Im Fall einer weiteren Eskalation kann der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien die Grenzen der Region überschreiten. In dem Fall würde Russland in den Krieg hineingezogen.
APDer Konflikt in der Region Berg-Karabach ist ein ethnischer Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien, der in den 1990er-Jahren in einem Krieg kulminierte. Die Länder stritten damals um ein Gebiet mit überwiegend armenischer Bevölkerung, das in der Sowjetzeit jedoch zu Aserbaidschan gehörte. Als Ergebnis des blutigen Konflikts mit über 15 000 Opfern entstand die nicht anerkannte und von Armenien unterstützte Republik Berg-Karabach.
Russische Experten sehen die Schuld bei Aserbaidschan. Vor dem Hintergrund der kriselnden Wirtschaft soll Baku versucht haben, die Bevölkerung von den Problemen im Land abzulenken. Eine patriotische Bewegung gegen einen äußeren Feind, so glauben die Beobachter, soll da behilflich gewesen sein. Die armenische Regierung hätte derzeit hingegen keine Gründe, um Spannungen zu provozieren.
Noch eine weitere Partei könnte an einer Eskalation interessiert sein: die Türkei. Wie Alexander Skakow vom Institut für Orientwissenschaften der Russischen Akademie der Wissenschaften vermutet, hat Ankara womöglich provoziert, um die eigene Bedeutsamkeit für die Region zu unterstreichen. Offiziell will Moskau davon nichts wissen: Der russische Außenminister Sergej Lawrow betonte, Russland sehe die Schuld in der Zunahme der Spannungen in der Region nicht bei Ankara.Man kann die derzeitige Eskalation indes kaum als überraschend bezeichnen. Die Situation ist hat sich im Verlauf mehrerer Monate verschärft. Ende September vergangenen Jahres wurde erstmals seit 20 Jahren wieder Artillerie eingesetzt, zehn Soldaten kamen ums Leben. Schon damals berichteten Beobachter, dass „die Region am Rande eines heißen Krieges“ stehe.
Die derzeitige Eskalation bringt Moskau in Verlegenheit, denn Russland möchte seine guten Beziehungen sowohl zu Aserbaidschan als auch Armenien beibehalten. Russland und Armenien unterhalten Bündnisbeziehungen, weswegen die Ausweitung des Konflikts Moskau zwingen könnte, Jerewan offen zu unterstützen. Das würde aber sofort „die Sonderbeziehungen“ infrage stellen, die, wie Skakow meint, Moskau mit Baku gerade aufbaut.
Diese sogenannten Sonderbeziehungen zeichnen sich vor allem durch einen aktiven Waffenhandel aus. Medienberichten zufolge lieferte Russland Waffen im Umfang von rund vier Milliarden Euro an Aserbaidschan. Ein Fehler, wie Skakow meint, denn die Waffenlieferung an Baku nütze vor allem denen, die an einer Eskalation des Konfliktes interessiert seien. Russland sei allerdings nicht der einzige Waffenlieferant von Aserbaidschan, wie Wladimir Jewsejew vom Institut für GUS-Länder anmerkt.Moskau versucht, die beiden Konfliktseiten auf diplomatischem Wege zu beeinflussen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Präsidenten der beiden Länder unlängst aufgefordert, die Kampfhandlungen einzustellen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu führte bereits Gespräche mit seinen Amtskollegen der beiden Staaten.
Im Fall einer weiteren Eskalation kann der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien die Grenzen der Region Berg-Karabach überschreiten und sich zu einem heißen Krieg zwischen den zwei Ländern entwickeln. Sollte Russland seinen Bündnispflichten nachkommen müssen, wäre es gezwungen, Armenien militärisch zu unterstützen, und würde so ebenfalls in den Krieg hineingezogen. Zudem ist die Situation durch die instabile Lage im Kaukasus und in den russischen kaukasischen Republiken belastet.
Die Experten glauben zwar nicht, dass der Konflikt sich zu einem heißen Krieg hochschaukeln wird. Die jüngsten Ereignisse seien nur der Versuch Aserbaidschans, die Reaktionen aller Seiten abzuklopfen. Doch die Experten mahnen, dass die Vermittler in der Regulierung des Konflikts – auch Moskau – auf internationale Beobachter in der Region bestehen und einen Mechanismus zur Beobachtung des Konflikts entwickeln sollten. Ansonsten, so warnen sie, sei eine neue Eskalation nicht zu vermeiden.
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