„Schon vor dem Aufkommen von Hightech habe ich bereits ein paar Mal mit meinem Handy bezahlt“, scherzen die Russen im Internet.
Diejenigen, deren Jugend in die 1990er und frühen 2000er Jahre fällt, können den Witz verstehen. Damals terrorisierten Halbstarke die rechtschaffenen Bürger und raubten ihnen in dunklen Gassen unter Androhung von Gewalt ihre damals noch seltenen Mobiltelefone, andere Wertgegenstände oder einfach nur das Bargeld. Auf Russisch nennt man diese Überfälle gop-stop.
Typische Gopniks der frühen 2000er Jahre.
Silvymaro (CC BY-SA 4.0)Im Erläuternden Wörterbuch der modernen großrussischen Sprache des russischen Lexikographen und Sammlers von Volksüberlieferung Wladimir Dahl (erste Auflage von 1863-1866) bedeutet gop so viel wie Hops, Sprung oder Schlag. In dem kleinen Wörterbuch der Gaunersprache Die Geheimsprache der Petersburger Gauner, bekannt als Musik oder Großstadtlegenden-Sprache, das Dahl in den 1850er Jahren versuchsweise zusammenstellte, hatte das Wort gopatj die Bedeutung die Nacht auf der Straße verbringen.
Obdachlose Kinder.
Georgij Saschalskij/МАММ/МDFDiese Bedeutung steht nicht im Widerspruch zu einer populäreren Version der Herkunft der Wörter gop und gopnik. Demnach handele es sich um die Abkürzung GOP. Diese stand für Gosudárstwennoeje óbstschestwo prisóra – Heime im Russischen Reich für Bettler, Krüppel und Waisen, finanziert von den Wohlfahrtsämtern der Provinzbehörden. In St. Petersburg befand sich dieses Heim Ende des 19. Jahrhunderts in einem der Gebäude des ehemals mondänen Snamenskaja-Hotels (dem heutigen Oktjabrskaja-Hotel) im Zentrum der Stadt, gegenüber dem Moskauer Bahnhof.
Hotel Snamenskaja
Public domainNach der Revolution von 1917 wurde das Gebäude verstaatlicht, behielt aber seine Funktion und seine Bezeichnung bei. Das Einzige, was sich änderte, war der Name: Die Abkürzung stand nun für Gosudárstwennoeje obstscheschítije proletariáta – Staatliches Wohnheim für das Proletariat. In den 1920er Jahren lebten dort jedoch keine Arbeiter, sondern Straßenkinder. Der russische Bürgerkrieg, Epidemien und mehrere Jahre schweren Hungers führten zu einer hohen Zahl von Straßenkindern. Die Bewohner dieser Unterkunft wurden als GOPniks bekannt. Sie gingen nicht arbeiten, sondern belästigten Passanten und verübten kleine Diebstähle sowie Raubüberfälle. Sie erlangten eine traurige Berühmtheit im Stadtteil Ligowka, in dem sich ihr Wohnheim befand.
Bezirk Ligowka.
Public domainZu dieser Zeit galt Ligowka als der gefährlichste und unheimlichste Bezirk in Leningrad. In Kriminalchroniken taucht er oft als Schauplatz von Verbrechen auf, die das ganze Land schockierten, sei es Gruppenvergewaltigungen oder brutale Massaker an Milizkommissaren. Paulina Onuschonok, die erste weibliche Leiterin einer Polizeibehörde in der UdSSR, konnte die Kriminalität in Ligowka erfolgreich ausmerzen. Sie löste auch das Problem der Jugendkriminalität und der Straßenkinder in der Stadt und auf dem Land: Es wird angenommen, dass auf ihre Initiative hin im Jahre 1935 in den Milizrevieren Räume für Minderjährige eingerichtet wurden. Dort wurde Erziehungsarbeit mit jugendlichen Straftätern geleistet.
Straßenbahnsurfen in Leningrad, 1928.
Public domainSo gelang es Paulina Onuschonok, den Ruf von Ligowka wiederherzustellen. Mit der Zeit „wanderten“ die Gopniks aus dem Stadtzentrum in die Außenbezirke der Stadt, in die Trabantensiedlungen, aus.
Heute sieht man sie zum Glück nicht mehr auf der Straße, sondern trifft sie nur noch in Witzen, Erzählungen und Filmen.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!