In den Medien spricht man von der größten Krise in den europäisch-russischen Beziehungen seit Ende des Kommunismus. Wie empfinden Sie die gegenwärtige Entwicklung?
Wissen Sie, ich lebe und arbeite seit Jahrzehnten in Russland, seit der Sowjetunion. Ich habe die Auswirkungen des Kalten Krieges erlebt und mich 1969 über die deutsche Ostpolitik gefreut. Erstarrte Fronten wurden aufgelöst, Schritt für Schritt wurde Vertrauen aufgebaut. Das war mühsam und langwierig, aber es funktionierte. Gorbatschows Vision vom „gemeinsamen europäischen Haus“ begeisterte uns ebenso wie die Hoffnungen um das neue Russland herum. Gutes und Positives entstand; der Prozess erschien unumkehrbar. Und nun erleben wir seit eineinhalb Jahren diesen erschütternden gegenseitigen Vertrauensverlust. Es ist die größte Krise seit dem Ende des Ost-West-Konflikts.
Bisweilen ist zu hören, die Konfrontation in der Ukraine sei nur die Spitze eines Eisbergs …
Sie ist der Auslöser des aktuellen, westlich-russischen Konflikts. Auch wenn aus dem Munde amerikanischer oder europäischer Politiker oft das Gegenteil zu hören war – es hat nicht jedem gefallen, dass Russland stärker und selbstbewusster wurde und bis 2013 ja auch wirtschaftlich prosperierte. Ich empfehle das Buch des amerikanischen Präsidentenberaters Zbigniew Brzezinski „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (1997) mit seinen Ausführungen zum „eurasischen Schachbrett“. Brzezinski glaubt, dass eine Unterstützung Russlands durch den Westen im Zweifel nur dessen imperiale Ambitionen stärkt. Statt Demokratisierung und Europäisierung würde man den Wunsch wecken, die frühere Großmachtrolle zurückzugewinnen. Zudem wirkten neue eurasische Koalitionen, etwa zwischen China, Russland oder dem Iran, den Interessen der USA entgegen – genauso wie eine Annäherung zwischen Deutschland und Russland, Frankreich und Russ-land oder insgesamt Europa und Russland.
Wie gesagt, das sind Brzezinskis Vorstellungen. Er ahnte schon bei Putins Amtsantritt 2000, dass Russland wieder erstarken würde. Aus dem Grund war er einer der wesentlichen Befürworter der Nato-Osterweiterung. Zur Ukraine hatte er schon Anfang der 1990er-Jahre geschrieben, ohne sie werde Russland nie wieder eine Supermacht. Nur in dem Kontext wird der erbitterte politische Kampf um das Land verständlich!
Auch was Brzezinski (und in den USA sicherlich nicht er allein) von den Europäern sagt, sollte uns zu denken geben: „Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern.“
Schon von daher benötigt Europa Russland als Gegenpol, wenn es sich von den USA emanzipieren will.
In Russland hat die harte deutsche Linie viele Menschen überrascht, nicht nur Politiker. Haben wir überhaupt noch eine Chance, als ehrliche Makler tätig zu sein?
Die Berliner Politik hat in Russland sehr viel Vertrauen verspielt. Dass wir zudem als Wasserträger der USA aufgetreten sind, hat uns Deutsche als ehrliche Makler disqualifiziert. Auch gibt es weder in Deutschland noch in der EU überhaupt eine Russlandpolitik. Ein großer Fehler.
Die deutschen Wirtschaftsvertreter haben sich dem Primat der Politik gebeugt. Inzwischen tut sich kaum noch jemand mit politischen Äußerungen hervor. Hat die Wirtschaft resigniert?
Die Wirtschaft ist die verlässlichste Konstante in den deutsch-russischen Beziehungen, das wird auch so bleiben. Selbst die dunkelsten Zeiten unserer gemeinsamen Geschichte haben daran eigentlich nichts geändert. Unsere Firmen haben sich auch von Krisen nie wirklich abschrecken lassen. Man denkt strategisch und honoriert die Treue der jahrelang bewährten russischen Partner.
Resigniert haben die deutschen Firmen also nicht. Der Primat der Politik (übrigens eine Vokabel, der sich vorwiegend totalitäre Regime bedient haben) schränkt einige Handlungsspielräume schmerzlich ein. Die Schäden sind erheblich, man denke an die Einbrüche unserer Exportwirtschaft. Trotzdem lebt der Kontakt mit den russischen Partnern. Die Gesprächskanäle sind weit offen! Die deutsche Wirtschaft ist auf sich allein gestellt; ihr Protest bei der Bundesregierung stößt auf taube Ohren. Jetzt wird vor allem versucht, das in Jahrzehnten erworbene – und durch die Politiker heftig beschädigte – Vertrauen zumindest teilweise zu retten.
Angenommen, für die Ostukraine wird eine Lösung gefunden und die Krim bleibt — vom Westen nicht anerkannt — russisch. Gibt es in den deutsch-russischen Beziehungen eine Rückkehr zum Status quo ante?
Es geht gar nicht anders! Wir brauchen einen vernünftigen Konsens mit Russland. Und Europa braucht das Land wirtschaftlich ebenso wie als strategischen Partner bei der Lösung globaler Probleme. Die historischen deutsch-russischen Beziehungen stehen dabei im Zentrum. Erfreulicherweise wird das auch von einigen deutschen Politikern öffentlich so vertreten.
Lange Jahre glaubten viele an das Projekt einer Modernisierungspartnerschaft. Dann zerbrach das Ganze binnen weniger Monate.
Die „Modernisierungspartnerschaft“ war von Anfang an eine „leere Hülse“, genauso wie die „Leuchtturmprojekte“, die es früher einmal gab. So was kann man nicht von oben verordnen, da spielt auch der Zeitfaktor eine Rolle. Das Ganze war eine gute Idee, aber Modernisierung kann man nicht übers Knie brechen.
Auch in Deutschland schwelt ein Konflikt zwischen Atlantikern auf der einen und Russlandverstehern auf der anderen Seite. Die Diskussionen dazu können sehr emotional sein. Wie erscheint Ihnen das?
Zunächst einmal: Es ist keine Schande, ein Russlandversteher zu sein. Im Gegenteil. Nur wer sich die Mühe macht, andere Standpunkte und Sichtweisen zu verstehen – das heißt ja nicht, dass man sie immer teilen muss – kann sich ein faires Urteil erlauben. Es gibt ja nicht nur die eine Wahrheit, die uns der westliche Medien-Mainstream (meist überzeugte Atlantiker) beharrlich oktroyiert. Ich finde diese Schwarzweißmalerei und die permanente einseitige Schuldzuweisung einfach nur noch armselig und unerträglich! Außerdem lässt sich ein guter Teil der deutschen Öffentlichkeit – vor allem die Menschen auf der Straße – nicht mehr an der Nase herumführen. Die Leute durchschauen doch das Spiel und empfinden für Russland eher Sympathie und Verständnis.
Alter: 69
Tätigkeit: Beraterin
Dr. Andrea von Knoop studierte Osteu-ropäische sowie Mittlere und Neuere Geschichte in Köln und Wien. In den 1970er- und 80er-Jahren arbeitete sie für deutsche Banken im UdSSR-Geschäft. Nach 1993 war sie Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Russland und Mitglied diverser hochrangiger Gremien. Heute berät sie freiberuflich internationale Konzerne.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!