Experten sehen die WM in Russland denn auch weniger wegen des Fifa-Skandals als wegen der wirtschaftlichen Lage im Land in Gefahr.
Wasili Ponomarew / TASSDer Chef des Weltfußballverbands Fifa, Josef Blatter, und der Präsident der europäischen Fußballvereinigung Uefa, Michel Platini, wurden von der Ethikkommission der Fifa für 90 Tage von allen Funktionen suspendiert. Blatter und Platini dürfen ihre Büros nicht mehr betreten und sind zudem von allen Fußball-Aktivitäten ausgeschlossen.
Ihre Suspendierung steht in Zusammenhang mit internen Ermittlungen der Fifa-Ethikkommission, die Ende September gegen den Schweizer Blatter aufgenommen wurden. Einen Tag zuvor hatte die schweizerische Bundesanwaltschaft bereits ein Strafverfahren gegen Blatter eingeleitet wegen des Verdachts der „ungetreuen Geschäftsbesorgung“ sowie wegen „Veruntreuung“, wie es in einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft heißt.
Blatter steht zudem im Verdacht, Uefa-Präsident Michel Platini eine „treuwidrige Zahlung“ in Höhe von zwei Millionen Schweizer Franken (etwa 1,8 Millionen Euro) geleistet zu haben. Anklage wurde bislang nicht erhoben, die Ermittlungen gehen aber weiter.
Die WM-Vergabe an Russland war rechtens
Walery Fedoreew, Jurist in der Sportbranche, bewertet die Entscheidung der Fifa-Ethikkommission positiv. „Wenn gegen Sportfunktionäre ermittelt wird, müssen diese suspendiert werden, damit sie keinen Druck auf die Ermittler ausüben können“, meint er. Fedoreew glaubt nicht an Konsequenzen für die Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland, selbst wenn Blatter eine Täterschaft nachgewiesen werden könnte: „Nur der Fifa-Kongress kann die WM in Russland verbieten.“
Die Vergabe an Russland war in der Vergangenheit oft kritisiert worden, ebenso die Entscheidung für Katar als Austragungsort der WM 2022. „Weder Russland noch Katar spielen in den Ermittlungen bislang eine Rolle“, sagt Fedoreew. Das Gegenteil sei der Fall, betont er: „Die internen Fifa-Ermittlungen beweisen, dass die Auswahlverfahren ohne Verstöße durchgeführt wurden.“
Kann Russland die Kosten der WM stemmen?
In der Geschichte der Fifa-Fußball-WM gab es den Fall, dass das Gastgeberland die Weltmeisterschaft doch nicht austragen konnte, erst ein einziges Mal. Im Jahr 1984 musste Kolumbien, das Austragungsort der WM 1986 sein sollte, die Weltmeisterschaft aus wirtschaftlichen Gründen absagen. Sie fand schließlich wie bereits 1970 in Mexiko statt.
Alischer Aminow, Vize-Präsident der Internationalen Stiftung für rechtliche Initiativen, sieht die WM in Russland denn auch weniger wegen des Fifa-Skandals als wegen der wirtschaftlichen Lage im Land in Gefahr. „In der Kritik stehen Blatter und Platini und nicht Russland. Die WM wird wohl stattfinden“, meint er. „Doch vor dem Hintergrund der Lage in Politik und Wirtschaft erweckt diese Geschichte zwiespältige Gefühle“, so Aminow, der sich wegen der enorme Kosten der WM sorgt: „Die Wahrscheinlichkeit einer sozialen Explosion besteht durchaus im heutigen Russland. Russland ist politisch isoliert, das Bankensystem steht vor dem Abgrund und daher könnten diese hohen Ausgaben noch mehr ruinieren“, befürchtet er.
Jurij Nagornich, Russlands Vize-Sportminister, hat hingegen keine Bedenken: „Der Bauplan liegt im Zeitrahmen und auch das Budget wurde bisher nicht überschritten. Alle Überlegungen, ob auf ein solch renommiertes sportliches Event besser verzichtet werden sollte, sind unbegründet.“ Was Blatter betrifft, weist Nagornich darauf hin, dass noch keine Anklage erhoben worden sei. „Vielleicht wird das Verfahren gegen ihn bald wieder eingestellt“, mutmaßt der stellvertretende Minister.
Wie geht es weiter mit Platini?
Am 26. Februar 2016 soll ein neuer Fifa-Präsident gewählt werden. Bis dahin sollte die Suspendierung Platinis, der bislang als potenzieller Nachfolger Blatters gehandelt wurde, aufgehoben sein. Doch der Präsidentschaftskandidat muss vom Fifa-Sonderkomitee ernannt werden. Dabei wäre eine besondere Überprüfung für Platini notwendig.
Walery Tschuchtija, ehemaliger Chef des Fifa-Büros in Moskau, hält an Platini fest. Er sei der Einzige, der in der Fifa eine Ordnung schaffen könne, ist er überzeugt. Tschuchtija glaubt zudem, dass Platini gegenüber Russland positiv eingestellt sei, wie etwa die Unterstützung einer eigenen Krim-Liga gezeigt habe, nachdem die Uefa Ende 2014 die Krim-Vereine für die russische Liga gesperrt hatte. „Damals hat die Uefa ihre Unparteilichkeit gezeigt und war bemüht, es in dieser schwierigen Situation allen recht zu machen“, erinnert Tschuchtija.
Zudem habe sich Platini für Sankt Petersburg als Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft 2020 eingesetzt, obwohl er einem enormen Druck ausgesetzt gewesen sei. „Man hat von Platini gefordert, dass er gegen Russland die strengsten Sanktionen verhängt, doch er hat sich an die Prinzipien des Sports gehalten“, lobt Tschuchtija.
Als weitere potenzielle Nachfolger Blatters kommen die argentinische Fußballlegende Diego Maradona, der berühmte brasilianische Fußballer Zico, Prinz Ali bin al-Hussein von Jordanien oder der Präsident der Liberia Football Association Musa Bility in Betracht.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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