Leonid Sluzki: „Ich bin vom FC Bayern München begeistert“

"Die russischen Spieler haben gespürt, dass sie so einiges können", sagt der Nationaltrainer. Zu den Favoriten der EM zählt er die Sbornaja jedoch noch nicht.

"Die russischen Spieler haben gespürt, dass sie so einiges können", sagt der Nationaltrainer. Zu den Favoriten der EM zählt er die Sbornaja jedoch noch nicht.

Reuters
Ein Weltstar würde der russischen Nationalmannschaft nicht schaden, sagt ihr Trainer Leonid Sluzki. Dennoch sieht er seine Mannschaft gut gewappnet für die anstehende Europameisterschaft in Frankreich. RBTH traf ihn während der Vorbereitungen auf das Turnier zum Gespräch.

RBTH: Zählen Sie persönlich die russische Mannschaft zu den Favoriten bei der Europameisterschaft? Und falls nicht: Wer ist aus Ihrer Sicht Favorit?

Leonid Sluzki: Wir gehören nicht zu den Favoriten der Europameisterschaft. Zunächst sollten wir zusehen, dass wir ins Achtelfinale kommen. Sollte uns dies gelingen, werden wir alles daran setzen, die KO-Spiele eins nach dem anderen zu gewinnen.

Als Favorit sehe ich die französische Nationalmannschaft. Zunächst ist Frankreich Gastgeber und außerdem sind sie mit ihren Spielern stark aufgestellt. In jedem Mannschaftsteil spielen erstklassige Fußballer. Wir haben das während unseres Freundschaftsspiels im Stade de France zu spüren bekommen. Nicht zu unterschätzen sind auch die Teams aus Spanien, Deutschland, Belgien und Italien.

Die russische Nationalmannschaft hat keine Weltstars in ihren Reihen. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?

Es ist eher ein Nachteil. Es ist immer angenehm, wenn man weiß, dass im Team ein weltbekannter Fußballer spielt. Dennoch haben auch wir unsere Spitzensportler: Igor Akinfejew, Wassili Beresutzki, Sergei Ignaschewitsch, Roman Schirokow, Igor Denissow. Diese Burschen spielen seit langem in unserer Nationalmannschaft, sie haben an Meisterschaften teilgenommen und können ihre Mitspieler führen.

Von den russischen Nationalspielern stehen allein Denis Tschernyschow und Alexander Kerschakow bei ausländischen Fußballklubs unter Vertrag. Was ist für einen Fußballspieler vorteilhafter – zuhause zu spielen oder sich im Ausland zu versuchen?

Erhält ein junger Spieler die Einladung eines seriösen ausländischen Vereins, so sollte er zusagen. In Europa herrscht großer Konkurrenzkampf. Wer sich unter solchen Bedingungen durchsetzt, ist ein echter Profi.

In Russland kann man auch wachsen und sich weiterentwickeln, allerdings mangelt es uns stark an entsprechender Infrastruktur. Eine Sportschule bei Zenit Sankt Petersburg oder den Moskauer Vereinen ZSKA, Spartak und Dynamo zu besuchen ist das eine. Etwas ganz anderes ist es jedoch, in der Provinz für eine Juniorenmannschaft zu spielen. Sollte man nicht frühzeitig genug von den Scouts eines führenden Klubs entdeckt werden, hat man kaum Chancen, in die vordersten Reihen vorzustoßen. Es gibt weder eine geeignete Infrastruktur, noch starke Trainer oder medizinisches Personal. In Westeuropa gibt es damit keine Probleme. Der Fußballverein einer Stadt mit 60 000 Einwohnern verfügt dort über alles Notwendige. Dies sollten wir anstreben.

2008 verhalf Guus Hiddink der russischen Mannschaft zum dritten Platz bei der Europameisterschaft. War der damalige Erfolg zufällig oder eine logische Konsequenz?

Damals hatten wir das beste Nationalteam in der neueren russischen Geschichte. Die russische Elf hat großartigen Fußball gespielt und stand verdient im Halbfinale. Dies war wahrlich der größte Sieg unseres Teams. Ich kann mich bestens an das Spiel gegen die Niederlande erinnern (im Viertelfinale siegte Russland mit 3:1, Anm. d. Red.) und an den Stolz, den ich empfunden habe, als die letzte Minute des Spiels vorbei war. Meine Freude hat keine Grenzen gekannt. Ich hätte gerne das gleiche Gefühl als Trainer erlebt.

Im letzten Jahrzehnt wurde die russische Fußballnationalmannschaft stets von Ausländern trainiert. Wie bewerten Sie diese Etappe in der jüngsten russischen Fußballgeschichte?

Es war eine sehr erlebnisreiche und erfolgreiche, ich würde sogar sagen – revolutionäre Zeit. Die ausländischen Trainer haben ihr Bestes getan, damit unsere Mannschaft gute Ergebnisse erzielt. Die Nationalelf konnte regelmäßig an Europa- und Weltmeisterschaften teilnehmen. In der Grundeinstellung der einzelnen Fußballer der Nationalmannschaft hat sich ein Wandel vollzogen. Die Spieler haben gespürt, dass sie so einiges können.

Wessen Philosophie unter den Toptrainern imponiert Ihnen am meisten?

Ich persönlich bin vom FC Bayern München und dem FC Barcelona begeistert. Diese beiden Mannschaften treiben etwas Unglaubliches auf dem Feld. Sie weisen eine durchgehend eingeübte Technik, viel Bewegung und einen hohen Anteil von präzisen Pässen auf. Man könnte sagen: Diese Mannschaften gehören beide zur Weltspitze. Es ist jedoch schwer einzuschätzen, was die Trainer zu diesem Erfolg beigetragen haben.

Sie selbst haben knapp unter Profiniveau Fußball gespielt. Unterscheiden sich Ihre Ansätze von denen der ehemaligen Trainer Ihrer Spieler?

Alles kommt mit der Erfahrung. Anfangs ist es mir nicht leichtgefallen, mit Profis zusammenzuarbeiten, im Laufe der Zeit habe ich Gefallen daran gefunden. Womöglich fällt es einem Ex-Fußballprofi leichter, Trainer zu werden. Andererseits sollte man die Gefahr nicht unterschätzen, dass auch Profis degradieren können. Es ist eine Sache, unter der Obhut berühmter Trainer zu spielen und persönlich dazuzugewinnen, und eine ganz andere, einen Mentor zu haben, der dir ständig „Lauf! Lauf!“ zuruft.

Sie haben den eingebürgerten Brasilianer Guilherme ins russische Nationalteam gebracht. Hat er die Chance, zum Stammtorhüter der russischen Nationalelf zu werden?

Guilherme ist ein erfahrener und gut ausgebildeter Torwart. Meine Einstellung zur Einbürgerung ist neutral. Weltweit ist es zum Tagesgeschäft geworden. Deutsche, Spanier und Italiener bürgern Fußballer aus anderen Ländern ein. Warum sollten wir darauf verzichten?

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