Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
DPA / Vostock-photoDas Bundesverteidigungsministerium bereitet eine neue Version seines Weißbuchs vor. Dies berichtete „Die Welt“ am vergangenen Samstag. Im Entwurf des deutschen Strategiedokuments wird Russland – anders als in der letzten Ausgabe des Leitfadens aus dem Jahr 2006 – nicht mehr als prioritärer Partner, sondern als ein Rivale der Bundesrepublik bezeichnet.
Der Paradigmenwechsel wird mit Moskaus angeblicher Bereitschaft begründet, „die eigenen Interessen auch gewaltsam durchzusetzen und völkerrechtlich garantierte Grenzen einseitig zu verschieben“, wie dies auf der Krim und im Osten der Ukraine offen zutage getreten sei, heißt es im sicherheitspolitischen Grundsatzdokument der Bundesrepublik. „Ohne grundlegende Kursänderung wird Russland somit auf absehbare Zeit eine Herausforderung für die Sicherheit auf unserem Kontinent darstellen", betonen die Autoren des Strategiepapiers.
Mit „Bedauern und Beunruhigung“ fasste der Kreml den Entwurf des Weißbuches auf. „Eine solche Position kann natürlich durchaus zu Konfrontationshandlungen führen, was dem gegenseitigen Vertrauen und der Kooperation keineswegs dienlich sein wird“, erklärte der Pressesprecher des Präsidenten Dmitri Peskow.
Das Verhältnis zu Deutschland ist für Russland bekanntlich von besonderem Wert. Die Beziehungen zu Berlin sind für Moskau nach Ansicht zahlreicher Experten seit dem Ende der 1960er-Jahre „eine tragende Säule“ der Außenpolitik. Deshalb dürften die Einschätzungen des Weißbuches tatsächlich für Unruhe im Kreml sorgen.Indes ruft die deutsche Seite dazu auf, bei der Bewertung des Dokuments nicht vorschnell zu urteilen. Der deutsche Botschafter in Russland Rüdiger von Fritsch betonte, das Weißbuch sei noch gar nicht veröffentlicht. „Lassen Sie uns der Propaganda keine Aufmerksamkeit schenken“, sagte er, ohne zu präzisieren, wessen Propaganda er meint.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nahm konkret Stellung zum Bericht in „Die Welt“. In der neuen Doktrin werde weder von „Rivale“, noch von „Gegner“ die Rede sein: Im Verhältnis zu Moskau stehe Berlin vor einer „Herausforderung“.
Auch einige russische Experten rufen dazu auf, den Zeitungsbericht nicht zu dramatisieren.
Wladislaw Below, Leiter des Zentrums für Deutschlandstudien am Europa-Institut, sagt, im Dokument sei nicht vom Rivalen, sondern vom Konkurrenten die Rede. Die neuen Bestimmungen führt der Deutschland-Experte dabei ausschließlich auf die Absicht des Bundesverteidigungsministeriums zurück, die angebliche „russische Gefahr“ dazu zu nutzen, seinen Etat zu erhöhen. Dennoch räumt der Experte ein, dass sich das deutsche Verhältnis zu Russland ändere. Berlin nehme Moskau als Herausforderung wahr. Das mache wohl den Kern der Veröffentlichung aus.
Fjodor Lukjanow, Chefredakteur des Fachmagazins „Russia in global affairs“ sieht durch das strategisch bedeutsame Weißbuch die politische Verschiebung Berlins hin zum Transatlantismus bestätigt. Diese Richtungswahl, die zu einem angespannteren Verhältnis zu Russland führen werde, sei jedoch noch nicht endgültig getroffen. In Deutschland tobt nach Ansicht des Experten ein Kampf um die strategische Ausrichtung des Landes.Sergei Karaganow, Vorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, stimmt dem zu. Teile des deutschen Establishments, im engeren Umfeld Angela Merkels, wollten „eine Zuspitzung in den Beziehungen zu Russland und stärkere Ausrichtung gen USA“, erklärt der Experte im Gespräch mit RBTH. Die Vereinigten Staaten würden die Europäer zur „Strukturierung einer militärischen Konfrontation in Europa“ treiben. Doch verfolge Berlin in seinen Beziehungen zu Russland auch ein ambitionierteres Ziel. Die Konfrontation mit Moskau nutze Deutschland dazu, „Energien ins EU-Innere zur Rettung der taumelnden Union und der angesichts der schwierigen Wirtschaftslage und der Flüchtlingskrise schwindenden Führungsrolle Deutschlands zu lenken“, sagt Karaganow.
Unverzügliche reale Konsequenzen aus der Neupositionierung Berlins hinsichtlich Russlands sind indes nicht zu erwarten, wie Lukjanow erklärt. Das Weißbuch sei keine Handlungsanweisung, sondern ein gewisser allgemeiner Leitfaden, betont er. Perspektivisch sei jedoch mit einer aktiveren Rolle Berlins in der Nato zur Stärkung militärischer Möglichkeiten der Allianz durchaus zu rechnen. Deutschland werde den „russischen Faktor“ dazu nutzen, seinen Status als Militärmacht wiederaufzubauen, den das Land nach 1945 verloren habe, resümiert der Experte für internationale Beziehungen.
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