektieren würde. „Falls die Türkei russische Streitkräfte in Syrien angreifen sollte, wird eine Reaktion darauf nur auf syrischem Gebiet erfolgen.“ Anders verhalte es sich mit den syrischen Regierungstruppen. Diese könnten weniger Hemmungen haben. „Es ist schwierig, die Entwicklung vorherzusagen. Sie hängt auch vom Grad der Einmischung anderer Parteien ab. Nicht zuletzt davon, wie die Nato ihren Mitgliedsstaat Türkei unterstützen wird“, gibt Kostjuchin zu bedenken.
Wiktor Nadein-Rajewskij vom Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften fragt sich, ob „die Türken die Luftüberwachung ihres Landes gewährleisten können, wenn sie eine Bodenoperation in Syrien beginnen“. Er bezweifelt das. Ohne Luftüberwachung sei eine Militärintervention in Syrien aber nicht möglich.
Die türkische Armee sei an einer Bodenoffensive in Syrien nicht interessiert, betont der türkische Politologe Kerim Has. „Die Türkei fürchtet, dass ein kurdischer Korridor im Norden Syriens gebildet werden könnte, der aus Sicht der Türkei eine Gefahr für ihre territoriale Integrität darstellen würde.“ Um das zu verhindern, glaubt Has eher an einzelne gezielte Operationen, ausgeführt von den türkischen Geheimdiensten. „Um eine umfangreiche Militärintervention in Syrien geht es der Türkei nicht“, resümiert Has.
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