Der deutsche Landmaschinenhersteller Claas hat kürzlich sein Werk in Russland ausgebaut.
Shutterstock/Legion-MediaWeniamin Kondratjew gibt sich ungläubig, als er vor dem grün-weißen Mähdrescher in der nagelneuen Werkshalle steht. „Also die-se Maschine wurde gestern noch aus Deutschland importiert?“, fragt er Ralf Bendisch, den Leiter von Claas Russland. Dieser nickt zustimmend: „Ja, und heute stellen wir die gleiche Maschine hier her, im vollen Zyklus.“Kondratjew, der Gouverneur der Region Krasnodar, ist zufrieden. Die Fakten dürften ihm zwar bereits bekannt gewesen sein, aber gute Nachrichten kann man offenbar nicht oft genug hören.
Fast 120 Millionen Euro hat der Landmaschinenhersteller Claas in seine Werkserweiterung gesteckt, das vor Kurzem eröffnet wurde. Damit verdoppelt das Unternehmen seine jährliche Pro-duktionskapazität von 1 000 auf 2 000 Maschinen.
Der Landmaschinenhersteller aus Harsewinkel steht mit seiner Entscheidung für Russland bei Weitem nicht allein da. In den vergan-genen Wochen und Monaten eröff-nete ein gutes halbes Dutzend neu- er Werke von deutschen Unternehmen in Russland. Anfang Oktober begann die deutsch-japanische DMG Mori, einst bekannt unter dem Namen Gildemeister, mit der Produktion von Dreh- und Fräsmaschinen für die Industrie. Im September erweiterte Volkswagen in Kaluga seine Kapazitäten um eine neue Motorenfabrik. Einige Wochen zuvor hatte Knorr-Bremse ein neues Werk in Sankt Petersburg eingeweiht, das in den kommenden Wochen erweitert werden soll. Und Bayer kündigte an,Medikamente bei Partnern in Lizenz zu fertigen.
Tödlicher Stillstand
Die Liste der deutschen Unternehmen, die gegen den wirtschaftlichen Strom in Russland schwimmen, ist lang. Der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew sagte vor Kurzem, dass der erste Schock bei ausländischen Investoren verflogen sei. Von einer Trendwende kann aber keine Rede sein, schließlich geht die Wirt-schaftskrise in Russland auch in den Herbstmonaten weiter: Im September ging das Bruttoinlandsprodukt im Jahresvergleich um 3,8 Prozent zurück.
Der Grund für die Investitionen liegt ohnehin nicht im guten Investitionsklima Russlands. Vielmehr sind sie Teil des Kampfes um den russischen Markt unter jenen, die bleiben wollen. Für Unternehmen kann Stillstand tödlich sein. Noch im vergangenen Jahr beklagte Ralf Bendisch, Chef von Claas Russland, der Staat bevorzuge russische Konkurrenten und zahle Bauern einen Zuschuss von 15 Prozent auf die heimische Technik. Mit der neuen Fabrik hoffen die Deutschen offenbar, ihre Ausgangslage im Wettbewerb zu verbessern. Der Lokalisierungsgrad wird nun auf etwa 50 Prozent steigen, vergleichbar etwa mit den Werken des Unternehmens in Deutschland.
„Der Werkbau war eine richtige Entscheidung und wird Claas die Präferenzen und Unterstützung seitens des Staates sichern“, glaubt Boris Melamed, Partner der Beratungsgesellschaft Neo Center. Die Landwirtschaft habe für die russische Regierung eine hohe Priorität, gleichzeitig seien nur die wenigsten Unternehmen bereit, in der aktuellen Situation in Russland zu investieren, erklärt der Ex-perte. Im vergangenen Jahr produzierte Platzhirsch Rostselmash etwa 3 500 Mähdrescher, während Claas auf gut 400 Stück kam. Sollte Claas jedoch die gleichen Präferenzen bekommen, könnte sich die Situation ändern, meinen Experten. Anfang Oktober berichtete die Zeitung „Wedomosti“, dass der deutsche Hersteller bereits eine Aufnahme ins staatliche Förderprogramm gestellt hat, wodurch Käufer auf einen staatlichen Zuschuss von 25 bis 30 Prozent rechnen können. Das zuständige Ministerium will jedoch, dass Claas zusätzlich zur Lokalisierung auch russische Motoren in seine Maschinen einbaut, um den staatlichen Zuschuss zu erhalten. Diese kommen bisher aus den USA und aus Italien.
Keine Aufträge ohne Lokalisierung
Auch andere Unternehmen wie Knorr-Bremse hoffen, durch Investitionen besser ins Geschäft zu kommen. So ist an dem neuen Standort in Sankt Petersburg, wo Bremssysteme für die Züge der russischen Eisenbahn gebaut werden sollen, eine Tochter der Eisenbahngesellschaft RZD gleich zu 40 Prozent mitbeteiligt. Der Lokalisierungsgrad soll nach Angaben des Unternehmens, das rund 13 Millionen Euro in das neue Werk investiert hat, bei etwa 80 Prozent liegen.
„Ohne Lokalisierung in dem Bereich wird man keine Aufträge in Russland bekommen, das ist momentan ein ungeschriebenes Gesetz“, sagt der Manager eines Wettbewerbers von Knorr-Bremse, der ungenannt bleiben will. Eine ähnliche Strategie verfolgt der Konzern bereits beim mehrheitlich in Staatsbesitz befindlichen Lkw-Hersteller Kamaz, bei demdas Unternehmen bereits seit 2008 ein Joint Venture zur Herstellung von Bremssystemen unterhält.
Kompliziert ist die Lage auch aus Sicht der Pharmakonzerne. So hat Russland bereits im Februar den Ankauf von ausländischen Prä-paraten im Rahmen staatlicher Ausschreibungen deutlich eingeschränkt. Diese kommen erst zum Zuge, wenn klar ist, dass es keine Alternative in Russland, Belarus oder Kasachstan gibt. Dafür hatte sich der Verband der Russischen Pharmahersteller bereits seit 2009 eingesetzt. So kündigte Niels Hessmann, der Chef von Bayers Russlandsparte, an, nun auch an der Lokalisierung im Pharmabereich zu arbeiten. Es würden große Schritte unternommen, sagt Hessmann. Einer davon werde die Produktion von Antibiotika beim russischen Unternehmen Medsintez sein. Eine eigene Fabrik zur Lokalisierung sei allerdings noch nicht geplant. „Unsere Investitionsentscheidungen hängen nicht von der aktuellen politischen oder wirtschaftlichen Situation in Russland ab“, sagte der Bayer-Manager der Wirtschaftszeitung „RBC“.
Der Mähdrescher-Hersteller Claas dagegen dürfte die aktuelle politische Lage sehr wohl auf dem Schirm haben. Man sei nun ein wirklich russischer Hersteller, unterstrich Ralf Bendisch bei der Eröffnung im Beisein des Gouverneurs der Region. Ein bemerkenswerter Satz, der, so hofft man bei Claas, nicht ungehört bleiben wird.
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